Babyglück aus Kunststoff
24.09.2019 LausenSabine Schaub stellt hyperrealistische Puppen-Unikate her
Mit Pinsel, Schwämmchen und Ölfarben haucht Sabine Schaub Puppen Leben ein. Seit 2013 stellt sie Puppen her, die aussehen wie echte Babys. Ihr Hobby – «Reborn» – teilt die 48-Jährige mit immer mehr ...
Sabine Schaub stellt hyperrealistische Puppen-Unikate her
Mit Pinsel, Schwämmchen und Ölfarben haucht Sabine Schaub Puppen Leben ein. Seit 2013 stellt sie Puppen her, die aussehen wie echte Babys. Ihr Hobby – «Reborn» – teilt die 48-Jährige mit immer mehr Menschen.
Sara Keller
Sie sind weich und schwer, haben Äderchen, Kratzer und Milchspots. Doch die Neugeborenen, die unter einem zarten Betthimmel im Bettchen liegen, haben eine kalte und glatte Haut, denn sie sind aus Kunststoff. «Es sind Puppen. Egal wie realistisch sie aussehen, eine warme Haut werden sie nie haben», sagt Sabine Schaub. Die 48-Jährige stellt die hyperrealistischen Puppen in akribischer Handarbeit her.
Schaubs Hobby nennt sich «reborn» (englisch für wiedergeboren), weil früher normale Spielzeugpuppen als Grundlage für die Herstellung der täuschend echt wirkenden Puppen dienten. Um die Puppen realistischer zu gestalten, begannen in den 1990er-Jahren Frauen in den USA, sie auseinanderzubauen, die Farbe zu entfernen und ihnen in einem neuen Färbeprozess neues Leben einzuhauchen – «wie eine Wiedergeburt», so Schaub. In der Zwischenzeit gibt es auch im deutschsprachigen Raum eine wachsende Reborn-Szene.
Abtauchen in eine andere Welt
Schaub muss heute für ihr Hobby keine Puppen mehr zerstören. Im Internet bestellt sie die Reborn-Bausätze aus Vinyl. Ihr kleiner Showroom im ersten Stock des Lausner Einfamilienhauses, in dem sie mit ihrem Mann und ihren drei Söhnen lebt, ist voll von einzelnen Puppenbeinen, -armen und -köpfen.
In einem ersten Schritt reinigt sie die einzelnen Teile eines Bausatzes, bevor sie sie färben kann. In mehreren Schichten trägt sie nun Ölfarbe auf. Besonderen Wert legt sie dabei auf Details wie Äderchen oder kleine Kratzer, die sich Neugeborene gerne selber zufügen.
Der Färbeprozess ist ihr Lieblingsschritt in der Herstellung: «Dabei kann ich vollkommen in meine eigene Welt eintauchen und alle Sorgen vergessen.» So komme es schon mal vor, dass sie vier oder fünf Bausätze einfärbe, bevor sie mit dem «rooten», dem Einsetzten der Haare, beginne. «Ein notwendiges Übel», sagt Schaub und lacht. Mit einer Filznadel pflanzt sie jedes Haar einzeln in das Köpfchen ein. Es handelt sich um echtes Mohair oder Alpakahaar.
Damit die Puppe einen weichen Körper hat, füllt sie diesen mit Watte und Softgranulat. Zusätzlich werden Rumpf und Kopf mit Edelstahlgranulat gewichtet, damit sich die Puppe beim Hochheben möglichst realistisch anfühlt.
Zwischen Druck und Kreativität
Dabei arbeite sie immer vollkommen frei und lasse sich selbst stets aufs Neue vom Resultat überraschen. So sei es auch schon vorgekommen, dass ein Bausatz mit einem männlichen Namen als Mädchen «wiedergeboren wurde», erzählt sie belustigt. Sie geniesse die Möglichkeit, sich vollkommen frei dem Entstehungsprozess hingeben zu können und in ihrem Tempo zu arbeiten. Die Herstellung einer Reborn-Puppe dauert zwischen 150 und 200 Stunden. Ob sie diese Arbeitsstunden in wenigen Wochen oder mehreren Monaten auf sich nehme, sei von Puppe zu Puppe unterschiedlich.
Diese Freiheit nahm sich die Lausnerin nicht immer: Zwischen 2015 und 2018 stellte sie beinahe ausschliesslich Puppen auf Auftrag her, was ihr jegliche Kreativität geraubt habe: «Ich konnte mich nicht mehr in den Prozess einleben, sondern stand stets unter Druck, rechtzeitig fertig zu werden», so die ehemalige Pflegeassistentin. 2018 erlebte sie aus gesundheitlichen und beruflichen Gründen einen Zusammenbruch, der auch eine Veränderung bei der Handhabung ihres Hobbys nötig machte.
Seitdem «reborne» sie nach ihren eigenen Regeln und stelle das Hobby wenn nötig auch mal in den Hintergrund. So wie es in den kommenden vier Jahren, in welchen sie eine Ausbildung zur Sozialpädagogin absolviert, der Fall sein wird. Danach habe sie es sich aber zum Ziel gesetzt, mindestens zehn Puppen herzustellen, mit denen sie an Reborn-Messen in Sigriswil oder im deutschen Eschewege ihr Können zeigen will.
Eine Puppe für 700 Franken
Bis dies so weit ist, verkauft sie die Reborn-Babys für rund 700 Franken. «Viele finden die Puppen ungemein teuer, dabei ist der Materialwert eines Reborns schon um die 300 Franken», erklärt sie. «Für Kenner sind sie hingegen Kunst- und Sammelobjekte, die ihren Preis haben», fügt sie an.
Darüber hinaus kaufen Hebammen für Still- und Wickelkurse sowie Spitäler und Altersheime bei ihr ein. «Besonders auf an Demenz erkrankte Personen haben die Puppen oft eine sehr beruhigende Wirkung», erklärt Schaub. «Nicht selten sprechen Patienten gar besser auf sie an als auf beruhigende Medikamente.» Auch Frauen, die ein Kind verloren haben oder keine bekommen können, gehören zu ihren Kundinnen, dies seien aber Ausnahmen, sagt Schaub. «Reborn-Babys können eine gute Hilfe sein, ein Trauma zu überwinden.»
Sammlerinnen und Sammler würden oft behandelt, als wären sie nicht ganz bei Verstand, was die Puppenkünstlerin sehr bedauert. Für den Grossteil von ihnen sei es ein ganz normales Hobby. «Ich kenne viele Frauen, deren Kinder noch im Schulalter sind, die aber dennoch liebend gerne ihre Reborn-Babies im Kinderwagen spazieren führen», sagt Schaub. «Mein grösster Wunsch ist, dass wir Reborner unser Hobby frei ausleben können, denn es ist eine normale Freizeitbeschäftigung wie das Kochen.»