Wintertraining im Sommer
02.04.2020 SportZehnkampf | Finley Gaio kann der Verschiebung von Olympia Vorteile abgewinnen
Finley Gaio, dem bald 21-jährigen Zehnkämpfer aus Maisprach, wirbelt das Coronavirus die Saison völlig durcheinander. Dass die Olympischen Spiele um ein Jahr verschoben werden, hält er für ...
Zehnkampf | Finley Gaio kann der Verschiebung von Olympia Vorteile abgewinnen
Finley Gaio, dem bald 21-jährigen Zehnkämpfer aus Maisprach, wirbelt das Coronavirus die Saison völlig durcheinander. Dass die Olympischen Spiele um ein Jahr verschoben werden, hält er für völlig logisch. «Tokio» wäre für ihn wohl ohnehin ein Jahr zu früh gekommen.
Jürg Gohl
Nein. Für ihn sei keine Welt zusammengebrochen, als Anfang vergangener Woche beschlossen wurde, die Olympischen Sommerspiele in Tokio definitiv um ein Jahr zu verschieben. Das sei ohnehin absehbar gewesen. «Nun herrscht Klarheit», sagt Zehnkämpfer Finley Gaio aus Maisprach, und er lässt erkennen, dass er für die Idee, die Spiele in Japan trotz der bedrohlichen Coronakrise um jeden Preis durchzuboxen, auch aus ethischen Gründen wenig Verständnis aufgebracht hätte.
Immerhin räumten viele Fachleute dem bald 21-jährigen Leichtathleten des SC Liestal gute Aussichten ein, sich für den unbestrittenen Saisonhöhepunkt fast aller Sportarten zu qualifizieren. Denn der Sohn einer Amerikanerin und eines Italieners hat sich Jahr für Jahr steigern können. Dass diese Entwicklung ausgerechnet im vergangenen Jahr nicht in diesem Stil anhielt, hat einen einfachen Grund. Schmerzen im Knie, hervorgerufen durch eine Verletzung der Patellasehne, behinderten ihn in den Lauf- und Sprungdisziplinen. Dafür ging es bei ihm in den Wurfdisziplinen ein Stück vorwärts, auch wenn sich damit das Handicap punktemässig nicht ganz kompensieren liess.
Auch rein optisch sind die Fortschritte zu erkennen: Als der 16-jährige Finley Gaio seinen ersten Mehrkampf bestritt, wirkte er auf Bildern eher schlacksig. Regelmässiges Krafttraining hat inzwischen dazu geführt, dass er mit 1,86 Metern Körpergrösse und 83 Kilogramm Körpergewicht für seine Sportart Gardemasse vorweisen kann.
Paris doppelt im Fokus
«Als 21-jähriger Zehnkämpfer bereits an den Olympischen Spielen starten zu können, klingt ohnehin unglaublich», sagt der Athlet, der wohl nüchtern und selbstbewusst, nie aber überheblich wirkt, «mit 22 hingegen ist dieses Ziel bereits etwas realistischer.» Zehnkämpfer erreichen in der Regel ihre Blütezeit erst ab 25 Jahren. So gesehen kann Finley Gaio dem Umstand, dass die Olympischen Spiele der Moderne erstmals seit ihrer Premiere 1896 in Paris in Friedenszeiten verschoben werden müssen, sogar einen positiven Aspekt abgewinnen, weil er davon ausgeht, dass sein leistungsmässiger Steigerungslauf anhält.
Paris nimmt sowohl in seiner Saison- als auch in seiner Karriereplanung eine Schlüsselrolle ein: Ende August werden dort die Leichtathletik-Europameisterschaften ausgetragen – vorausgesetzt, dass bis dann die Coronakrise überwunden ist. Auf diese Titelkämpfe richtete Gaio das laufende Jahr ursprünglich aus. «Die EM ist noch nicht abgesagt. Ich hoffe, dass sie planmässig ausgetragen werden kann», sagt er.
In der französischen Hauptstadt werden aber im Jahr 2024 auch die übernächsten Olympischen Sommerspiele abgehalten. Im Jahr also, in dem Gaio 25 Jahre alt wird. Schon mehrfach liess der Oberbaselbieter verlauten, dass er dann nicht einfach mitmachen, sondern eine Medaille ins Visier nehmen wolle.
Jahr mit lauter Fragezeichen
Im aktuellen Jahr hingegen ist vieles in der Schwebe. So ist noch völlig offen, wo der zwischenzeitliche Inhaber des Schweizer U20-Rekords seine Wettkämpfe bestreiten will – aufgrund der enormen Belastung liegen in der Sommersaison um die vier Ernstkämpfe im Bereich des Möglichen. Die Anlässe von Landquart oder ganz in der Nähe von dort, im österreichischen Götzis, sind offiziell zwar noch nicht abgesagt, doch dürften sie ebenfalls dem Coronavirus zum Opfer fallen. «Zumal auf den Monat Mai der Höhepunkt der Coronakrise angekündigt wird», führt Gaio an.
Die Mehrkämpfer müssen auch ihren Trainingsbetrieb vollkommen auf den Kopf stellen, da auch die Sportanlagen für sie geschlossen sind. Das bedeutet: Statt des technischen Feinschliffs unter den kritischen Augen der Spezialtrainer ist weiterhin winterliches Grundlagentraining im Wald und im Kraftraum angesagt. «Ich trainiere gegenwärtig vermehrt zu Hause», sagt er.
Also Wintertraining im Sommer. Das lieben die Leichtathleten etwa gleich wie Eishockeyspieler und Skifahrer ihr Sommertraining fern von Eis und Schnee. Nämlich überhaupt nicht. Doch das sei, so sagt der Oberbaselbieter Olympiakandidat, angesichts der aktuellen Ereignisse ein untergeordnetes Problem.
Titel weckt Spass
jg. Finley Gaio war mit 16 Jahren ein begeisterter, vielseitig talentierter Leichtathlet, als ihn sein älterer Trainingskollege Matthias Steinmann aus Buus aufforderte, sich doch einmal in einem Mehrkampf zu versuchen. Gaio befolgte den Rat, meldete sich für die Schweizermeisterschaften an und holte bei den U16 auf Anhieb den Titel. Das stattete ihn gleich auch mit der nötigen Motivation aus, sich ganz auf das anspruchsvollste Genre der Leichtathletik einzulassen.