«Sportlich könnte man die Situation des FC Basel noch akzeptieren»
19.06.2020 Fussball, SportFanklub-Präsident André Mathys zur Kritik der Muttenzerkurve an der Vereinsführung
Die Basler Fussball-Fanszene tobt. Die Muttenzerkurve fordert den Rücktritt der Vereinsführung, Präsident Burgener und Co. lehnen die Forderung ab. André Mathys vom Oberbaselbieter FCB-Fanclub Orgesiss ...
Fanklub-Präsident André Mathys zur Kritik der Muttenzerkurve an der Vereinsführung
Die Basler Fussball-Fanszene tobt. Die Muttenzerkurve fordert den Rücktritt der Vereinsführung, Präsident Burgener und Co. lehnen die Forderung ab. André Mathys vom Oberbaselbieter FCB-Fanclub Orgesiss würde lieber mehr über Sport reden.
Sebastian Wirz
Vom Serienmeister und Liga-Dominator mit europäischen Glanzpunkten ist der FC Basel unter neuer Führung zu einem Sorgenkind geworden. Wie fühlt man sich als Präsident eines FCB-Fanklubs in den vergangenen drei Jahren, Herr Mathys?
André Mathys: Der FC Basel befindet sich in einer turbulenten Phase. Immer wenn man meint, es herrsche wieder Ruhe, kommt das nächste strittige Thema und die nächste seltsame Mitteilung. Wir sind mit all dem Theater zum FC Hollywood geworden – dabei gehörte dieser Titel doch immer den Young Boys.
YB hat dafür die Rolle des FC Basel als Favorit und Meister übernommen. Fallen der FC Basel und sein Umfeld auseinander, sobald der Verein nur Zweiter wird wie in den vergangenen zwei Saisons?
Der FC Basel und seine Fans waren in den vergangenen Jahren sehr verwöhnt. Die Erfolge kamen in Serie, auf tolle europäische Nächte folgten weitere. Viele wollten nicht wahrhaben, dass es nicht immer so weitergehen kann. Als YB dann 2018 Meister wurde, nach 8 FCB-Titeln in Serie, kamen Spieler wie Fans und Funktionäre auf die Welt. Oft war der Unterschied zur Konkurrenz davor gar nicht so gross gewesen. Trotzdem wurde der Meistertitel zur Selbstverständlichkeit und konnte nicht mehr für Euphorie sorgen. Deshalb fällt der FC Basel aber nicht auseinander. Wenn es nur das Sportliche wäre, hätten wir die aktuellen Diskussionen nicht. Man könnte sich mit dem zweiten Platz der vergangenen zwei Jahre abfinden und akzeptieren, dass YB einfach besser war.
Über Fussball und Resultate wird im Moment weniger geredet. Die Schützengräben werden tiefer: Die Muttenzerkurve hat die komplette Vereinsführung mit Ausnahme von David Degen zum Rücktritt aufgefordert. Präsident Burgener und seine Kollegen kommen dieser Forderung wenig überraschend nicht nach.
In den vergangenen drei Jahren sind immer mehr Nebenschauplätze dazugekommen. Die Anstellung von professionellen E-Sportlern, die Beteiligung am Chennai FC in Indien, die Diskussionen um die Kündigung und dann doch Weiterbeschäftigung von Trainer Marcel Koller, der Abgang von Sportchef Marco Streller mitten im Durcheinander, nun die öffentlich ausgetragenen Diskussionen um Lohnverzichte der Spieler – immer taucht ein neues Problem auf. Das hat es früher ganz einfach nicht gegeben.
Sie meinen unter Bernhard Heusler, Georg Heitz und Co.
Heusler war ein charismatischer Typ und ein ausgezeichneter Rhetoriker. Dafür hat den FC Basel die ganze Schweiz benieden. Er konnte nicht zuletzt sehr gut kommunizieren. Diesen Wechsel an der Spitze haben von der Klubführung bis zu den Fans wohl alle unterschätzt. Mit dem ganzen Erfolg und den finanziellen Polstern im Rücken hat man sich das zu einfach vorgestellt.
Wie stehen Sie selber zur Kritik der Muttenzerkurve?
Ich habe zu wenig Einblick in die Geschäfte, um das bewerten zu können und um den Rücktritt der Vereinsführung zu fordern. Es ist eine Tatsache, dass Fehler gemacht wurden und dass die finanziellen Reserven aufgebraucht worden sind. Vor allem ist für mich aber offensichtlich, dass es die neue Führung nicht schafft, den richtigen Ton zu finden und nachvollziehbar zu kommunizieren. Andererseits finde ich die Kritik der Muttenzerkurve zum jetzigen Zeitpunkt schade: Es geht endlich wieder los mit Matches und man könnte über Sportliches reden. Ausgerechnet jetzt geht der nächste Nebenschauplatz auf.
Die Muttenzerkurve spricht mit ihrer Forderung offiziell mit einer Stimme. Gibt es so etwas bei Ihnen auch?
Der Fanklub Orgesiss gehört zur IG der offiziellen FCB-Fanklubs. Wir haben einen weniger intensiven Austausch, als er in der Muttenzerkurve existiert, und wir versuchen, neutral zu bleiben. Es ist zudem schwierig, mit einerStimme zu sprechen: Bei einem Spiel im Stadion gibt es 30 000 Schiedsrichter, welche die Penaltyentscheidung besser beurteilen können als der Unparteiische auf dem Platz, und 25 000 Präsidenten, die bessere Spieler eingekauft hätten als der Klubchef auf der Haupttribüne. Die Muttenzerkurve vertritt sehr viele Leute, aber nicht alle, die in der Muttenzerkurve stehen oder sonst im Stadion sitzen. So wie ich als Präsident nicht die Meinungen aller Mitglieder des Fanklubs Orgesiss repräsentiere.
Haben Sie in Ihrem eigenen Verein einen Rückgang des Interesses wahrgenommen, seit die neue FCB-Führung am Werk ist und keine Meistertitel mehr zum Palmarès des FC Basel gekommen sind?
Nein, bei uns liegt der Rückgang des Interesses weiter zurück. Im Nachgang der Saison 2002, als der FC Basel zum ersten Mal seit 1980 wieder den Titel holte, war die Nachfrage riesig und wir sind extrem gewachsen. Nach einigen Jahren hat sich die Situation normalisiert und die Zahlen gingen auch bei den Serien-Titeln nach 2010 leicht nach unten. Wir sind alle älter geworden, fast alle haben Familie und der Besuch der FCB-Spiele hat nicht mehr höchste Priorität. Wir haben früher mehr Anlässe und Ausflüge organisiert. Heute schauen wir, dass wir mindestens eine Auswärtsfahrt im Jahr mit schönem Rahmenprogramm organisieren. Das Schöne ist, dass der Kern, der schon vor 2002 dabei war, auch heute noch an den Spielen zusammenfindet.
Nach langer Corona-Pause wird die Super League ab heute Abend fortgesetzt. Als Fanklub Präsident muss Sie eine Meisterschaft aus lauter Geisterspielen schmerzen.
Ja, mir blutet das Herz. Das geht gar nicht. Die Bratwurst und das Bier im Stadion gehören einfach zum Fussball. Ich habe mir einige Spiele in der Bundesliga angesehen, die ja bereits unter diesen Regeln angelaufen ist. Da sind einfach keine Emotionen vorhanden. Eine heisse Strafraumszene, ein heikler Schiedsrichterentscheid – da gäbe es einen Aufschrei im Stadion. Und dann kommt einfach nichts, maximal verwirft vielleicht ein Spieler die Hände. Um zum Gastronomischen zurückzukehren: Geisterspiele sind wie Bier ohne Alkohol im Stadion.
Muss der FCB in seinem ersten Post-Corona-Meisterschaftsspiel in Luzern am Sonntag also auf die Fernunterstützung des Orgesiss-Präsidenten verzichten?
Nein, die FCB-Spiele schaue ich trotzdem.
Zur Person
wis. André Mathys (44) ist Gründungsmitglied und seit der Gründung des Vereins 1996 Präsident des FCB-Fanklubs Orgesiss. Die Oberbaselbieter – der Name setzt sich aus den Anfangsbuchstaben der Gemeinden Ormalingen, Gelterkinden und Sissach zusammen – bilden einen von elf offiziellen Fanklubs des FC Basel und gehören zur entsprechenden IG.