Ein Tag, ein Drama, ein Buch
12.12.2019 RatgeberLesetipp | «Tod in Genua» von Romana Ganzoni
In Romana Ganzonis erstem, rasant erzählten Roman prallt ein Paar aus der Welt des Zuviels auf das Genua einer alten, echten Dame, die ein anderes Jahrhundert gesehen hat. In einer Stadt, die gerade mit ihnen ...
Lesetipp | «Tod in Genua» von Romana Ganzoni
In Romana Ganzonis erstem, rasant erzählten Roman prallt ein Paar aus der Welt des Zuviels auf das Genua einer alten, echten Dame, die ein anderes Jahrhundert gesehen hat. In einer Stadt, die gerade mit ihnen untergeht.
Pia Grieder
Das Drama spielt an einem einzigen Tag, dem 5. September 2018. Wenige Wochen zuvor hat das monumentale Polcevera-Viadukt 43 Personen unter sich begraben.
Paul und Nina. Weil sie beide dasselbe Buch lasen, waren sie im Rondell der Universität gleich Feuer und Flamme. Der Mathematikstudent nahm die angehende Opernsängerin mit nach Genua – und die elegante Zia Matilde, «letzter Star Europas», die dazu noch die beste Pasta der Welt macht, erteilte ihnen den Segen für eine Ehe ohne Probezeit.
An diesem Septembertag reist das Paar nach Genua, bereitet die Totenfeier vor und begräbt die geliebte Zia auf dem Genueser Monumentalfriedhof. Symbolisch verbindet sich der Tod der eleganten und stets rauchenden Frau mit dem Zerfall Genuas. Die einst so pompöse Stadt ist in den vergangenen Jahren marode geworden und von Korruption und Gewaltverbrechen gezeichnet.
Während dieses einen Tags der Beerdigung geschieht spektakulär wenig und viel zugleich. Verhandelt wird das in den Gesprächen zwischen den Angehörigen der Trauergesellschaft und zwischen Nina und Paul. Das Entscheidende aber erzählt Romana Ganzoni zwischen den Zeilen. Die Autorin offenbart es in den Assoziationen und Andeutungen. Auf gespenstische Weise greifen Tod und Leben ineinander. Hier, auf dem Friedhof Staglieno, fördert der Tod verdrängte Erinnerungen zutage: Im Laufe der weiteren Erzählung erfährt man, dass Nina und Paul lange versucht hatten, ein Kind zu bekommen. Doch nach mehreren Fehlversuchen tragen sie auch ihre letzte Hoffnung auf ein spätes Elternglück zu Grabe – in der Stadt, in der ihre gemeinsame Geschichte einst begann.
Etwas zwischen Nina und Paul ist aufgebrochen: eine Lücke, die sich nicht schliessen wird. Geheimnisvoll und sinnlich erzählt Romana Ganzoni vom Ende einer italienischen Ära und vom Ende einer Liebesbeziehung. Beide gehören untrennbar zusammen. Das Politische und das Persönliche verbindet die Autorin über das Bild des Bodens, der feste Untergrund, auf dem das Paar gemeinsam ging. Die Stabilität ihrer 17-jährigen Beziehung war zuletzt mehr Schein als Sein – genau wie die politische Stabilität Italiens.
Das Besondere an diesem Roman ist diese latente Doppelbödigkeit der Erzählung, welche die Lesenden erst verführt, nur um sie zum Schluss in ungeahnte Abgründe blicken zu lassen. Romana Ganzoni leistet das vor allem sprachlich. Wiederholt spricht die Erzählerin und Opernsängerin Nina von der «vita dolce», von schweren Parfüms, von Opernstücken und extravaganter Mode. Diese Passagen sind nicht nur figurentreu, sondern sie werden zu einem poetischen Spiel von Zeigen und Verbergen, von Schein und Sein.
Romana Ganzoni wurde 1967 in Scuol, Unterengadin, geboren, wo sie auch aufwuchs. Geschichts- und Germanistikstudium an der Universität Zürich, Aufenthalt in London. Nach zwanzig Jahren Tätigkeit als Gymnasiallehrerin widmet sie sich heute ganz dem Schreiben und lebt als freie Autorin in Celerina, Oberengadin. «Granada Grischun» ist ihre erste Buchveröffentlichung. Eigentlich hätte die Autorin im August 2018 die Rohfassung von «Tod in Genua» einreichen müssen. Aber einen Roman über Genua zu veröffentlichen, ohne den Einsturz der Morandi-Brücke zu erwähnen, wäre für sie einer Verleugnung der Tatsachen nahegekommen.
Pia Grieder, Gemeinde- und Schulbibliothek
Gelterkinden, Sissacherstrasse 20, 4460 Gelterkinden, www.bibliothek-gelterkinden.ch, bibliothek@gelterkinden.ch
Romana Ganzoni «Tod in Genua», Verlag Edition Blau, 178 Seiten. Das Buch kann in der Gemeinde- und Schulbibliothek Gelterkinden ausgeliehen werden.