CARTE BLANCHE
12.11.2019 PolitikInnovation – Substantiv, feminin [die]
Laura Grazioli, Landrätin Grüne, Sissach
Wir leben in einer Zeit aussergewöhnlicher Herausforderungen. Wir brauchen Lösungen. Und in einem Punkt ist man sich einig: Dafür ...
Innovation – Substantiv, feminin [die]
Laura Grazioli, Landrätin Grüne, Sissach
Wir leben in einer Zeit aussergewöhnlicher Herausforderungen. Wir brauchen Lösungen. Und in einem Punkt ist man sich einig: Dafür braucht es Innovationen, und zwar viele davon. Eine Innovation ist per Definition die Neuerung oder Erneuerung eines Prozesses, Produktes oder einer Technologie. Umgangssprachlich meinen wir mit «Innovation» vor allem die wirtschaftliche Umsetzung neuer Ideen und Erfindungen. Und da wir so dringend auf sie angewiesen sind, stellt sich die Frage, wie Innovation eigentlich entsteht:
Freie Märkte, smarte Erfinder, Wagniskapital und möglichst wenig staatliche Intervention? Mitnichten. Der Ursprung von Innovation liegt in den selteneren Fällen in den Kräften des freien Marktes und «puren» Unternehmertums. Selbstverständlich gibt es sie, bei uns und anderswo: Diejenigen, die aus eigener Kraft neue Produkte, Dienstleistungen, Lösungen gefunden haben. Und das ist grossartig. Aber umgekehrt ist es keineswegs minderwertig, dass der grösste Teil der Innovationen bei uns und weltweit dank staatlicher Unterstützung zustande kommt.
Wir wissen heute – unter anderem dank der faszinierenden Arbeit der Ökonomin Mariana Mazzucato – dass Innovation vor allem dort entsteht, wo es eine starke öffentliche Innovationsförderung und damit einhergehende finanzielle Mittel gibt. Mehr noch: Überall, wo dank technologischen Innovationen wirtschaftlicher Aufschwung und Wohlstand generiert wurde, war ein aktiver Staat beteiligt.
Extrembeispiel ist das Silicon Valley, angeblicher Hotspot unternehmerischer Innovation und freier Marktwirtschaft: Von Apple über Google bis Tesla – die innovativsten Firmen der Welt entstanden allesamt auf der Basis staatlich geförderter Technologien. Nicht zufällig befinden sich in der Schweiz die starken Branchencluster und Startup-Ökosysteme rund um die Eidgenössischen Hochschulen, Universitäten und Fachhochschulen.
Nachdenklich stimmen sollte uns, dass die Schweiz zwar seit 2011 den ersten Platz des Global-Innovation-Index belegt, aber gleichzeitig einen in Europa einzigartigen Rückgang an Innovation verzeichnet. Seit 2000 hat sich die Quote der Unternehmen, die Forschung und Entwicklung betreiben und/oder neue Produkte und Prozesse eingeführt haben, halbiert. Zu Recht wird deshalb die Forderung nach einer neuen Innovationspolitik gestellt. Denn, wie Mazzucato aufzeigt: Es ist unwahrscheinlich, dass das notwendige, auf Innovation basierende, nachhaltige Wachstum primär aus der Wirtschaft kommen wird.
Wahrscheinlicher ist, dass Staaten ihre wichtige Rolle als Innovationsförderer wahrnehmen und die Entwicklung der wesentlichen Zukunftstechnologien vorantreiben, die dann von Unternehmen eingeführt werden können und sollen. Und das ist eine gute Nachricht, denn wir wissen nicht erst seit Mazzucato, dass Märkte nicht immer effizient funktionieren und nicht immer dort innovieren, wo es gesellschaftlich nötig wäre.
Für die Politik heisst das: Es braucht eine neue Diskurskultur über das Zusammenspiel von Markt und Staat, die sich nicht entlang dogmatischer Entweder-oder-Linien bewegt, sondern in Sowohl-alsauch-Potenzialen denkt.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.