Hirsche anstelle von Mutterkühen
23.10.2020 TecknauGrieders setzen neben Weihnachtsbäumen auf einen neuen Betriebszweig
Die Agronomin Sereina Grieder züchtet auf dem Betrieb ihres Vaters in Tecknau Damhirsche. Derzeit tummeln sich um den Platzhirsch bereits über 50 Muttertiere und Kälber. Auf dem Teller landen die Zuchttiere erst in der ...
Grieders setzen neben Weihnachtsbäumen auf einen neuen Betriebszweig
Die Agronomin Sereina Grieder züchtet auf dem Betrieb ihres Vaters in Tecknau Damhirsche. Derzeit tummeln sich um den Platzhirsch bereits über 50 Muttertiere und Kälber. Auf dem Teller landen die Zuchttiere erst in der nächstjährigen Wildsaison.
Otto Graf
Der Eimer, gefüllt mit geviertelten Äpfeln, und ein paar Zurufe zeigen Wirkung. «Lulu» und der Rest der gut fünfzigköpfigen Damhirschherde gehorchen Sereina Grieder angesichts der Delikatessen aufs Wort, strömen herbei und machen sich über die Apfelschnitze her. «Lulu ist das einzige Tier, das bei uns einen Namen trägt», erklärt die Agronomin, die auf dem Hof ihres Vaters Arnold Grieder in Tecknau Damhirsche hält.
Die Basis für die Zucht legte sie im März dieses Jahres mit etwa 30 zugekauften, bereits trächtigen Mutterkühen und dem Platzhirsch. Dieser hatte sich während der Brunft im Herbst wacker ins Zeug gelegt und ist mittlerweile stolzer Vater von gegen 30 Hirschkälbern, die im vergangenen Sommer das Licht der Welt erblickten. Und im nächsten Jahr dürfte die Herde nochmals im gleichen Ausmass wachsen, sofern der Zeugungseifer des Hirschs mit seinem imposanten Schaufelgeweih anhält.
In drei bis vier Jahren wird ein anderer Stier die Pflichten des Platzhirschs übernehmen, um die genetische Vielfalt zu wahren. Sie habe sich auch überlegt, Rothirsche zu züchten, sagt die Agronomin. Aber das Röhren des Hirschstiers in der Brunftzeit hätte in der Nachbarschaft wohl nicht eitel Freude ausgelöst. Zudem, führt sie weiter aus, verursache der Damhirsch im Gegensatz zum viel schwereren Rothirsch kaum Trittschäden im steilen Gelände der Weide.
Vorsichtig zutraulich
Die Weide hat eine Fläche von rund drei Hektaren und ist in drei Sektoren unterteilt. Ein massiver, zwei Meter hoher Zaun verhindert, dass die Tiere ausbüxen und ungebetene Gäste, etwa Hunde, der Fuchs oder der Luchs ins Gehege eindringen können. «Die Tiere halten sich ganzjährig auf der Weide auf und begeben sich nur bei starkem Regen in den Offenstall – oder wenn ich sie mit Maiswürfeln oder Äpfeln anlocke», erklärt die 28-Jährige. Neben Gras auf der Weide fressen sie im Stall auch Heu oder Silofutter. Wasser steht rund um die Uhr im Tränkebecken zur Verfügung.
Verglichen mit anderen Wildtieren sind die Hirsche relativ zutraulich, doch näher als zwei Meter wagen sie sich trotz des Lockfutters nicht an die «Meisterin» heran. «Der Damhirsch ist und bleibt eben ein Wildtier», kommentiert Grieder. Der Mutterinstinkt, hebt sie hervor, sei sehr ausgeprägt. So habe sich eine Hirschkuh, deren Kalb versehentlich auf die andere Seite der internen Abzäunung geriet, ziemlich lautstark bemerkbar gemacht. Es komme auch vor, dass die Kühe «fremde» Kälber säugen.
Eine programmierte Überwachungskamera, die mit dem Handy der Züchterin verbunden ist, gewährleistet, dass sie sofort eingreifen kann, falls es zu einem unerwarteten Ereignis kommen sollte. Unter den Kälbern ist auch ein Männchen oder Spiesser, das jedoch noch zu jung ist, um für den Platzhirsch einen ernst zu nehmenden Rivalen darzustellen.
Für das Halten der Wildtiere benötigte Sereina Grieder eine Bewilligung, ausgestellt vom kantonalen Veterinäramt. Diese ist an verschiedene Bedingungen geknüpft. So müssen die Lokalitäten und die Weide bestimmten Standards entsprechen. Ausserdem besuchte die Züchterin je einen spezifischen Kurs der landwirtschaftlichen Beratungszentrale Agridea und des Schweizerischen Hirschhaltevereins, die sie erfolgreich absolviert hat.
Mehr Zeit für die Christbäume
Mit der Damhirschzucht haben Grieders auf ihrem 22 Hektaren haltenden Landwirtschaftsbetrieb die bisherige Mutterkuhhaltung ersetzt. Das bringe einige Vorteile, führt die junge Frau aus. Arbeitstechnisch sei die Hirschzucht einfacher und weniger aufwendig als die Mutterkuhhaltung. Entsprechend mehr Zeit bleibt für ein weiteres wichtiges Standbein des Familienbetriebs: den Anbau und den Verkauf von Christbäumen.
Nach etwa 15 Monaten sind die Kälber schlachtreif, was erstmals auf die Wildsaison 2021 hin der Fall sein wird. Ein Jäger aus der Familie wird die Tiere auf einem separaten Teil der Weide mit der Kugel erlegen. Danach, so Grieder, werden die Tiere von einem regionalen Metzger verarbeitet.
Das Fleisch ist zart und fettarm. Geplant ist, die Fleischprodukte an Private sowie an Restaurants in der Region zu verkaufen. Deshalb befasst sie sich derzeit mit dem Aufbau eines Vermarktungskonzepts für ihre Wildspezialitäten. Dass sie ihre Erzeugnisse auch absetzen kann, davon ist Sereina Grieder überzeugt.
Instagram: hof_stelli