Am liebsten nochmals ein Jahr
21.08.2020 LangenbruckEine Schülerin berichtet von ihrem Austauschjahr in Kanada
Vor ihrem Eintritt ins Gymnasium hat Yahel Stern aus Langenbruck als Austausch-Schülerin ein Jahr lang in Kanada verbracht. Sie ist mit vielen Eindrücken im Gepäck ins Oberbaselbiet zurückgekommen. Ein ...
Eine Schülerin berichtet von ihrem Austauschjahr in Kanada
Vor ihrem Eintritt ins Gymnasium hat Yahel Stern aus Langenbruck als Austausch-Schülerin ein Jahr lang in Kanada verbracht. Sie ist mit vielen Eindrücken im Gepäck ins Oberbaselbiet zurückgekommen. Ein Erfahrungsbericht.
Yahel Stern
Im Frühling vor zwei Jahren habe ich mich spontan dazu entschieden, ein Austauschjahr zu absolvieren. Anfänglich wollte ich in den Sommerferien vor meinem Übertritt ans Gymnasium lediglich ein paar Wochen im Ausland einschalten, um Französisch oder Englisch zu lernen. Doch meine Mutter riet mir: «Mach daraus doch gleich ein Austauschjahr.» Ich war kurz ziemlich verblüfft, doch schon bald wurde aus der Idee ein konkreter Plan.
Als ich im August vor einem Jahr nach einem achtstündigen Flug am Airport von Toronto ankam, waren meine Gefühle gemischt. Auf der einen Seite war ich überglücklich, endlich dieses Abenteuer beginnen zu können, auf der anderen Seite waren Zweifel und Nervosität da. Letztere haben sich allerdings schnell wieder gelegt, da ich von vier einheimischen Rotariern herzlich empfangen wurde.
Die ersten paar Tage nach meiner Ankunft verliefen eher schwierig, da meine erste Gastfamilie sehr beschäftigt und ich oftmals allein zu Hause war. Irgendwann hatte ich von dieser Situation genug, setzte mich auf mein Velo und machte eine zweistündige Tour durch meine Gaststadt Burlington. Ich fuhr planlos durch die Strassen, ging downtown, hielt Ausschau nach meiner Schule und suchte verschiedene Einkaufsmöglichkeiten. In der Schule wusste niemand Bescheid, dass sie eine Austauschschülerin in der Klasse haben würden. Ich wurde niemandem vorgestellt und wusste auch nicht, ob es andere Austauschschüler gab.
Sprache erleichtert vieles
Irgendwann freundete ich mich mit einem Mädchen an und wir redeten und lachten viel. Ja, mein Akzent schien auch lustig zu sein. Nach einer Weile konnte ich mich gegenüber den Rotariern öffnen und immer mehr von ihnen waren bereit, etwas mit mir zu unternehmen. Dies erleichterte vieles, weil mir plötzlich jedes Wochenende Unterhaltung und anderes geboten wurde. Allmählich verbesserte sich auch mein Englisch und ich begann mich wohlzufühlen. Die meisten Rotarier haben ein grosses Herz und sind sehr an den Austauschschülern, ihren Familien und Herkunftsländern interessiert.
In den neun Monaten, die ich in Kanada verbrachte, erlebte ich viele wunderbare Momente und lernte Orte kennen, die vermutlich die meisten kanadischen Jugendlichen noch nie zu Gesicht bekommen hatten. So besuchte ich die Niagara-Wasserfälle und die Stadt Toronto. Unter den vielen Erlebnissen war zum Beispiel auch eine Motorradfahrt an «Thanksgiving». Oder Weihnachten, die ich zum ersten Mal nicht mit der eigenen Familie und auf gewohnte Art verbrachte, was aufregend und sehr emotional war.
Auch zum Skifahren kam ich. Zusammen mit einer finnischen Austauschschülerin wurde ich zum Mont Tremblant eingeladen. Verglichen mit den Alpen waren die Hügel zwar flach, aber trotzdem verbrachte ich denkwürdige Skiferien. Neben dem Skifahren selber kochten, spielten und tanzten wir viel. Auf dem Rückweg hielten wir in Ottawa und sahen uns die aufregende Stadt an.
Gleich in der Woche darauf besuchte ich das Camp Wanakita, alljährliches Highlight der Inbounds, wie die einreisenden Austauschschüler genannt werden. Wir haben die Outbounds, ihr Gegenstück, kennengelernt, Spiele gespielt, sind Langlaufen und Schneeschuhlaufen gegangen.
Zu Besuch beim Basketball
Das letzte, aber vermutlich das beste Erlebnis folgte Mitte Februar. Der Präsident meines Rotary-Gastklubs hat mich zu einem Basketballspiel der Toronto Raptors, dem Spitzenteam der NBA, eingeladen. Es war das mit Abstand aufregendste Erlebnis seit langem, nicht nur, weil ich noch nie ein Basketballspiel mitverfolgt hatte, sondern weil die Raptors mit diesem Spiel den Rekord gebrochen hatten, indem sie den zwölften aufeinanderfolgenden Sieg holten. Ich feuerte an, als wäre ich mein Leben lang ein Raptors Fan.
Mit dem Wissen, auf viel Unbekanntes zu stossen, stieg ich bei meiner Ankunft durstig aus dem Flugzeug und suchte den ersten Wasserhahn. Leider kam mehr Chlor als Wasser heraus. Widerlich. Neben dem Wasser war auch das Essen speziell. Viel Frisches fand ich auf Bauernmärkten, nicht aber in den normalen Einkaufsläden. Dafür viel Fast Food.
Der Schulalltag ist auch ganz anders. Statt fixem Stundenplan wählte ich pro Semester vier Fächer frei aus, so zum Beispiel Outdoor Education oder Psychologie. Der Unterricht fand nicht in einer Klasse, sondern in den jeweiligen Fächergruppen statt. Auch gab es Schulteams statt Vereine, ich spielte Basketball und machte beim Weihnachtsmusical «We Will Rock You» von «Queen» mit.
Die Menschen wirkten offener und engagierten sich oftmals im sozialen Bereich. So besorgte ich Essen für Obdachlose oder half an einem Sommerfest auf einer Recycling-Station mit, Abfälle auszusortieren. Als ich Kolleginnen anfänglich fragte, ob sie nach der Schule gerne etwas unternehmen würden, antworteten sie mir, dass sie zur Arbeit müssten. Ich war erstaunt, denn in der Schweiz arbeitet fast niemand neben der Schule. In Kanada arbeiten die meisten nach der Schule oder an den Wochenenden.
Offenheit und Durchhaltewillen
Am liebsten wäre ich noch ein Jahr geblieben. Ich kann ein Austauschjahr nur wärmstens empfehlen. Ich durfte zahllose Erfahrungen sammeln und wurde viel selbstständiger. Gefordert ist dabei Offenheit, um mit der neuen Kultur klarzukommen, und Mut, um auf Menschen zuzugehen. Es war aufregend, in meinem Alter alleine in die grosse, weite Welt zu treten, ins Leere zu tappen und dann eigenfüssig den Ausweg zu finden. Neben den vielen positiven Erfahrungen gab es auch Momente, in denen ich mich alleine fühlte oder hinterfragte, was ich gerade tat.
Aufzugeben kam für mich nie infrage, aber ich wurde oft auf die Probe gestellt und wurde dadurch selbstständiger und erwachsener. Auch lernte ich viele Menschen verschiedenster Charaktere kennen, wobei ich die einen mag und die anderen weniger. Und zu guter Letzt: Ich beherrsche jetzt eine andere Sprache fliessend. Es ist eine Erfahrung, die mir niemand nehmen kann.
Yahel Stern ist 17 Jahre alt. Sie wohnt in Langenbruck und hat im vergangenen Sommer die Sekundarschule, Niveau P, erfolgreich abgeschlossen. Nach ihrem Auslandsjahr in Kanada besucht sie nun seit dem 10. August das Gymnasium Liestal mit dem Schwerpunktfach Biologie und Chemie bilingual Englisch.
Bezahlen, betreuen und planen
jg. Die Rotary-Vereine der ganzen Welt unterhalten ein internationales Jugendaustausch-Programm, mit dem sie zur Völkerverständigung beitragen wollen und das auch Jugendlichen ohne Verbindung zu Rotary offensteht.
Der lokale Verein ist bei einem ausländischen Schüler, der ins Baselbiet kommt, zuständig für die Integration in Gastfamilien, Schulen und in den Rotary Club, für Sprachkurse und weitere Unkosten. Der Gastschüler, der bei Gastfamilien wohnt, erhält jeden Monat ein Taschengeld von 150 Franken und hat einen «Götti» zur Seite.