Die letzte Kugel des Weissgardisten
31.10.2019 RatgeberBuchtipp | Gaito Gasdanow: «Das Phantom des Alexander Wolf»
Im Secondhand-Bücher-Antiquariat im Cheesmeyer-Huus hab ich es entdeckt: «Das Phantom des Alexander Wolf». Ein jugendlicher Weissgardist wird von einem Reiter eingeholt und feuert seine ...
Buchtipp | Gaito Gasdanow: «Das Phantom des Alexander Wolf»
Im Secondhand-Bücher-Antiquariat im Cheesmeyer-Huus hab ich es entdeckt: «Das Phantom des Alexander Wolf». Ein jugendlicher Weissgardist wird von einem Reiter eingeholt und feuert seine letzte Kugel ab.
vs. 2012 wurde der Roman des russischen Dichters Gaito Gasdanow auch ins Deutsche übersetzt und so «ein Glücksfall für den (deutschen) Leser» («Süddeutsche Zeitung»). Gaito Gasdanow war einer der wichtigen russischen Exilautoren und lebte vorwiegend in Paris, wo er sich als Taxifahrer und Arbeiter in den Renault-Werken durchschlug. Geboren wurde er 1903 in St. Petersburg, er nahm unter General Wrangel in der Weissen Armee am Bürgerkrieg teil und emigrierte 1923. Gasdanow starb 1971 in München.
Im Roman berichtet der Erzähler, der ehemalige Weissgardist, der in Paris als Journalist im Exil lebte, wie er im russischen Bürgerkrieg einen Mann auf einem grossen Schimmel erschossen hat. Schuldgefühle über diesen «Mord» belasten ihn seither: «Ich bin mir nicht sicher, ob er nicht unwillkürlich alles geprägt hat, was zu erfahren und zu erblicken mir später beschieden war», schreibt er.
Viele Jahre später liest er die Kurzgeschichte eines englischen Autors namens Sascha Wolf «I’ll Come Tomorrow», in der genau dieses Ereignis geschildert wird. Nun beginnt er den Autor zu suchen und lernt zufällig einen Russen kennen, der den Autor damals schwer verwundet gefunden hat. Gegen alle Erwartungen hat dieser im Spital überlebt. Lässt sich eine direkte Begegnung mit Sascha Wolf arrangieren und könnte der Erzähler dadurch seine Ausgeglichenheit wiederfinden?
Anlässlich eines Boxkampfs lernt der Erzähler Jelena kennen. Sie zieht ihn an, obwohl sie etwas abweisend Starres an sich hat. Allmählich öffnet sie sich und erzählt ihm von einem Mann, von dem sie sich nur schwer trennen konnte, obwohl er sie mit in den Abgrund der Morphinsucht ziehen wollte und sie bedrohte.
Sie lebt in der Angst, von ihm aufgespürt zu werden. Der Erzähler kennt dieses Gefühl, dass etwas für immer zerbrochen ist, gut aus seiner persönlichen Kriegserfahrung: Das Moralsystem hat dann nur noch relative Gültigkeit und bleibt theoretisch. So treibt die Handlung unaufhaltsam auf ihren Höhe- und Wendepunkt zu.
Das Buch ist konsequent aufgebaut. Aus der Unvollständigkeit des Anfangs ergibt sich die Belastung, mit der auch die Spannung entwickelt wird: Wer ist Sascha Wolf und was wird passieren? Der Roman lebt aber nicht nur von der Spannung, sondern auch vom Gehalt, indem Abgründe der menschlichen Existenz ausgeleuchtet werden. In der eleganten Übersetzung von Rosmarie Tietze liest sich das Buch leicht und eröffnet Einblick in die grosse seelische Eiszeit des 20. Jahrhunderts.
Erschienen im Verlag dtv, München, 2017 3. Auflage. Erhältlich im Secondhand-Bücher-Antiquariat, Verein «Loose – Rede – Läse» im Cheesmeyer-Huus, Hauptstrasse 55, Sissach.