Arbeiten wie Stefano

Erst am Bahnhof Rotkreuz ist mir so richtig bewusst geworden, wie hart die Landung sein würde. Beim ersten Halt seit Mailand, der es mir als Raucher erlaubte, meine Sucht zu befriedigen, stürmte ich nach draussen, um sogleich wieder umzukehren. «Ich brauche die Jacke doch», sagte ich zu meiner Freundin, die das natürlich erwartete hatte und ein spitzes Lächeln aufsetzte. «Ich habs dir ja gesagt.»

Nicht weniger als 15 Grad betrug der Temperaturunterschied zwischen Lecce, wo ich am Tag zuvor etwas wehmütig, aber doch guter Dinge in den Nachtzug eingestiegen war, und Rotkreuz im Kanton Zug. Während ich dann so vor mich hinpaffte – eingeigelt in meine dünne, neongelbe Windjacke, die mir ein senegalesischer Strandverkäufer angedreht hatte – schweiften meine Gedanken geradewegs zu Stefano.

Der ehemalige Basketballprofi war wegen wiederholter Verletzungen am Knie gezwungen, seine Sportlerkarriere an den Nagel zu hängen. Seither kümmert er sich um die Vermietung zahlreicher Ferienwohnungen im Besitz seiner Familie rund um das Dorf Porto Cesareo an der apulischen Küste.

So ganz verabschiedet scheint sich Stefano vom Basketball aber nicht zu haben: Die Körperhaltung, die er beim Planschen mit seinem riesigen Luftring unter den Achseln einnimmt, sieht dem «Dunking» zum Verwechseln ähnlich. Der Unterschied: Beim Einnetzen nimmt der Sportler diese Haltung, bedingt durch die Schwerkraft, nur für den Bruchteil einer Sekunde ein. Beim Baden kann dieser Moment beliebig ausgedehnt werden. Die Schwerkraft ist mit dem Badeschlauch im Wasser nahezu ausgehebelt.

Das erlaubt Stefano denn auch, die Anliegen und Wünsche seiner Gäste wohlgesonnen und bereitwillig per Handy entgegenzunehmen, während die Sonne seinen Rücken bräunt und ihn hier und da eine kleine Welle ins Schaukeln bringt. Wenn es ernst wird, steigt er aus dem Wasser, um zwei Strand-Schönheiten zum Appartement zu begleiten und ihnen nach der Schlüsselübergabe eine schöne Heimreise zu wünschen.

Zurück zu meiner Zigi-Pause: Der Gedanke, dass doch auch ich so arbeiten könnte wie Stefano, drängt sich in diesem Moment geradezu auf. Ich stelle mir vor, wie ich mich mit Headset und Sonnenbrille in die morgendliche Skype-Sitzung der Redaktion einklinke, parallel dazu meinen «Caffè in ghiaccio» an der Strandbar bezahle um mich dann einem Artikel zum Temperatursturz in der Schweiz zu widmen. Was bedeutet er für die Oberbaselbieter Weinbauern? Kommt nun die befürchtete Grippewelle? Kann die Wasserfallenbahn ihre Saison nach dem Shutdown noch retten? – Ein paar Mails, ein paar Telefonate und dann zum Mittagstisch. Orecchiette mit Pesto und Parmesan, dazu eine frische «Burrata». Ich hänge noch immer dem Gedanken nach, da schliessen sich schon wieder die Türen des Zugs. Weiter gehts. Nächster Halt Luzern, dann Olten …

Sebastian Schanzer, Redaktor «Volksstimme»

HERZBLUT

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