«Das Ziel war plötzlich weg»
15.05.2020 Läufelfingen, Leichtathletik, Sport2020 hätte Antje Pfüllers Jahr werden können – dann kam Corona
Antje Pfüllers Leichtathletik-Jahr hat mit dem Deutschen U20-Meistertitel über 3000 Meter sehr gut begonnen. Dann endete es wegen Corona abrupt. Die Läufelfingerin trainert weiterhin intensiv und hofft auf eine späte ...
2020 hätte Antje Pfüllers Jahr werden können – dann kam Corona
Antje Pfüllers Leichtathletik-Jahr hat mit dem Deutschen U20-Meistertitel über 3000 Meter sehr gut begonnen. Dann endete es wegen Corona abrupt. Die Läufelfingerin trainert weiterhin intensiv und hofft auf eine späte Saison im Herbst.
Sebastian Wirz
Frau Pfüller, Corona machts möglich: Sie würden jetzt am Gymnasium im Schulzimmer sitzen, nun können wir vormittags ein Interview führen.
Antje Pfüller: Ja, ich habe mich mit dem digitalen Unterricht schnell angefreundet. Je nach Lehrer funktioniert es zwar unterschiedlich gut, aber es hat auch Vorteile: Mein Schulweg von Läufelfingen nach Liestal fällt weg. Da gewinne ich viel Zeit. Und wenn ich die Aufgaben einer Lektion fertig habe, kann ich die Schulstunde selber beenden und muss nicht darauf warten, bis die Pausenglocke läutet.
Damit haben Sie noch mehr Zeit zum Trainieren. Wie kommen Sie als Leistungssportlerin mit den Corona-Einschränkungen zurecht?
Ich mache zum Glück keinen Mannschaftssport. Wir Läuferinnen können eigentlich alles machen, nur der Zutritt zu Sportanlagen war begrenzt. In Liestal konnten wir aber trotz allem auf die Bahn.
Sie erhalten jeweils Pläne von Ihren Trainern. Fällt es Ihnen leicht, sich alleine zu quälen und Ihre sportliche Komfortzone zu verlassen?
Normalerweise absolviere ich fast alle Trainings mit Sibylle Häring zusammen. Wir treffen uns auch in der aktuellen Situation zwei- bis dreimal pro Woche zum Training, gerade für die intensiven Einheiten. Es ist schwierig, alleine an die Grenzen zu gehen. Das machen wir lieber zu zweit, dann können wir uns gegenseitig pushen.
Die Wettkämpfe, auf die Sie hinarbeiten, wurden vorerst alle abgesagt. Haben Sie keine Mühe, sich zu motivieren?
Als klar wurde, dass die Meetings nicht stattfinden, war das Ziel vor Augen plötzlich weg. Das fehlt schon. Wir machen jetzt alles nur, um in Form zu bleiben für einen allfälligen späten Saisonstart. Aber Motivationsprobleme habe ich deshalb nicht. Ich renne nun mal sehr gerne. Und der Ausfall der Wettkämpfe kann auch eine Entlastung sein. Wir haben nicht den Druck, unbedingt Anfang Juni in Topform sein zu müssen, wir haben Zeit.
Die Bilder von der U18-WM in Nairobi 2017 sind eindrücklich: Prall gefüllte Stadien und grosse Stimmung – bei einem Nachwuchs-Meeting. Im Juli hätte nun Ihre U20-WM in Kenia stattgefunden. Die Aussicht auf dieses Highlight muss Ihnen ganz einfach fehlen.
Die WM im für Leichtathletik begeisterten Kenia wäre schon etwas ganz Spezielles gewesen. In dem Land herrscht eine echte Läuferkultur, und diesen Event hätte ich sehr gerne miterlebt. Ich bin im Frühling als Vorbereitung auch extra für ein Trainingslager nach Südafrika gereist. Wir hatten noch Glück und haben fast unser ganzes Programm absolviert, aber dann mussten wir wegen Corona plötzlich abreisen. Die WM ist nun auf unbestimmte Zeit verschoben, aber nicht nur sie fehlt. Auch alle anderen Meetings. Und damit Chancen, gute Zeiten zu laufen und die Bestätigung zu erhalten, dass sich die Trainingsstunden auszahlen.
Je länger man trainiert, desto kleiner werden die Verbesserungen der eigenen Bestzeiten. Sie trainieren das ganze Jahr über, um über 800, 1500 und 3000 Meter eine oder wenige Sekunden schneller zu werden. Geht es Ihnen manchmal zu langsam?
Ich sehe das anders. Eine Bestleistung ist eine Bestleistung. Man geht an seine Grenzen und holt alles aus sich heraus, um sie zu erreichen. Und wenn man dann so schnell ist wie noch nie zuvor, dann hat man sich selber geschlagen, sich selber im besten bisherigen Zustand. Das ist doch ein grosser Erfolg. Natürlich trainiere ich viel, aber ich habe auch in den vergangenen Jahren viel trainiert. Da wäre es seltsam, wenn ich plötzlich um 10 Sekunden schneller wäre.
Vor Kurzem haben Sie aber einen grossen Schritt gemacht: An den Deutschen U20-Hallenmeisterschaften haben Sie über 3000 Meter gesiegt – in einer Wahnsinnszeit von 9:21,65 Minuten. Da fehlen nur 6 Sekunden zum Schweizer Indoor-Rekord bei den Frauen.
Ich war selber sehr überrascht. Eine Konkurrentin war in den Wochen davor deutlich schneller gelaufen, als meine persönliche Bestzeit war. Ich setzte mir zum Ziel, mich an ihre Fersen zu heften und einfach so lange dranzu- bleiben, wie ich kann. Aber dann fühlte ich mich so gut an diesem Tag: Als eine andere Konkurrentin auf den beiden letzten Runden angriff, ging ich mit, konterte und zog bis zur Ziellinie durch – ich konnte es zuerst gar nicht glauben. Ein deutscher Meistertitel, mit dieser Zeit – und das, obwohl die 3000 Meter gar nicht mein Fokus waren.
Auch über 1500 Meter haben Sie eine neue persönliche Bestleistung aufgestellt – 2020 hätte Ihr Jahr werden können.
Vor allem weil es über 3000 Meter so gut lief, hätte ich schon grosse Lust gehabt, auch draussen zu zeigen, was ich kann. Und damit auch zu sehen, wie sich meine Vorbereitung auswirkt. Ich hoffe noch auf eine späte Saison im Herbst, vielleicht ab September. Und sonst werden wir bei der LC Fortuna Oberbaselbiet einen eigenen Wettkampf organisieren, um uns zu messen.
Zur Person
wis. Antje Pfüller ist im Januar 18 Jahre alt geworden. Die Läufelfingerin hat bei der LC Fortuna Oberbaselbiet zur Leichtathletik gefunden und sowohl alleine als auch mit ihren Klubkolleginnen zahlreiche Nachwuchs-Schweizer-Meister-Titel erlaufen. Die schweizerisch-deutsche Doppelbürgerin ist zudem Mitglied der Leichtathletikgemeinschaft Region Karlsruhe und startet bei internationalen Wettkämpfen für Deutschland.