Skulpturenweg
26.04.2019 KulturKunst muss zweckfrei sein
Zum Artikel «Zukunftsvisionen weisen den Weg» in der «Volksstimme» vom 16. April, Seite 2
Vor einer Woche erschien ein Artikel über den neuen Skulpturenweg zwischen Liestal und Füllinsdorf, der sicherlich ...
Kunst muss zweckfrei sein
Zum Artikel «Zukunftsvisionen weisen den Weg» in der «Volksstimme» vom 16. April, Seite 2
Vor einer Woche erschien ein Artikel über den neuen Skulpturenweg zwischen Liestal und Füllinsdorf, der sicherlich spannende Erlebnisse bieten wird. Nur ein Problem: Frau Schaertlin wurde zitiert mit «Kunst hat die Aufgabe, gesellschaftliche Entwicklungen kritisch zu reflektieren und die menschlichen Gedanken mit Anregungen zu füllen».
Ich bin bildende Künstlerin und setze mich seit Jahren mit der Kunst-Theorie auseinander. Solchen Gespinsten, wie Frau Schaertlin sie verbreitet, wendet sich die Kunst nicht zu. Es gibt Kategorien der Ästhetik in der Kunst, die von Kant herausgearbeitet wurden und heute noch gelten. Kunst muss durch ein offenes Zeichensystem dem Betrachter zweckfrei entgegenkommen. Das ist der einzige Zweck der Kunst: ihre Zweckfreiheit! Zudem muss Kunst die Wirklichkeit negieren. Kunst ist in ihrem Werken immer etwas, das es in der realen Welt nicht gibt. Es ist eine neue Welt. Das ist die Voraussetzung: Sie muss das Faktische negieren und das Mögliche heranschaffen. Ein Werk kann sich auch nur auf sich selbst beziehen, und auf nichts, was ausserhalb seiner selbst ist – also keine Gesellschaftskritik! Wenn ich ein Bild male und «Grün» darauf schreibe, ist das keine Kunst. Es ist weder sinnstiftend noch mehrdeutig noch ist es eine neue Welt für sich. Auch wenn ich den Künstler kenne und über seine Biografie einiges weiss, es hängt nicht der Künstler da, sondern sein Werk, und das ist nicht durch sein Leben zu betrachten, sondern als eine Komposition aus Farbe, Form und Bewegung. Wenn ich zum Bäcker gehe, bestelle ich mir keine Brötchen in Gedichtform, aber wenn ich ein Gedicht lese, erwarte ich etwas anderes, etwas Abgehobeneres als meinen Alltag. Der Mensch braucht eben mehr als nur Alltag, und diese Möglichkeit gibt ihm die Kunst – wenn sie eben zweckfrei, aber sinnstiftend ist. So öffnet sie seine Augen für Neues, das er vorher so nicht kannte. Eine Brücke muss es geben, es ein «Rest Natürliches» vorhanden sein, damit wir Zugang haben. Wir erinnern uns an die kantische Devise: Kunst ist subjektiv, aber sie setzt einen Gemeinsinn voraus, dass sie auch kommunikabel sei.
Kunst, die den Alltag kopiert, ist nur nachahmend und nicht neu schöpfend. Wenn ich den Betrachtern ein politisches Programm zeige, dann vergewaltige ich sie. Wir brauchen mehr als nur Alltag, damit unser Horizont sich weitet und wir Sinnhaftes erleben. Ich bin gespannt auf den neuen Weg und werde ihn mir mit der Familie während eines Frühlingsspaziergangs zu Gemüte führen.
Sibylle Laubscher, Arisdorf