Irgendwann erwischt sie uns alle
15.03.2019 SissachSechs Köpfe, sechs Blickwinkel – wie «Volksstimme»-Mitarbeiter die Fasnacht erlebten
Begegnungen
«Weisch no ...?», heisst es am Sissacher Herbstmarkt im November oft. Das ganze Oberbaselbiet ist da, um zwischen John Deere und Helly Hansen das Geschehen zwischen ...
Sechs Köpfe, sechs Blickwinkel – wie «Volksstimme»-Mitarbeiter die Fasnacht erlebten
Begegnungen
«Weisch no ...?», heisst es am Sissacher Herbstmarkt im November oft. Das ganze Oberbaselbiet ist da, um zwischen John Deere und Helly Hansen das Geschehen zwischen Ütige und Ammel zu verhandeln. Der Fasnachtssonntag ist wie der Herbstmarkt, bloss mit Gugge und Konfetti. Massen von Menschen und immer wieder ein bekanntes Gesicht im Gedränge, hin und wieder tippt mir jemand auf die Schulter, «Hallo, wie geht’s?», ein kurzer Schwatz, dann wendet man sich wieder dem Spektakel zu.
So gross das Gedränge auch sein mag, so sehr die Konfetti im Kragen auch jucken, Lächeln überall. Selbst als ich zwei mir fremde Frauen, die an mir vorbeieilen – eine im Engels- die andere im Teufelskostüm – bitte, für ein Foto zu posieren, höre ich kein «Was will denn der?», sondern ein «Ja klar!». Klick.
Nach dem Umzug peilen mich drei Männer an. Sofort ein grosses Hallo: «Das ist doch unser Ex-Jugileiter!», tönt einer, «der beste der Welt». Ich korrigiere: «Der Allerbeste!» Wir alle grinsen, weil wissend, dass dem nicht so war. «Wären wir nicht so faule Säcke gewesen damals – es wäre ganz sicher etwas aus uns geworden. Stimmt’s?» Ich korrigiere: «Etwas Grosses!» Jetzt grölen wir, weil wir wissen, dass dem nicht so war. Darauf ein Bier!
Sturm Eberhard
Jetzt hat sie auch mich
Ich bin ja soo stolz auf meinen Kleinen. Kein «Trag mich, Papi», kein «Ich will nicht, Papi» und auch kein «Aua, Papi». Nein, der Bub ist gelaufen und gelaufen und gelaufen – wie bei Duracell. Das «Drummeli» um den Hals, die Schläger fest im Griff, ernst und konzentriert. Am Strassenrand sind sie verschmolzen vor lauter Jöö und ich dran vorbei, als wär ich Frau Fasnacht persönlich. Aber ich bin ein Ostschweizer. Klar, auch bei uns gibt es Fasnacht. Aber mit Stolz hat das nichts zu tun. Entsprechend unsympathisch sind mir diese Basler in den ersten Jahren auch vorgekommen. «Wie kann man sich beim Feiern nur so ernst nehmen», habe ich mir gedacht.
Mittlerweile bin ich Mitglied der Saiffibleeterli und beobachte entzückt, wie mein Kind fast ausflippt, wenn es nur schon von Weitem Pfeifen und Trommeln oder eine Gugge hört. Seit seiner ersten Fasnacht vor einem Jahr will er jeden Tag Youtube-Filme vom Cortège anschauen. Er schreit «Pauke», «Tuba» oder «Posuune» wenn er welche sieht. Er kennt den Unterschied zwischen «Waggis», «Alti Dante», «Blätzlibajass», «Ueli» und «Pierrot». Und er ruft «Yystoh», wenn sich schon wieder jemand aus der Clique eine Zigarette angesteckt hat, anstatt endlich wieder loszumarschieren. Irgendwann war die Batterie dann aber doch leer und er trommelte im Traum weiter. Und was hat er wohl nach seinem Nickerchen gesagt? «Oh, i ghör Fasnacht ...» Liebe Kollegen: nächstes Jahr nehm ich drei Tage frei.
Sou Schwob
Feuer und Flamme
Fasnacht ist für viele meiner Mitmenschen «die schönste Zeit im Jahr». So beeindruckend ich die Begeisterungsfähigkeit und Alkoholtoleranz mancher finde, so wenig kann ich mich mit dieser Tradition identifizieren. Das Treiben während der «schönsten Zeit» ist mir zu bunt und zu laut, die detailgetreuen Larven finde ich mehr als unheimlich und sowieso ist es mir Anfang März draussen entschieden zu kalt.
Bevor mein fasnächtliches Fazit jedoch in einen nicht enden wollenden «Rant» – moderner, englischer Ausdruck für Schimpftirade – ausufert, kann ich mit gutem Gewissen sagen, dass es einen Brauch an der Fasnacht gibt, den auch ich als Fasnachtsbanause zu schätzen weiss. Keine Larven, kein Lärm, kein Farbenwirrwarr und keine Kälte. Klingt nicht nach Fasnacht? Ist es aber. Es handelt sich dabei um den «Chienbäse».
Die glühenden Funken auf der dunklen Strasse und die brennenden Fackeln, die den Nachthimmel zum Leuchten gebracht haben, waren unfassbar schön, und plötzlich fing ich doch noch an, Gefallen an der Fasnacht zu finden. Der «Chienbäse» ist ja schliesslich Teil davon. Nach der Erkenntnis, dass Fasnacht durchaus gute Seiten hat, begab ich mich zufrieden auf den Heimweg. Meine Stimmung habe ich mir auch von dem geschätzt 14-Jährigen, der so dicht war, dass er kaum mehr stehen konnte, nicht vermiesen lassen.
Bachblüete
Wenn Fasnächtler schielen
Man muss nicht immer gleich Böses denken. Zum Beispiel, wenn die Bläser einer Guggenmusik nicht mehr geradeausschauen können. Natürlich gibt es den einen oder anderen Fasnächtler, der aufgrund erhöhten Alkoholkonsums «über d Schnitz luegt». Diese Exponenten sieht man nicht zuletzt, wenn man während der Fasnacht eben gerade nicht fasnachtet, sondern der üblichen geordneten Arbeit nachgeht – soweit dies mit Alkoholleichen am Bahnhof am Morgen, mit Bühnenbauern direkt vor der Redaktion tagsüber oder mit den Soundchecks mit Après-Ski-Musik am selben Ort am frühen Abend möglich ist.
Die Mitglieder der Schlammsuuger im Bild nebenan schielen aber aus einem ganz anderen und viel nobleren Grund. Seit neun Jahren gibt es die Nootechaote, die Kindergugge aus Sissach. Am Mittwoch sind sie jeweils mit den Schlammsuuger unterwegs, die dann ihren Schyssdräckzüügli-Tag haben. Sie nehmen die Nachwuchs-Fasnächtler mit auf ihre Tour und beehren so auch Jahr für Jahr die «Volksstimme» mit einem Privatkonzert – vielen Dank an dieser Stelle. Dabei gibt es dann die schielenden Fasnächtler zu bestaunen. Denn: Die beiden Guggen üben nicht gemeinsam und kennen dementsprechend auch das Repertoire der anderen nicht auswendig. Wenn sie geeint und laut auftreten wollen, müssen die Kleinen den Grossen abschauen – und umgekehrt.
Kamarád Schwungrad
Die schönen Momente
Mit der Fasnacht gehts mir wie mit der Fussball-WM, in beiden Ereignissen stecke ich jeweils eher unfreiwillig, weil sie so allgegenwärtig sind, dass man sich ihnen nicht entziehen kann. Ich schicke mich also ins Unvermeidliche und mache das Beste daraus. Meist stelle ich dann fest, dass es trotz aller Vorbehalte Momente gibt, die auch mich begeistern. Wenn die Guggen ein Lied anstimmen, das mir besonders gut gefällt und die Paukenschläge in meiner Magengrube vibrieren, zum Beispiel. Oder wenn die «Chienbäse» prasseln, Funken in den Himmel stieben und der Rauch mir die Lunge verätzt. Die spektakulären Wagen in den Umzügen begeistern mich. Auch weil ich weiss, wie viele Stunden Arbeit, neben Job und Familie, die Fasnächtler in ihre Projekte stecken.
Weniger spektakulär, dafür aber umso herzerwärmender sind die Momente an den Kinderumzügen. Wenn ich mich mit dem Fotoapparat in der Hand unter die Eltern mit ihren Kindern mische und nach Motiven Ausschau halte, überfällt mich regelmässig ein, wie man im Englischen sagt, «Cuteness Overload», was etwa mit Niedlichkeitsüberlastung übersetzt werden könnte. Mit dicken Kopfhörern bewehrt sitzen die Kleinsten auf Mamis oder Papis Arm. Sie stecken in Kostümen, sind Käfer, Enten, Drachen oder Hummeln, die runden Pausbacken und Stubsnäschen mit Farbe bemalt. Die Augen blicken skeptisch auf den Trubel. Nicht mehr lange, dann entdecken auch sie die schönen Momente der Fasnacht.
Gnomi Omi
Zu guter Letzt
Die Sissacher Begegnungszone ist am Sonntag brechend voll. Man sieht lauter Zähne in lachenden Gesichtern. Hier machen sie die Welle, dort tanzen sie eine Polonaise. Junge Frauen werfen sich in Pose. Es wird gelärmt auf Teufel komm raus. FASNACHT IST LAUT. Dort zwei gigelnde Guggenmusikerinnen ohne Larve, dafür mit Patronengürteln wie bei den Taliban. Statt Patronen einfach mit Schnapsfläschchen. Überall am Boden hat es Schnapsfläschen, akute Fussverstauchgefahr. Ansonsten herrlich, das Konfetti-Müll-Gemisch auf der Strasse. Ganz extrem am Dienstagabend in Basel: Zentimeterdicke Räppli-Schichten. Plastiksäcke, Bierdosen, Dääfeli. Es ist ein Laufen wie im Herbst im Walde. Ein erschütternder Lärm, wenn der endlose Zug der Schränzgritte um die Ecke kommt. Alles bunt, alles laut, alle fröhlich, alle freundlich. Der Landvogt wird fürstlich mit Süssigkeiten beschenkt, Kunigunde schon wieder gestopft. Fräulein, noch ein Bier!
In Basel ist der Ausnahmezustand nun wieder aufgehoben. Einmal Zigarettenstummel auf den Boden = 80 Franken Busse. Lärmen, zumal spätnachts = streng verboten, Kunigunde etwas in den Pulli stopfen = #metoo + Anzeige wegen Körperverletzung. Sichtbare Zähne in lachenden Gesichtern = vergiss es! Öffentlicher Schnapskonsum von jungen Frauen mitten in Sissach = Kesb-Alarm (ab heute wieder).
Sagt mal Leute, in welchen Keller werden eigentlich all die bunten Menschen gesperrt, wenn grad keine Fasnacht ist?
Landvogt