CARTE BLANCHE
26.07.2019 Ramlinsburg, PolitikVorschlag für ein konstruktives Referendum
Bálint Csontos, Landrat und Parteipräsident Grüne BL, Ramlinsburg
«Referendum, Initiative, Veto sind politische Formen zur Geltendmachung des Volkswillens. Ist aber die Form das ...
Vorschlag für ein konstruktives Referendum
Bálint Csontos, Landrat und Parteipräsident Grüne BL, Ramlinsburg
«Referendum, Initiative, Veto sind politische Formen zur Geltendmachung des Volkswillens. Ist aber die Form das Wesentliche? Wer die Tagesblätter der letzten Zeit mit Nachdenken gelesen hat, musste mit Erstaunen wahrnehmen, welche ungebührliche Wichtigkeit man der Form, wie das Volk seinen Willen ausdrücken soll, zu geben sucht. Nicht die Art und Weise, wie man etwas erlangt, sondern was (sic!) man erlangt, scheint uns die Hauptsache.»
So schreibt ein anonymer Leser im «Demokraten aus Baselland» vom 21. April 1888. Und tatsächlich hat unser Kanton eine lange Tradition des Suchens nach den richtigen Formen der (direkten) Demokratie. Für Parlamentsneulinge wie mich handelt es sich um interessante Diskussionen, denn sie sagen uns etwas über das mögliche Rollenverständnis des Landrats. So gab es Parteien und Strömungen im 19. Jahrhundert, die die Kantonsparlamente als blosse vorbereitende Kommissionen für die Volksabstimmung geringschätzten. Andere wiederum sahen im Staatsaufbau den eigentlichen Schwerpunkt beim Parlament, die Stimmbürger beschränkt auf Wahlen und Verfassungsfragen. Das Baselbiet, von Anfang an näher bei der ersten Position, kennt auch heute vielfältige Instrumente der direkten Demokratie (obligatorisches Gesetzesreferendum beim Verfehlen des 4/5-Mehrs im Landrat, Richtplanreferendum, Finanzreferendum).
Mit der Einführung der Einkommenssteuer tat das Baselbiet einen wesentlichen Schritt zum Inhalt erst 60 Jahre nach der Kantonstrennung (1890). Damals muss sich wohl die Erkenntnis durchgesetzt haben, dass sich einige Probleme nicht durch blosses Diskutieren lösen liessen. Die Handlungsfähigkeit des Kantons wurde damit erheblich erweitert.
Auch heute, so könnte man behaupten, geht es darum, handlungsfähig zu werden, sich den Inhalten zuzuwenden. Nicht, dass wir neue Steuern brauchen, die Mittel sind vorhanden. Die Herausforderung für Parlament und Bevölkerung, als Gesellschaft entschieden zu handeln, ist aber deswegen nicht nur einfacher zu meistern. Das Problem, das sich uns stellt, ist mit der Klimakatastrophe und der globalen Ungerechtigkeit nicht lokal begrenzt und ungleich grösser. Gefordert sind offenes Diskutieren, viel Verständnis und gemeinsame Aktion – also die besonderen Fähigkeiten eines gut funktionierenden Parlaments schlechthin. Weil damit der Landrat als deutlich mehr als eine vorberatende Kommission zu verstehen ist und obwohl unserem anonymen Schreiber recht zu geben ist, wenn er den Überbau der Form gegenüber den Inhalten weniger stark gewichten möchte, sei es mir erlaubt, die Sommerpause für einen verbindenden Vorschlag zu nützen. Das konstruktive Referendum, wie es zum Beispiel der Kanton Bern (Volksvorschlag) kennt, könnte sich als Form der direkten Demokratie entpuppen, die den Inhalt stärkt: Dabei kann die Stimmbevölkerung mit einem Referendum ein Gesetz nicht nur ablehnen oder gutheissen; wer das Referendum ergreift, kann einem Gesetz auch einen selber formulierten Gegenvorschlag gegenüberstellen. Mit diesem zusätzlichen Instrument, einer Verfeinerung der direkten Demokratie, könnte der Dialog von Bevölkerung und Parlament und mit ihm unsere Handlungsfähigkeit gestärkt werden. Die Diskussion ist eröffnet!
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.