Wenn Schusslinien Strassen kreuzen
22.08.2019 SportSchiessen | Zur Geschichte des Schiesswesens in Sissach; Teil 4: Neue Anlagen in Eichhölzli und Sagenacker
Bevor die Rheinfelderstrasse und die Autobahn gebaut wurden, flogen dort Gewehrkugeln in Richtung Scheibenstand. Und das «Kantonale» 1947 sorgt bei den ...
Schiessen | Zur Geschichte des Schiesswesens in Sissach; Teil 4: Neue Anlagen in Eichhölzli und Sagenacker
Bevor die Rheinfelderstrasse und die Autobahn gebaut wurden, flogen dort Gewehrkugeln in Richtung Scheibenstand. Und das «Kantonale» 1947 sorgt bei den Vereinen für finanzielle Probleme.
Ueli Oberli
Die Einführung der weittragenden kleinkalibrigen Waffe mit erhöhter Durchschlagskraft ihrer Geschosse und die grössere Schussdistanz zwangen die alten Sissacher Schützen zur Aufgabe ihrer heimeligen Schiessstätte auf der Kleinen Allmend. Die Frage des neuen Schiessplatzes war lange Zeit heissumstritten. Niemand wollte aus Furcht vor der Schiessgefahr das nötige Land abtreten.
Schliesslich gelang es, unterhalb der Letten eine Parzelle schlechten Bodens zum sagenhaften Preis von 500 Franken zu erwerben. Die Fläche betrug 874 Quadratmeter, davon waren laut Grundbuchauszug 112 Quadratmeter Zeigung (Scheibenstand) und der Rest Hausplatz. Toni Speiser vom Lettenhof hat als Jüngling im Kugelfang noch nach Blei gesucht. Das Zeigerwägli war bis vor Jahren noch ein Begriff. Der Platz für den Schiessstand oberhalb der Eichhölzlireben am Strässchen nach Wintersingen wurde von Matthias Rieder-Buser (Urgrossvater von Thomas Rieder in der Mühle) nur gepachtet, und zwar zum jährlichen Pachtzins von 50 Franken «für solange, als die Gesellschaft existiert.» Die Fläche der Schiesshütte betrug 134 Quadratmeter.
Laut Walter Burren im Hofacker stand dort ein Bienenhaus. War das die umgebaute Schiesshütte? In dieser Zeit war die heutige Rheinfelderstrasse noch nicht erstellt und auch das Einfamilienhaus Cleis stand noch nicht. Die Schussdistanz betrug 300 Meter. Ende September 1875 wurde der Stand mit einem Ehr- und Freischiessen, verbunden mit einem Kegelschieben, seiner Bestimmung übergeben. Die erst vier Jahre alten Feldschützen spendeten eine Ehrengabe im Wert von 50 Franken. Die Bauabrechnung für die 15 Scheiben belief sich auf rund 11 000 Franken. Die 23 Mitglieder hatten als «Gegenleistung» eine verzinsliche Schuld von 7300 Franken auf dem Buckel. Die Anlage befriedigte jedoch niemanden. Die fremden Schützen fluchten über den steilen Aufstieg, den falschen Wind, der alle Augenblicke von links nach rechts wechselte, sie fluchten über die schlechte Beleuchtung und über den schwankenden Boden, da dieser aus einer mangelhaften Holzkonstruktion wie auf Stelzen erstellt war.
Heimliche Landsuche
So kam es, dass der so prächtig gelegene Schiessstand der Standschützen weit und breit in einem schlechten Ruf stand. Dieser erreichte am Kantonalen Schützenfest 1897 seinen Höhepunkt, da der notwendige Anbau von 10 provisorischen Scheiben etwas gar billig ausgeführt war. Die Leitung für die elektrische Läuteeinrichtung wurde damals schon in den Boden verlegt. Als dann nur drei Jahre später wieder grössere Reparaturen notwendig wurden, war es endgültig genug.
Klammheimlich rekognoszierte Gerichtsschreiber G. Tschudi in der ganzen Umgebung von Sissach geeignetes Terrain, bis er sich schliesslich für das Gebiet bei der Säge (Sagenacker) entschied. In aller Stille kaufte er Parzelle um Parzelle. Denjenigen, die kein Land verkaufen wollten, offerierte er einen vorteilhaften Tausch. Als ein sicheres Gelingen in Aussicht stand, trug er die ganze Frage der Gesellschaft vor, die das ganze Projekt genehmigte. Es fehlten jedoch im Schussfeld noch zwei schmale Äckerlein. Da die Besitzer jedes Mal einen höheren Preis forderten, wurde ohne diese beiden Parzellen gebaut.
Zusammen mit den Feldschützen, die zu dieser Zeit auch Platzprobleme hatten und weiter oben am Tannenbrunnweg auch schon eine Parzelle erworben hatten, wurde die Anlage mit 16 Scheiben gebaut und 1902 mit einem Ehr- und Freischiessen eingeweiht. Die ganze Anlage mit den Bauten und den Landkäufen (insgesamt rund 180 Aren) zwischen der Zunzgerstrasse und dem Kugelfang kostete alles in allem rund 22 000 Franken. Zusammen mit dem Schiessstand der Freischützen in unmittelbarer Nachbarschaft entsprach die Anlage allen Anforderungen und war der Stolz der Sissacher Schützen bis zum Baubeginn der Autobahn und dem Abbruch des Scheibenstandes im Herbst 1968. Mit einem «Ende Feuer im Sagenacker» am 31. August wurde die Anlage verabschiedet.
Schulden wegen KSF
1947 führten die drei Vereine das Kantonale Schützenfest durch. Um der grossen Teilnehmerzahl gerecht zu werden, wurde durch das OK der «Zwischenstand» als Provisorium erstellt. Die Feld- und Standschützen bauten den «Zwischenstand» fertig aus, bauten den bestehenden Stand um und richteten Zugscheiben ein. Die Feldschützen richteten zudem ein Büro ein. Trotz dem Gewinnanteil von ungefähr 8500 Franken pro Verein verblieb den Feldschützen eine Hypothek von 10 000 Franken und den Standschützen eine von 8500 Franken. An dieser «Schuld» nagten die Feld- und Standschützen bis weit in die 1960er-Jahre.
Da das Obligatorische Programm immer noch auf mehrere Distanzen geschossen werden musste, erstellte Heinrich Graf im Auftrag der Feldschützen im Wald über der Autobahn knapp an der Grenze zu Zunzgen einen 400m-Scheibenstand, der heute noch sichtbar ist. Ab 1928 wurde das Land zwischen dem Schützenhaus und dem Scheibenstand an den Reiterklub Beider Basel vermietet.
In dieser Zeit bestand in Sissach auch ein «Flobertclub», heute Kleinkaliber- oder Sportschützen. Aus der alten Zeit finden sich leider praktisch keine Hinweise, und über die Standorte der Schiessplätze gibt es keine Unterlagen. Im Dezember 1947 wollten die Kleinkaliberschützen jedoch den neuen «Zwischenstand» pachten. Zwei Jahre später erstellten die Kleinkaliberschützen Oberbaselbiet Sissach im Himmelrain einen neuen Schiessplatz, der Standort war knapp an der Grenze in der Gemeinde Zunzgen, der Scheibenstand steht heute noch an der Böschung. Zwölf Scheiben standen zur Verfügung, die Lägerbreite mass nur 85 Zentimeter.
Im Juni 1950 fand in Sissach ein kantonales Kleinkaliberschützenfest mit rund 1200 Teilnehmern statt. Rund 70 000 Patronen wurden verschossen, davon einige auch vom Luzerner Weltmeister Karl Zimmermann. Für dieses Fest wurden in einem Provisorium extra 40 Scheiben, aufgeteilt in 10 Vierergruppen, eingerichtet. OK-Präsident war der Ingenieur und Bauunternehmer Albert Wyss.
Gemäss der Berichterstattung in der «Volksstimme» waren die Abendunterhaltungen fast wichtiger als das eigentliche Schiessen. Verbunden mit dem offiziellen Tag fand die Einweihung der ersten Fahne des Sportschützenverbands Beider Basel statt. An diesem Fest wurde ein Minus von 8500 Franken erwirtschaftet. Der letzte bekannte Hinweis ist ein Inserat als Einladung zum Volksschiessen 1954. Der Verein ging danach in Konkurs.
Der Sissacher Ueli Oberli kennt sich im Schiesswesen aus. Er war während 17 Jahren Kassier und Präsident der ehemaligen Feldschützen Sissach und in den 1960er-Jahren Präsident der Baukommission der Schiessanlage Limperg. Er ist immer noch aktiver Schütze.
Vierter Teil einer fünfteiligen Serie zur Geschichte des Schiesswesens in Sissach. Bisher erschienen: «Schiessen um Hosen und Schürletz» (3. August, Seite 15); Eine ‹Pflanzstätte treuer Bürger›» (9. August, Seite 12); «Von ‹Grütli›-, Freiund Feldschützen» (15. August, Seite 13).