HERZBLUT
31.03.2020 GesellschaftMänni und ich
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Welt auch ohne einen weiteren Text zum Thema Corona auskommt. «Nur, worüber schreibe ich dann?», fragte ich mich am Samstag bei einem Spaziergang und versuchte Männi davon abzuhalten, am Wegrand ...
Männi und ich
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die Welt auch ohne einen weiteren Text zum Thema Corona auskommt. «Nur, worüber schreibe ich dann?», fragte ich mich am Samstag bei einem Spaziergang und versuchte Männi davon abzuhalten, am Wegrand Gras zu fressen. Männi ist etwa 1,75 Meter gross, 600 Kilogramm schwer und eines der beiden Pferde, die seit einigen Monaten bei uns auf dem Hof stehen.
Vielleicht erinnern Sie sich, ich habe hier schon einmal über die zwei geschrieben. Die Kurzfassung lautet folgendermassen: Während meine Schwester an keinem Pferd vorbeikommt, halte ich gerne gebührenden Abstand zu den Biestern. Ich gebe zu, ich habe mehr als nur Respekt vor ihnen, ich fürchte mich ein bisschen. Eine Tatsache, die meine Schwester nicht akzeptieren will.
Nun ist es so, dass ich gerne spazieren gehe. Und sie geht manchmal auch spazieren, aber eben mit den beiden Pferden im Schlepptau. Und weil eines der beiden Hottehüs noch ziemlich jung und schreckhaft ist, konnte ich schlecht Nein sagen, als ich mit leeren Händen bereit zum Losgehen dastand und sie – auf jeder Seite ein Pferd – mir den Strick hinhielt, an dessen anderem Ende der riesige, nicht so ängstliche Schimmel war. Widerwillig nahm ich ihn. «Ich übernehme keine Haftung!», klärte ich meine Schwester auf. «Ich halte nicht fest, wenn der wegwill.» «Jetzt geh einfach los», war ihre pragmatische Antwort. Ich tat, wie mir geheissen wurde, und trottete los. Es funktionierte erstaunlich gut.
Dass ich jedes Mal zusammenzuckte, wenn er schnaubte oder mit dem Kopf schüttelte, ignorierte er geflissentlich und ging mit zügigen Schritten den Weg entlang. Wir kamen tatsächlich zusammen wieder zu Hause an. Nach einigen weiteren Ausflügen begann ich sogar, mich ein wenig zu entspannen. Wenn Männi Gras fressen will, halte ich ihn durch ein kurzes «Pfui!» – ich weiss, falsche Tierart, aber das lässt sich so schwer abtrainieren – recht erfolgreich davon ab. Er bleibt sogar stehen, wenn ich es ihm sage.
Nur von Social Distancing hält er offenbar wenig, denn er rückt mir manchmal ziemlich auf die Pelle. Irgendwie konnte ich ihn bisher meistens wieder in die andere Richtung dirigieren. Und sonst gibts ja noch meine Schwester. «Er wird aufdringlich!», rufe ich dann über meine Schulter und werde gerettet.
Dazwischen versuche ich zu verdrängen, wie gross das Tier ist. Wenn ich etwa auf der Höhe seiner Vorderbeine gehe, klappt das ganz gut. Dann sehe ich nur seinen grossen weissen Kopf neben mir herschweben. So marschieren wir dann nebeneinander her. Und dabei frage ich mich, wann der Tag wohl kommen wird, an dem das 600-Kilo-Pferd merkt, dass es völlig bescheuert ist, sich von einer 55-Kilo-Frau an der Leine rumführen zu lassen, als wäre er ein 2-Kilo-Chihuahua.
Wenn der Tag gekommen ist, kann ich Ihnen gerne davon erzählen. Und solange bin ich einfach froh, dass ich mir nichts Neues, Cleveres und zum Nachdenken Anregendes zum Coronavirus ausdenken musste.
Michèle Degen, Redaktorin «Volksstimme»