Als Frottee noch «made in Sissach» war
10.01.2020 Baselbiet, WirtschaftVor einem Vierteljahrhundert war bei Durizzo frères endgültiges Lichterlöschen
Vor 25 Jahren war alles fertig: Die Maschinen der Frottierweberei Durizzo wurden in Sissach aus der Fabrik geholt und nach Alexandria in Ägypten verschifft. Die 1950 gegründete Firma zog 1956 nach Sissach. ...
Vor einem Vierteljahrhundert war bei Durizzo frères endgültiges Lichterlöschen
Vor 25 Jahren war alles fertig: Die Maschinen der Frottierweberei Durizzo wurden in Sissach aus der Fabrik geholt und nach Alexandria in Ägypten verschifft. Die 1950 gegründete Firma zog 1956 nach Sissach. Es war die letzte Baumwollweberei der Nordwestschweiz.
Stefan Burkhart
Der 91-jährige René Durizzo erzählt aus einem langen Leben: «Wir sind eine Textildynastie. Grossvater Igeilio Durizzo kam um 1905 aus Oberitalien nach Wädenswil. Er und seine fünf Söhne waren allesamt Tuchweber. Dank ihrer technischen Fähigkeiten stiegen sie bald auf und verteilten sich in der Schweiz. Der Name Durizzo wurde in der Wolltuchbranche ein Begriff.»
Einen der Söhne, Umberto, verschlug es nach Liestal. Er arbeitete bei der Schild AG. Er wiederum liess zwei Söhne zurück, als er 1936 verstarb, viel zu jung: Das waren Adrian und René Durizzo, Jahrgang 1921 und 1928.
Adrian trat ganz in die Fussstapfen des Vaters. Er absolvierte eine Tuchmacherlehre bei Schild AG. Mitten im Krieg (1940) studierte er an der Höheren Textilfachschule in Cottbus (Deutschland). Aus ihm wurde ein Dessinateur, ein Textildesigner, wie man heute sagt. Es folgten einige Wanderjahre. Allerdings kriselte es Ende der 40er-Jahre in der Wolltuchfabrikation. Für ambitionierte Kaderleute wie Adrian gab der Arbeitsmarkt nicht viel her.
Modische Designs als Nische
So reifte der Gedanke, ein eigenes Geschäft aufzubauen. Erfolg versprach nur ein Spezialgebiet. Frottierwaren sahen damals langweilig, ja spiessig aus. Adrian hingegen wollte modische Designs kreieren. Das war seine Nische. Er holte seinen Bruder René, einen Kaufmann, ins Boot. Das Startkapital kratzte man Franken um Franken zusammen. Es reichte für zwei Rüti-Webmaschinen – Occasionen, versteht sich.
Nur ein Raum fehlte noch. Und der musste sechs Meter hoch sein, sonst passten die Maschinen nicht hinein. Die Erbengemeinschaft Wackernagel besass jenes Grundstück in Frenkendorf an der Rheinstrasse, wo heute der Coop steht. Dort gab es einen Wintergarten samt Scheune mit den richtigen Massen. Die kleinen Durizzos sassen eines Tages am Tisch, vor ihnen ein Vertreter der schwerreichen Basler Erbengemeinschaft. «Kaufen Sie doch das ganze Grundstück», empfahl er den Brüdern. Das war ein schlechter Witz. «Wie hätten wir das Geld aufbringen sollen? 180 000 Franken!» Stattdessen mietete man das Lokal für 150 Franken pro Monat.
Es ging los. «Kollektivgesellschaft Durizzo frères, Fabrikation und Handel in Textilien». So hiess es ab dem 22. Februar 1950 im Handelsregister. Zehn, zwölf Stunden arbeiteten die Brüder – weit in die Nacht hinein, was ihnen das Gerücht einbrachte, sie würden im Dunkeln Leichen transportieren. Die Tagesproduktion von 60 bis 100 Tüchern wurde per Veloanhänger zu Mutter Durizzo nach Liestal spediert, die das Material im Waschraum längsseitig schnitt. Zwei Heimarbeiterinnen holten die Ware gegen 19 oder 20 Uhr zum Nähen ab. Die Fakturierung erfolgte am Sonntag nach dem Kirchgang. Etwas Entlastung brachte eine Cousine aus Italien, die zu einem Stundenlohn von 1.75 Franken eingestellt wurde.
Richtig rentierte das Ganze aber nicht, zu klein, zu kompliziert. Die Brüder mussten über die Bücher. Da bot sich die Möglichkeit, an der Liestaler Allmendstrasse einen Raum von 150 Quadratmetern zu mieten, der Platz für fünf bis sechs Maschinen bot. Man zog um. Auch das Privatdomizil der Durizzos war ja in Liestal und sollte es immer bleiben, bis heute. Der Durchbruch gelang. Einige Artikel waren so erfolgreich, dass man mit Liefern fast nicht nachkam.
Umzug nach Sissach
Doch die Nachbarn beklagten sich über Lärm und Vibrationen. Eine behördliche Schliessung war zu befürchten. Da kam es gelegen, dass ein industrielles Schwergewicht in Schieflage geriet: Die Florettspinnerei Ringwald AG musste grosse Liegenschaftsbestände flüssig machen. Zum Verkauf stand auch die Obere Fabrik in Sissach. Die Durizzos verhandelten mit Edouard Merian, dem Ringwald-Boss, einem Basler Grossbürger von altem Schrot und Korn. Adrian Durizzo erinnert sich: «Das liess er uns schon spüren.» Schliesslich kauften die Brüder den hinteren Teil des Geländes mit den Shedbauten. Der vordere Teil ging an die Wernli AG, ebenfalls eine Textilfabrik. Der Umzug erfolgte im Sommer 1956.
Sieben Leute standen damals in der Fabrik, 1960 schon zwölf, Tendenz steigend. Der Arbeitsmarkt war aber ausgetrocknet. Die Italiener zogen teilweise in die Heimat zurück. Für jeden neuen Ausländer brauchte es eine Bewilligung. Es war die Zeit der Überfremdungs-Kampagnen von Schwarzenbach. In diesem Umfeld trafen am 27. April 1970 die ersten vier Portugiesen bei Durizzo ein, später kamen noch mehr. Die eingesessene Belegschaft war verwundert, wie geschickt und tüchtig die Exoten anpackten. Die Neuen logierten in einer Wohnung im Bürogebäude. 1972 baute die Firma sogar ein ganzes Personalhaus am Bützenenweg, also gleich um die Ecke.
Mit dem Wachstum wurde es in den Räumen stetig enger und stickiger. Es war ein ständiges Hin und Her zwischen Lager und Fabrik. 1969/70 erfolgte der erste Anbau. 1979 wurden nochmals 450 Quadratmeter Lager angebaut. Auch in den Maschinenpark investierten die Durizzo-Brüder nach Kräften. Zwischen 1970 und 1982 schafften sie acht Saurer Webmaschinen an, neuster Bauart, dazu neue Näh- und Packmaschinen. Fast 20 Maschinen ratterten bis Ende der 1970er-Jahre in den Räumen. Die Maschinenfabrik Saurer in Arbon war damals noch ein leuchtender Stern am Schweizer Industriehimmel. Die Durizzo frères fungierten als Vorzeigebetrieb. Interessenten aus aller Herren Länder kamen zu Besichtigungen nach Sissach.
Plötzlich brach der Umsatz ein
Die Konjunktur verdunkelte sich indessen zu Beginn der 1990er-Jahre immer mehr. 1990 wurden nochmals modernste Nähmaschinen angeschafft. Doch ein Jahr danach sackte der Umsatz um ein Viertel ab. Ende 1992 wurden die ersten sechs Kündigungen ausgesprochen. Auch Kurzarbeit brachte nichts. Das Geschäft wurde immer härter. Die Österreicher boten die Ware bis 20 Prozent, die Portugiesen bis zu 40 Prozent billiger an. Später fluteten die Asiaten den Markt.
Adrian Durizzo war damals schon über 70 Jahre alt, sein Bruder jenseits der 60. Sie mussten sich ernsthafte Sorgen über ihre Zukunft machen – und über die Zukunft der Mitarbeiter, die ihnen auch menschlich ans Herz gewachsen waren. Einige dienten mehr als 20 Jahre treu im Betrieb. Händeringend suchten sie nach einer Lösung oder nach einem Käufer, der das Geschäft weitergeführt hätte. Erfolglos.
So legte sich langsam der Herbst 1993 über das Land. Es blieb nur die Schliessung. «Niedergeschlagen und enttäuscht» seien die beiden Brüder, schrieb der damalige Chefredaktor Robert Bösiger in der «Volksstimme» vom 30. November 1993. «Für uns war es schwer, auch emotional», erzählt René Durizzo heute. «Es war unser Lebenswerk.»
Auch der Verkauf des Maschinenparks gestaltete sich zäh. Anfang 1995, also vor 25 Jahren, verliessen 18 Container Sissach via Hamburg nach Alexandria in Ägypten. Heute, 25 Jahre später, blicken die Brüder mit Wehmut, aber ohne Bitterkeit zurück. Ihre Firma mag Geschichte sein. Geschaffen haben sie aber Bleibendes. «Stets noch grüssen uns ehemalige Mitarbeiter und deren Kinder oder laden uns ein. Mit viel Freude hören wir immer wieder, dass unsere Frottierwäsche nach wie vor in Gebrauch steht. Selbst heute noch.»
Marke «Ondina»
sb. Bei einem Handtuch kommt heute kaum noch jemand auf die Idee, es könnte «made in Switzerland» sein. Alles ist abgewandert in Billiglohnländer. Die Durizzo frères war eine jener Schweizer Webereien, die am längsten durchgehalten hatte. Die Produktepalette umfasste Handtücher, Badetücher, Waschlappen, Strandtücher, Coiffeurtücher, Militärtü- cher. Der Markenname Ondina wurde 1963 eingetragen. 70 Prozent der Produktion ging an Warenhäuser, 30 Prozent an Hotels oder Spitäler. Abnehmer waren Firmen wie Oscar Weber, Loeb, Globus, Coop, EPA, ABM, Manor und andere mehr. Im Sissacher Fabrikladen konnten Kunden direkt einkaufen. Pro Geschäftsjahr betrug der Output zwischen 60 000 und 80 000 Stück. Das entsprach einer Gewebefläche von 36 200 Quadratmetern.100 bis 130 Tonnen Garn wurden jährlich verwoben. Eine Spezialität waren moderne Designs (Firmenlogos, Namenszüge und so weiter). Die Programme für die Steuerung der Maschinen wurden auf Lochkarten gespeichert. 1980 stieg der Umsatz auf 4 Millionen Franken. Bis zu 30 Leute arbeiteten im Betrieb, dazu fünf Heimarbeiterinnen.