«Es gibt Wichtigeres als den Sport»
17.03.2020 EishockeyRalph Stalders Karriereende ist abrupter als erwartet
Mehr als 860 Spiele hat Ralph Stalder in den beiden höchsten Schweizer Eishockeyligen absolviert. Mit dem Abbruch der Meisterschaft wegen des Coronavirus endet die Karriere des Buckters schneller als geplant.
Sebastian ...
Ralph Stalders Karriereende ist abrupter als erwartet
Mehr als 860 Spiele hat Ralph Stalder in den beiden höchsten Schweizer Eishockeyligen absolviert. Mit dem Abbruch der Meisterschaft wegen des Coronavirus endet die Karriere des Buckters schneller als geplant.
Sebastian Wirz
Herr Stalder, Sie haben vor einigen Wochen Ihren Rücktritt per Ende Saison bekannt gegeben. Ihre letzten Play-offs mit Fribourg-Gottéron fallen nun Corona zum Opfer. Versaut Ihnen das Virus den Abgang vom Profi-Eishockey ?
Ralph Stalder: Es ist schon schade – man will nicht mit abgesagten Playoffs abtreten. Aber es liegt nicht in unserer Hand und es gibt einfach Wichtigeres als den Sport. Eigentlich kommt mir das sogar gelegen: Das Rampenlicht und zelebrierte Abschiede sind nicht mein Ding. Vielleicht bin ich so der Einzige, der dieser ganzen Situation irgendetwas Positives abgewinnen kann.
In den vergangenen Wochen wurde der Spielbetrieb ausgesetzt. Wie muss man sich das Leben eines Profi-Eishockeyaners ohne Wettkampf vorstellen?
Das war schon seltsam. Im Sommer trainiert man auch ohne Spiele, aber man hat die Saison vor Augen, auf die man sich vorbereiten muss. Das war hier anders – wir haben ins Nichts trainiert. Aber wir mussten ja etwas machen und fit bleiben, denn die Playoffs hätten jederzeit starten können. Unser Trainer hat die Intensität hochgehalten, die Einheiten waren ziemlich intensiv. Am Donnerstagvormittag kamen dann alle in die Garderobe. Wir haben den Abbruch aber erwartet und uns gar nicht umgezogen. Als der Entscheid kam, dass die Meisterschaft beendet wird, haben wir die Garderobe geräumt und mit einem Bier angestossen. Es war ein seltsames Ende dieser Saison.
Für Sie ist es gleich auch das Ende Ihrer Karriere nach mehr als 863 Spielen in NLA und NLB.
Wenn ich diese Zahl höre, kriege ich gleich müde Beine.
Was haben Sie besonders genossen am Profi-Leben?
Mir bleibt gar nicht hauptsächlich das Eishockey in Erinnerung, sondern die Möglichkeiten, die mir der Sport eröffnet hat: Ich bin in der Schweiz und in Europa rumgekommen, habe viele Menschen getroffen und Sprachen gelernt. Auch meine Zukunft, die Ausreise und mein «Projekt Kanada», sind durch das Hockey entstanden.
Haben Sie Ihre Berufswahl nie bereut?
Es gab schon schwierige Momente. Als Junior war alles pures Vergnügen, als Profi ist der Sport aber auch einfach Arbeit und Existenz. Ich war 21, als ich mit dem EHC Basel aus der Nationalliga A abstieg. Danach floss kein Geld mehr, es herrschte ein paar Monate Ungewissheit, wie es weitergeht. Rückblickend war das kein Problem, aber in dem Moment war es schwierig. Es geht alles sehr schnell im Eishockeybusiness. Du hast stets Ein- bis Zweijahresverträge und musst dich um deine Zukunft sorgen. Ich habe in Davos eine Sportlerlehre abgeschlossen, aber ich hätte in der Schweiz keinen Job mehr erhalten. Ich habe ja in der Folge 15 Jahre lang nicht mehr auf dem Beruf gearbeitet.
Konnten Sie den Ablauf Ihrer Karriere selbst bestimmen oder mussten Sie immer einfach nehmen, was kam?
Eine Karriereplanung gab es bei mir nie. Es war Naivität, die mich mit 14 nach Davos trieb. Die hat es aber für meine Karriere wohl gebraucht: Ich wusste, ich werde dort Eishockey-Profi – obwohl nur ganz wenige diesen Schritt schaffen. Irgendwie hat es geklappt. Dann holte mich Ueli Schwarz nach Basel, ein paar Jahre später folgte der Abstieg. Dann ging es über Langenthal nach Biel und in die Westschweiz. Es gibt immer wieder einen Zug, auf den du aufspringen musst. Es gab oft mehrere Möglichkeiten. Dann muss man entscheiden und nicht zögern. Und was ich entschieden habe, habe ich danach immer durchgezogen. In meinen ersten NLA-Jahren war ich stets noch ausgeliehen. Ich habe immer sehr viel gespielt, das war wichtig. Als ich in Basel war, habe ich sogar noch ein paar Spiele für Zunzgen-Sissach in der 1. Liga gemacht.
Von Biel aus ging es nach Lausanne, Genf und Fribourg. Sie haben für alle welschen NLA-Klubs gespielt. War es Ihnen wohler in der Westschweiz?
Als ich zum ersten Mal nach Lausanne ging, dachte ich: «Nach zwei Jahren bin ich wieder zurück in der Deutschschweiz.» Ich war schliesslich in der Schule nicht gerade ein Hirsch im Französisch. Dann habe ich meine Frau getroffen, wurde herzlich in Familie und Umfeld aufgenommen, habe die Sprache schnell gut gelernt und fühlte mich bald integriert und sehr wohl.
Sie wohnen nun schon seit zehn Jahren in der französischen . Wie stark ist Ihre Verbindung zum Oberbaselbiet noch?
Meine ganze Familie wohnt im Oberbaselbiet und das ist und bleibt, wo ich herkomme. Und die Schweiz ist ja klein. Man setzt sich ins Auto und ist nach anderthalb Stunden Fahrt da.
Den Grundstein für Ihre Karriere haben Sie beim EHC Zunzgen-Sissach gelegt. Sie verliessen den Verein aber schon sehr jung.
Von den Leuten, die ich bei ZS kannte, sind nicht mehr viele da. Ich wechselte ja schon bei den Piccolo in Richtung Olten, weil es die entsprechende Liga auf der «Kunsti» nicht gab. Diese Entwicklung geht immer weiter: Die Schläpfers und Kambers vor mir blieben länger in Sissach, ich ging bei den Piccolo, und die heutigen angehenden Profis gehen noch früher. Sie müssen bald in den Ausbildungszentren der grossen Klubs sein, um den Anschluss nicht zu verpassen. So ist das nun mal heute. Es kommt ja kaum noch vor, dass jemand 1. Liga spielt wie ich im Bündnerland, und dann noch Profi wird. Das passiert alles auf höchster Stufe im Nachwuchs.
Sie beenden Ihre Karriere mit 33 Jahren und wollen nach Kanada ausreisen. Verzögert das Coronavirus Ihr Zukunftsprojekt?
Mal sehen. Sollte es mit dem Auswandern in naher Zukunft tatsächlich nicht klappen, könnte ich gar noch eine Saison anhängen. Das habe ich mir so offengelassen, aber das müsste ich natürlich noch mit dem Verein verhandeln. Wenn das Visum nicht kommt, gehe ich zumindest mal ins Sommertraining.
Worauf freuen Sie sich im Mutterland des Eishockeys?
Wir haben in den vergangenen Jahren stets den Sommer in Kanada verbracht. Es ist ein tolles Land: Es ist mit Landschaft und Bergen wie die Schweiz, hat aber mehr Platz und weniger Leute. Abgesehen vom Ort freue ich mich auf ein Leben nach dem Hockey: Mal eine ganz normale Woche haben, fünf Tage Arbeit und ein freies Wochenende. Zeit haben für die Familie. Wir Eishockeyprofis haben schon viel frei, aber wir haben nicht wirklich frei: Acht Monate lang haben wir Stress, Druck und immer klare Priorität fürs Hockey.
Was werden Sie vermissen?
Die Schweiz bleibt das beste Land der Welt. Alles funktioniert und wir haben alles, was wir uns gewohnt sind. Ich sehe mich schon bei meinem ersten Besuch in der Schweiz durch Coop und Migros streunen. Aber hierzulande kriegt man nichts fürs Geld. In Kanada habe ich ein Haus für einen Betrag gekauft, der hier für eine 3½-Zimmer-Wohnung reichen würde. Die Familie werde ich vermissen: Aus der eineinhalbstündigen Autofahrt für einen Besuch wird nun ein zwölfstündiger Flug.
Zur Person
wis. Ralph Stalder ist in Buckten aufgewachsen und hat seine ersten Eishockey-Schritte auf der Sissacher Kunsteisbahn gemacht. Über Juniorenstufen in Olten und Davos gelangte er zum EHC Basel, mit dem er in die Nationalliga A auf- und 2008 wieder abstieg. In der Folge stand er für alle Westschweizer NLA-Klubs in der höchsten Schweizer Liga im Einsatz. In den vergangenen Jahren amtete er beim HC Fribourg-Gottéron gar als Assistenzcaptain. Die Zeit nach dem Karriereende will Stalder mit seiner Frau und den drei Kindern in der Nähe von Calgary in Kanada verbringen, wo er seit ein paar Jahren ein Haus besitzt. Beruflich wird er sich im Tourismus und weiterhin im Umfeld des Eishockeys betätigen.