Das Haus der Stille
03.09.2020 GelterkindenAnna Uebelhart
Etwa zwanzig Minuten zu Fuss vom Bahnhof Gelterkinden entfernt, inmitten von alten Obstbäumen und blühenden Blumen, steht der «Sonnenhof». Das alte Gebäude, das schon als Badeeinrichtung, Restaurant und zuletzt als Rehabilitationsstation für ...
Anna Uebelhart
Etwa zwanzig Minuten zu Fuss vom Bahnhof Gelterkinden entfernt, inmitten von alten Obstbäumen und blühenden Blumen, steht der «Sonnenhof». Das alte Gebäude, das schon als Badeeinrichtung, Restaurant und zuletzt als Rehabilitationsstation für Ex-Sträflinge gedient hat, ist heute ein Kloster. Seit 1954 ist der «Sonnenhof» im Besitz der Schwestern von Grandchamp, die das Haus während dieser Zeit zu einem Ort der Stille gemacht haben.
Die Kommunität Grandchamp ist eine evangelische Schwesterngemeinschaft, die in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im Weiler Grandchamp in Areuse im Kanton Neuenburg entstanden ist. Heute gehören ihr etwa 50 Schwestern an. Die meisten leben in der französischen Schweiz, 6 auf dem «Sonnenhof» im Baselbiet. Zurzeit sind Grandchamp und Gelterkinden die zwei einzigen Standorte, doch das war nicht immer so. In der Vergangenheit gab es unter anderem Aussenstellen in Israel, Algerien und Deutschland mit der Idee, an mehr als nur einem Ort präsent zu sein und das Leben mit den Menschen unterschiedlicher Herkunft zu teilen.
Das tägliche Leben im Kloster
Der Alltag auf dem «Sonnenhof» richtet sich nach den Stundengebeten, die viermal am Tag – morgens um acht, mittags um zehn nach zwölf, abends um halb sieben und halb acht – stattfinden. Zu diesen Zeiten ertönt auch die Glocke im Garten des Klosters. Neben den Gebeten gehören andere Tätigkeiten wie das Herrichten des Esszimmers vor den Mahlzeiten, Geschirrspülen, Wäschewaschen, das Vorbereiten der Gästezimmer und verschiedene Arbeiten im duftenden Garten des Klosters zum Alltag der Schwestern dazu.
Die Räume des «Sonnenhofs» sind stets mit Blumen aus dem Garten geschmückt, und von den Beerensträuchern und Obstbäumen pflücken die Schwestern Früchte. Ein Nutzgarten, erklärt Schwester Dorothea, sei er jedoch nicht: «Für uns steht der Garten symbolisch dafür, im Einklang mit der Schöpfung zu leben.» Er ist ein Ort des Rückzugs für die Gäste des Klosters, an dem sie die Stille geniessen können. Hinter dem Parkplatz des «Sonnenhofs» hat es ausserdem einen kleinen Waldabschnitt, in dem ein Labyrinth aus Steinen zum Verweilen einlädt.
Vegetarisch und still
Auch während des Essens ist die Stille allgegenwärtig. Die Mahlzeiten finden nämlich schweigend statt. «Wir essen mit unseren Gästen gemeinsam am Tisch», sagt Schwester Dorothea. Das Essen ist bis auf eine Mahlzeit am Sonntag vegetarisch und nach Möglichkeit regional und saisonal. «Die Natur ist uns kostbar. Wir wollen nicht ausbeuterisch, sondern respektvoll mit ihr umgehen», sagt Schwester Mechthild.
Neben der Stille ist auch der Gästeempfang ein zentrales Element im Leben der Grandchamp-Kommunität. Die Schwestern auf dem «Sonnenhof» empfangen sowohl Einzelgäste als auch Gruppen, die bis zu fünf Tage bleiben. Normalerweise nehmen die Schwestern bis zu 20 Gäste auf, doch wegen der Corona-Pandemie ist diese Anzahl aktuell auf 12 reduziert.
Kloster auf Zeit
Die Gründe für einen Aufenthalt auf dem «Sonnenhof» sind unterschiedlich. Manche Leute brauchen eine Auszeit und wollen sich für ein paar Tage von ihrem Alltag distanzieren. Andere sind neugierig, wie das Leben in einem Kloster aussieht, und möchten dieses kennenlernen. Nicht selten sind Menschen zu Gast, die mit Belastungen kämpfen. Es gäbe zum Beispiel Gäste, die an einem Burnout leiden und Stille suchen, um sich auszuruhen und zu sich selbst zu finden, so Schwester Mechthild.
Eine Option für einen längeren Aufenthalt auf dem «Sonnenhof» ist das «Kloster auf Zeit». Dies ist ein Volontariat, das mehrere Monate dauern kann. Das «Kloster auf Zeit» eignet sich für Menschen, die nicht nur die Stille suchen, sondern sich aktiv am Klosterleben beteiligen wollen. Dazu gehören Aufgaben im Hauswirtschaftsbereich und im Garten. Während des Aufenthalts werden die Volontärinnen und Volontäre wie alle Gäste von einer Schwester begleitet.
Neben den Aufenthalten bieten die Grandchamp-Schwestern Kurse an, von denen manche mehrere Tage dauern. Obwohl das Durchschnittsalter der Gäste bei 50 Jahren und höher liegt, gibt es auch für junge Menschen Kurse im Angebot. «Uns liegt es am Herzen, dass auch jüngere Menschen, die Stress und grosse Belastungen im Alltag leben, die Stille als Kraftquelle entdecken», sagt Schwester Mechthild.
Kein «klassisches» Kloster
Der «Sonnenhof» sei kein Kloster im klassischen Sinn, erklärt Schwester Mechthild. «In einem klassischen Kloster zieht man sich in die Klostermauern zurück und lebt die Verbindung zur Welt vor allem durch das Gebet.» Dabei gebe es wenig Begegnung zwischen Gästen und Schwestern. Im «Sonnenhof» hingegen essen Schwestern und Gäste gemeinsam und auch in der Kapelle gebe es Interaktion miteinander.
«Die Gäste bringen für uns ein Stück von der Welt», sagt Schwester Dorothea. Das, was in der Welt gelebt wird, zum Beispiel mit Berufstätigkeit oder Familie, bringen die Gäste mit, selbst wenn nicht viel darüber gesprochen wird. Durch den Gästeempfang können die Schwestern an dem teilnehmen, was die Welt bewegt.
Die Schwestern in Gelterkinden leben nach der Lebensregel von Taizé. Taizé ist eine Brüdergemeinschaft in Frankreich, die Richtlinien für das gemeinsame Leben aufgestellt hat. Neben der Stille im Gebet und den Taizé-Gesängen sind sie chrakteristisch für die Gemeinschaft. Die Lebensregel betont, welch eine Gnade die Vergebung ist, und ermutigt zu beständigem Neubeginn. Die Gemeinschaft von Grandchamp ist in ihrer Entstehungsgeschichte mit Taizé verbunden, weshalb sich die ersten Grandchamp-Schwestern dazu entschieden, diese Regeln zu übernehmen und in ihrem Alltag danach zu leben.
Der Nachwuchs fehlt
Eine Herausforderung für den «Sonnenhof» und die Kommunität Grandchamp ist die fehlende Balance zwischen Jung und Alt. Der Anteil der in Gelterkinden älter werdenden Schwestern ist grösser als jener der neu eintretenden. Das ist mit ein Grund, weshalb sich die Grandchamp-Gemeinschaft nur noch auf zwei Standorte beschränkt.
Zu Schwestern, die mittlerweile in einem Pflegeheim wohnen, haben die Schwestern vom «Sonnenhof» regelmässigen Kontakt. «Auch das ist eine Art von Präsenz, und es entsteht eine Verbindung zum Leben derer, die gepflegt werden, und den Pflegenden», so Schwester Dorothea.
Obwohl die Schwestern den grössten Teil ihrer Zeit auf dem «Sonnenhof» verbringen, gibt es wichtige Verbindungen zu Gelterkinden. Zum Einkaufen oder für Arztbesuche gehen sie ins Dorf und auch zur Kirchgemeinde pflegen die Schwestern regen Kontakt. Sowohl die katholische als auch die reformierte Kirchgemeinde stattet dem «Sonnenhof» hin und wieder einen Besuch ab. Und auch die Schwestern gehen manchmal zu Gottesdiensten ins Dorf.
«Wir möchten offen sein für alle Konfessionen», sagt Schwester Dorothea. «Wir möchten nicht nach Unterschieden suchen, sondern das Gemeinsame unterstreichen und gemeinsam auf dem Weg zu Gottes Reich sein.»