Hat sich Sutter wirklich so viel zuschulden kommen lassen?
03.07.2020 RünenbergZum Artikel «Die dunkle Seite der Zivilisation» in der «Volksstimme» vom 19. Juni, Seite 4, 5
Die «Volkstimme» hat die Quellen studiert. Der Eindruck, dass Sutter eine zweifelhafte Figur war, soll sich dabei eher verfestigt als verflüchtigt haben. Aber ...
Zum Artikel «Die dunkle Seite der Zivilisation» in der «Volksstimme» vom 19. Juni, Seite 4, 5
Die «Volkstimme» hat die Quellen studiert. Der Eindruck, dass Sutter eine zweifelhafte Figur war, soll sich dabei eher verfestigt als verflüchtigt haben. Aber auf einen so einfachen Nenner lässt sich diese Frage bei Weitem nicht beschränken. Und beantwortet ist mit der geäusserten Meinung auch noch gar nichts.
Denn das aktuellste Kapitel der Beweise für Sutters «Missetaten» stammt von der Historikerin Rachel Huber, die sich offensichtlich zum Ziel gesetzt hat, mithilfe neuester Erkenntnisse die Geschichte umzuschreiben. Sie schreibt, dass die einzige wissenschaftlich verfasste Biografie jene von Albert Hurtado ist («John Sutter. A Life on the North American Frontier», 2008).
Nimmt man sich nun die Mühe und liest einmal das von Hurtado verfasste Vorwort zu seinem Werk, erfährt man – immer unter der Beachtung des damals herrschenden Zeitgeistes – schon mehr über Persönlichkeit und Verhaltensmuster Sutters, als man im erwähnten Artikel erfährt. So ist diesem Prolog unter anderem zu entnehmen, dass Sutter vielen nach Land suchenden Siedlern das Leben rettete, indem er ihnen Unterkunft und Schutz vor Indianern und Mexikanern bot. Diese «zweifelhafte» Figur hatte also offensichtlich durchwegs auch ethische Charakterzüge.
Dieses Vorwort beleuchtet aber auch die weniger schönen Seiten Sutters und verheimlicht nicht, dass er die Wahrheit ausschalten konnte, wenn es seinen Zwecken entsprach, und log, wenn er dachte, es sei notwendig, was sicher als verwerflich gewertet werden kann. Ohne diese Attribute wäre Sutter allerdings zweifellos im wahrsten Sinne des Wortes in dieser damals wilden und feindlichen Umgebung nicht sehr alt geworden.
Sutter war zu seiner Zeit berühmt und ist heute zum Blitzableiter für Kontroversen über die moralischen Dimensionen der Eroberung des amerikanischen Westens geworden. Dieser Satz stammt nicht etwa von mir, sonder aus dem Vorwort von Hurtado selbst (2008). Die Schuldzuweisung der Historikerin Huber, die sie aufgrund von Lienhards Bericht festgestellt haben will, dass die Kolonie «Neu-Helvetien» auf der Grundlage von Zwangsarbeit der indigenen Bevölkerung funktioniert hat, Sutters «Handel mit indigenen Kindern, vornehmlich, um seine Schulden zu tilgen» erwähnt, in Sutter eine «zentrale Figur in den Verfolgungsund Dezimierungsvorgängen der indigenen Bevölkerung Kaliforniens» sieht, und Sutter für den Genozid, der mit dem Goldrausch 1848 einsetzte, mitverantwortlich macht, ist also nicht neu. Neu ist aber die Dimension der Anschuldigung selbst …
Um da aufgrund einiger vager Aussagen unter anderem eines sogenannten Kronzeugen von Sklavenhandel, Genozid und Dezimierungsvorgängen zu reden, braucht es ein gewisses Mass an Dreistheit. Diese scheint der Historikerin offensichtlich nicht abzugehen.
Nimmt man nämlich die ganze damalige Entwicklung, die Sutter selbst durchgemacht hat, mithilfe einer objektiven Sichtung diverser existierender «Nachschlagewerke» einmal etwas genauer unter die Lupe, war Sutter nicht nur Täter, sondern ist selbst zum Opfer geworden.
Nach der Entdeckung des Goldes 1848 beim Bau einer Sägemühle konnte nämlich weder Sutter noch der Entdecker Marshall von diesem Fund profitieren – Marshall starb völlig mittellos, Sutter verlor den grössten Teil seines riesigen Besitzes, der einmal weite Teile Kaliforniens umfasst hatte. Zusätzlich war die Umsetzung der Doktrin «Manifest Destiny», also Amerikas selbst verkündete göttliche Bestimmung, sich über den ganzen Kontinent auszubreiten, bereits 1845 im Gange. Zu diesem Zwecke war «Sutter’s Fort» bereits am Vorabend des Amerikanisch-Mexikanischen Krieges von amerikanischen Truppen unter Frémont als Stützpunkt benutzt worden.
Im Mai 1846 begann der Mexikanisch-Amerikanische Krieg. Am 11. Juli 1846 schliesslich wurde die amerikanische Flagge in Fort Sutter gehisst und am 24. Mai 1847 rückte eine halbe Kompanie des New Yorker Freiwilligen Regiments in Sutter’s Fort ein und Sutter musste das Kommando über das Fort abgeben.
Als die US-Bürger nach Westen vorrückten, waren schwere Konflikte sowohl mit den indigenen Amerika- nern als auch mit Mexiko unvermeidlich. Bereits schwer durch Krankheiten dezimiert, waren die Indianer nicht imstande, dem endlosen Strom weisser Siedler und dem sie begleitenden Militär Widerstand entgegenzusetzen, der indianische Niedergang und die Indianerkriege bilden dunkle Kapitel der amerikanischen Geschichte.
Dass nun Sutter dafür als Prügelknabe oder Blitzableiter, wie Hurtado es nannte, herhalten muss und in diesem Zusammenhang Begriffe wie Genozid und andere in Anwendung kommen, kann dem Verlauf dieses Teils der Geschichte deshalb in keinster Art und Weise gerecht werden. Da sollten sich schon eher die Nachkommen derer, die diese Taten tatsächlich begingen, selbst bei der Nase nehmen, bevor sie in einem symbolischen Akt Sutter vom Sockel stossen.
Der Zweck heiligt ja die Mittel, aber Unwissenheit schützt da erkennbar vor Torheit nicht. Von den Rünenbergern nun dasselbe Verhalten zu erwarten, ist deshalb schlicht «hirnrissig».
Heinz Pfeil, Gelterkinden