«Tanzen liegt den Evastöchtern»
06.09.2019 Gelterkinden, Turnen, SportIn Gelterkinden wurde 1919 die erste Damenriege im Bezirk gegründet
Am Samstag feiert die Damenriege Gelterkinden ihren 100. Geburtstag. Müsterchen aus dem «Volksstimme»-Archiv zeigen, wie sich die Wahrnehmung des «Damenturnens» verändert hat.
Sebastian ...
In Gelterkinden wurde 1919 die erste Damenriege im Bezirk gegründet
Am Samstag feiert die Damenriege Gelterkinden ihren 100. Geburtstag. Müsterchen aus dem «Volksstimme»-Archiv zeigen, wie sich die Wahrnehmung des «Damenturnens» verändert hat.
Sebastian Wirz
Am 6. November 1924 lädt die Damenriege Gelterkinden in der «Volksstimme» per Eingesandt die Öffentlichkeit dazu ein, in einer offenen Turnstunde vorbeizuschauen. Es geht nicht darum, wie an einem Turnerabend einstudierte Übungen zu präsentieren und damit zu unterhalten. Die Absicht ist eine andere:
«Dann werden vielleicht auch die Vorurteile gegen das Damenturnen schwinden und die Eltern williger als bisher ihrer Pflicht, ihren Töchtern auch die Möglichkeit körperlicher Ausbildung zu verschaffen, nachkommen. Im muntern Turnbetrieb liegt das Gegengewicht gegen die Schädigungen einseitiger Berufsarbeit, da stellt sich dann im Kreise von Altersgenossinnen ungesucht jener Frohmut ein, der so leicht über die Mühen und Verdriesslichkeiten des Alltags hinweg hilft.»
Die Damenriege Gelterkinden gibt es da schon fünf Jahre. Am 7. Juni 1919 ist die Gründung der Sektion erfolgt, «nahezu eine Pioniertat», wie es in der Jubiläumsschrift des Turnvereins von 1964 heisst. Nach Münchenstein und Liestal handelte es sich erst um den dritten entsprechenden Verein im Kanton. Mit der Zeit zieht das «Damenturnen» zunehmend seine Kreise, wie der «Volksstimme» vom 21. September 1921 zu entnehmen ist:
«In unserm Kanton bricht die Idee von der Notwendigkeit zweckmässiger Leibesübungen auch für das weibliche Geschlecht sich immer mehr Bahn.»
Doch die Frauen bleiben das Rahmenprogramm. Die Organisatoren des Kantonalen Schwingertags in Gelterkinden 1921 danken der «flotten Kellnerinnenschar» und am Bezirksturnfest desselben Jahrs in Läufelfingen werden die «schneidigen und exakten Vorführungen der löblichen Damenriege» gelobt, während das Ringen und Schwingen der Männer die meisten Zuschauer «in Anspruch nahm».
Die «Damen» turnen, doch an sportlichen Wettkampf ist in den ersten Vereinsjahren nicht zu denken. Symptomatisch dafür sind die Erwähnungen der Damenriege rund um die Eröffnung der Konzert- und Theatersaison durch den Turnverein 1921:
«Ihre kostümierten Tänze und Reigen werden als Gegensatz zu der strammen Arbeit der Turner das Programm mehr nach der anmutigen Seite zu ergänzen suchen.»
Hinterher hält der Berichterstatter fest:
«Das Tanzen liegt unsern Evastöchtern halt im Blut, und intensives Schaffen wirkt auf Körperhaltung und Gesundheit sehr günstig ein, und wir möchten sie ermuntern, so weiter zu fahren.»
Emanzipation à la Turnen
Seit den Anfangstagen, als die Turnstunden in Gelterkinden 1919 mangels Turnhalle im Saal des Gasthofs Rössli abgehalten wurden, ist viel Zeit vergangen und hat sich noch mehr verändert. Aus den «tanzenden Evastöchtern» wurden in den 1960er-Jahren Leichtathletinnen. Diese Gruppe ging später in der Leichtathletikvereinigung Oberbaselbiet (heute Leichtathletikgemeinschaft Oberbaselbiet, LGO) auf. In den 1990er-Jahren hielt nach der Gymnastik das Schulstufenbarrenturnen Einzug in der Damenriege. Daraus entwickelte sich wiederum eine eigene Riege, die um die Jahrtausendwende fünf Kantonalmeistertitel in Serie feierte. Auch heute sind die Gelterkinderinnen in dieser Disziplin in der Region nicht mehr wegzudenken.
2011 ist die Damenriege per Fusion mit dem Turnverein verschmolzen. Dennoch feiern die Gelterkinderinnen am Samstag ihr eigenes Jubiläum. Und zwar intern: «Es gibt schon genügend Anlässe, an denen unsere Mitglieder Helfereinsätze leisten müssen. Dieses Fest soll für uns sein», sagt Tanja Gyger, Vizepräsidentin des TVG und langjährige Leiterin der Stufenbarrenriege.
Zu feiern ist nicht zuletzt, dass die «Damen» im Gegensatz zur Gründungszeit vor 100 Jahren im Turnsport nicht mehr als «anmutiges» und «löbliches» Beigemüse zur «strammen Turnarbeit» der Männer gesehen werden. Beim TV Gelterkinden sind in den schätzbaren Disziplinen gemischte Teams und am Schulstufenbarren ein reines Frauenteam für die Erfolge der jüngsten Vereinsgeschichte verantwortlich. Die Emanzipation zeigt sich nicht zuletzt am Jubiläumsanlass: Für die Damenriege steigen einige Männer des Turnvereins in die Hosen.