Mütter im Krisenmodus
07.04.2020 Bezirk Sissach, BucktenDer Familienalltag und Corona – Lagerkoller oder Chance?
Es ist beinahe wie Weihnachten. Wir sitzen alle zu Hause und haben viel zu viel eingekauft. Wegen Covid-19 sind die Schulen geschlossen und viele Eltern im Homeoffice. Kann das auf Dauer gut gehen?
Nelly ...
Der Familienalltag und Corona – Lagerkoller oder Chance?
Es ist beinahe wie Weihnachten. Wir sitzen alle zu Hause und haben viel zu viel eingekauft. Wegen Covid-19 sind die Schulen geschlossen und viele Eltern im Homeoffice. Kann das auf Dauer gut gehen?
Nelly Anderegg
Kennen Sie das: Harmoniesucht und Sticheleien an Weihnachten? Wenn die ganze Familie beisammen ist und alles in schönster Ordnung zu sein scheint, reicht oft ein falsches Wort. Und «bäm!» bricht die Hölle los. Dann hat die Dreifaltigkeit der Stimmungskiller wieder zugeschlagen: übersteigerte Erwartungshaltung, zu viel Nähe und Langeweile.
Aktuell befinden sich Familien in einer ähnlichen Lage. Im Schwebezustand der Coronakrise verbringen wir viel Zeit zu Hause. In Zeiten der Ansteckung wird der neue Alltag zur Herausforderung. Wir sind in Woche vier des Ausnahmezustands. Bisher hält sich mein Nervenkostüm noch wacker. Während mein Mann Daniel und unser Sohn Alex ihrer Tätigkeit noch ausser Haus nachgehen können, bin ich mit unserer 12-jährigen Tochter Nina zu Hause. Wir vier hocken also nicht permanent aufeinander.
Zauberwort: Tagesstruktur
Ich muss sagen, die Entschleunigung fühlt sich prima an. Das Homeschooling am Morgen kriegen wir ganz gut auf die Reihe. Mit Ausnahme von Mathe. Da gehen bisweilen leider die Gäule mit uns durch. Die Nachmittage sind frei für andere Aktivitäten. Neulich haben wir ihrem Zimmer einen frischen Anstrich verpasst. Die Aktion kann als Erfolg verbucht werden.
Dagegen war das Haareschneiden vor einigen Tagen ein Desaster. In Ermangelung eines Coiffeurs musste ich selber bei ihr Hand anlegen. Meine Warnung, dass ich kein Figaro bin, hat sie in den Wind geschlagen. Schnipp, schnapp, der Pony ist nun leider gezackt. Die verunglückte Do-it-yourself-Frisur sorgte für Ärger und Enttäuschung. Inzwischen hat Nina mir aber offenbar verziehen, denn jetzt soll ich ihr blonde Strähnchen verpassen. Echt jetzt?
«Und Katrin, wie läufts bei euch denn so in der Coronakrise?», frage ich meine Nachbarin. Bis jetzt ganz gut, sagt sie. «Äh, wie jetzt?» Ein Ehemann, drei Kinder, zwei Katzen und ein Hund hocken jetzt plötzlich auf einen Schlag zu Hause und weit und breit keine dunklen Wolken am Familienhimmel? Tagesstruktur heisst Katrins Zauberwort. Beim Frühstück wird besprochen, was jeder zu tun hat. Das hilft, Chaos und Streit zu vermeiden. Abmachungen sind verbindlich, darauf beharrt sie als Mutter. Das klappt mitunter auch mal nicht. Das neue Netflix-Probeabo sorgt für Ansporn, die Schulaufgaben zu erledigen, denn die Fernsehzeit sollen sich die Kinder verdienen.
Hasenzucht statt Primarschule
Auch bei meiner Schulfreundin Jacqueline und ihrer Familie bahnt sich noch kein Lagerkoller an. Vor zwei Jahren hatte sie mit dem älteren Sohn bereits ein Homeschooling-Jahr eingelegt. Freiwillig. Im Homeoffice ist sie, der Kinder wegen, schon seit 15 Jahren. Sie erlebt also gerade so etwas wie ein Déjà-vu. Das dürfte auch der Grund für ihre Gelassenheit sein. Ein «Pflanzplätz» und ein improvisiertes Gym im Keller helfen gegen die Langeweile und um überschüssige Energie loszuwerden.
Im und ums Haus herum werkeln steht bei Familien zurzeit hoch im Kurs. Projekte scheinen offenbar dem Lagerkoller entgegenzuwirken. So wittert der Bub meiner Kollegin Monika seine Chance, um nun endlich seine Hasenzucht zu verwirklichen. Sie hat in Anbetracht der Lage dazu grünes Licht gegeben. Der passende Hasenstall und eine trächtige Häsin hat der Fünftklässler bereits in Aussicht. Abnehmer für das Hasenfleisch hat der Jungunternehmer auch schon. So scheint jede Krise nicht nur Gefahren, sondern auch Chancen zu bergen.
Aktuell scheinen viele noch im Wir-sind-in-einer-total-neuen-Situation-und-halten-zusammen-Modus zu sein. Wie lange der wohl noch anhält? Vielleicht wird uns aber auch in Zeiten einer Krise wieder einmal bewusst: Wir sind alle gesund und können uns glücklich schätzen, einander zu haben. Es bleibt zu hoffen, dass wir uns auch kommende Weihnachten noch daran erinnern.