Der Gattopardo
11.07.2019 RatgeberLesetipp | Roman von Guiseppe Tomasi di Lampedusa
Der Gattopardo ist ein grossartiger Roman, den zu lesen sich immer wieder lohnt. Er passt gut zu heissen, träge machenden Sommertagen und entführt die Vorstellung in das ferne, trockene und staubige Sizilien ...
Lesetipp | Roman von Guiseppe Tomasi di Lampedusa
Der Gattopardo ist ein grossartiger Roman, den zu lesen sich immer wieder lohnt. Er passt gut zu heissen, träge machenden Sommertagen und entführt die Vorstellung in das ferne, trockene und staubige Sizilien von 1860, dem Jahr der Landung Garibaldis im italienischen Einigungskrieg.
Andreas Leugger
Don Fabrizio Corbera, Fürst von Salina, erlebt dort die grossen Umwälzungen, die zur Bildung des liberalen Königreichs Italien führen und die uralten aristokratischen Machtstrukturen auflösen. Hünenhaft gross und stark steht Don Fabrizio seiner Familie vor und geht – scheinbar unerschütterlich, aber unzufrieden und ohne Initiative – seinen Weg. Von seiner Frau und den Kindern verlangt er fromme Sittsamkeit, was ihn nicht davon abhält, auch bei den gefährlichen Verhältnissen der Revolution in die Stadt zu fahren, um eine Prostituierte aufzusuchen.
Aber die Welt von Don Fabrizio bröckelt, zwar langsam, aber an vielen Stellen. Seine Einkünfte aus den Ländereien nehmen ab – auch weil er betrogen wird und sich nicht dagegen wehrt – und er muss Teile seiner Ländereien verkaufen. Sein Sohn Paolo verlässt die Familien und sucht ein eigenes Leben in England. Sein verarmter Neffe Tangredi di Falconieri, den er mehr liebt als seine eigenen Kinder, schlägt sich auf die Seite Garibaldis und damit auch auf die Seite der neuen Geldaristokratie. Sein zynischer Rat an Don Fabrizio, der zwischen der alten Bourbonenherrschaft und dem neuen Königreich Italien laviert, lautet: «Wenn wir nicht auch dabei sind, bescheren die uns die Republik. Wenn alles bleiben soll, wie es ist, muss sich alles ändern.» (S. 35) Don Fabrizio stimmt denn auch der Hochzeit von Tangredi mit Angelica, der schönen Tochter des bäuerischen Emporkömmlings Don Calogero zu, der seinen Grundbesitz auch auf Kosten von Don Fabrizio erweitert. Auf den Heiratswunsch seiner Tochter geht er nicht ein. Don Fabrizio erkennt zwar die Notwendigkeit des Wandels, aber er entwickelt keine Energie und wird damit zum Spiegelbild des Landes Sizilien: ausgedorrt und ausgelaugt durch die Sonne und Jahrhunderte Fremdherrschaft. Faszinierend dargestellt in der Fahrt der ganzen Familie ins Innere auf den Sommersitz «Donnafugata», einem riesigen Palast, von dem der Fürst nicht alle Zimmer kennt.
Das Buch ist in der vorliegenden Übersetzung wunderbar zu lesen: Einfühlsam, klug und voller Humor und Ironie, aber auch voller Lebensweisheiten, aber ohne falsche Gefühle von Mitleid und Bedauern. Obwohl oder gerade weil es episodisch lückenhaft aufgebaut ist, wird die zentrale Figur vielschichtig und differenziert dargestellt und der Leser bedauert, dass mit ihrem Tod der Roman zu Ende ist.
Der Gattopardo, Guiseppe Tomasi di Lampedusa: Piper, München, 2018
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