Die Sonne geht unter und … … der Himmel tut sich auf
12.03.2019 Fasnacht, SissachDie «Volksstimme» hat sich ins Gewühl des sonntäglichen Umzugs geworfen. Ein Blick auf die Top-Sujets und die übrigen Trends des Jahrgangs 2019.
Sapperlott
Um die Mittagszeit sind im Dorfzentrum von Sissach erst einzelne Kostümierte anzutreffen. Da und dort wird ...
Die «Volksstimme» hat sich ins Gewühl des sonntäglichen Umzugs geworfen. Ein Blick auf die Top-Sujets und die übrigen Trends des Jahrgangs 2019.
Sapperlott
Um die Mittagszeit sind im Dorfzentrum von Sissach erst einzelne Kostümierte anzutreffen. Da und dort wird noch etwas an den Verpflegungsständen herumhantiert, sturmsicher befestigt. Zu hören ist noch kaum etwas – mit Ausnahme jener vielleicht, die Blagette und «Glöggeliwagä» an die stetig eintreffenden Schaulustigen verkaufen wollen. Und es regnet leicht. Ruhe vor dem Sturm.
Der Schein trügt. In den Cliquenkellern, aber auch auf den aus allen Himmelsrichtungen anrückenden Wagen herrscht emsiges Treiben. Es wird vorbereitet, wird gerichtet, geschminkt, nach Pelerinen gesucht, abgewartet. Und es wird vorgeglüht, will heissen: ein Bierchen da, ein Gläschen Wein dort – und zwischendurch ein Shöttli.
Sonne, WC und Jubiläen
Um 2 Uhr nachmittags gehts los. Traditionell mit der ältesten Clique am Platz, der Nuggi-Clique. Fast zeitgleich mit den ersten Trommelschlägen reisst der bedeckte Himmel auf. Ob wir wohl statt der Regenjacke eine Sonnenbrille hätten montieren müssen?
Die Nuggi-Clique zeigt uns mit «Sunneuntergang» ein Sujet, das sich im Verlauf des gut zweieinhalbstündigen Umzugs als besonders beliebt erweisen wird. Es geht um die vorläufige Schliessung der Traditionsbeiz «Sonne» und um den heimatlos gewordenen «Sonnen»- Stammtisch. Auf ihrem Zettel werden wir aufgeklärt, woran es liegt:
Johrelang hei si kassiert
Und ins Huus nüt investiert
D Fassade die isch nüm dr Hit
E Chessel Farb längt do nit
Au in dr Beiz müesst öppis go
In dr Chuchi sowieso
Wie wenn es in Sissach einen «Sujet-Leak» gäbe, haben sich alle pfeifenden und trommelnden Cliquen dieses Sujets angenommen. Da sind die Spoot-Zünder, die auf ihrem mitgeführten Wägeli verkünden: «D Stammgescht hei gar kei Freud». Und auch die Zunzger Wurlitzer-Clique nimmt sich mit Vergnügen der untergegangenen «Sonne» an, hat aber eine andere Erklärung dafür:
Jä, Sissech isch es Kaff für Greise
Wo obe dra scho d Geier kreise
Schliesslich habe es hier zahllose Läden für ältere Menschen: Apotheken, Läden für Brillen und Hörgeräte, Orthopäden, Zahnärzte, Physio und dergleichen mehr. Dies habe den neuen Besitzer der «Sonne» auf die Idee gebracht, heisst es auf dem Wurlitzer-Zettel:
Das isch mini Chance
Sissach isch für alti Haase
Scho jetz en Art Wohlfühl-Oase
Nur fehlt am Ändi vo dr Zone
None schöne Platz zum Wohne
Für älteri Generatione
Die Söidryyber, für einmal ungewohnt gesittet, nehmen sich ebenfalls der «Sonne» an, blicken aber auf die ganze Sissacher Beizenszene. Sie klagen auf ihrem Zettel:
Am nöchschte Herbschtmärt muesch vergässe
ass d nöime chasch go Chuttlen ässe
und Ärpssuppe, bhaupti doo
wirsch au nienen überchoo
Statt zu jammern, handeln die Söidryyber: Auf dem Umzug machen sie immer wieder halt und servieren Ausgewählten – etwa gekochte Söischwänzli?
Die Räbhübel-Schlurgi aus Böckten führen uns ins eigentliche Top-Sujet des Sissecher Fasnechtsjahrgangs 2019 ein:
Es zieht und drückt … es blogt mi ziemlich bös,
I due mi immer meh bewege … wird langsam sehr nervös
I ha chalt und due glichzitig aber au no schwitze
In ganz Sissach find i keis «stills Örtli», wo ich cha sitze
Aha, da wären wir beim Sujet «Nette Toilette» angelangt. Der Gemeinderat hat einige der hiesigen Beizer ermuntern können, ihre Türen für Pressierte offen zu halten. Auf einem Wagen ist zu lesen:
Z Sissech isch alles besser
Das weiss me scho lang
Ich merks jetz sogar scho
Wenn i ufs WC gang
Des versch… Sujets haben sich nicht nur die Bierstürzer-Waggis (unter anderem mit einer wunderbaren Larve) angenommen, sondern einige der Schyssdräckzüügli. Etwa nach der ersten Stunde Umzug verdüstert sich der Himmel. Gerade, als uns die Röggli-Rueche weismachen wollen, dass die Fasnacht stirbt, kommen die ersten kräftigen Windstösse. Die Konfetti wirbeln durch die Luft – und all jene mit Brille sind ab sofort klar im Vorteil.
Dass die Fasnecht so rasch nun auch nicht stirbt, beweisen die diversen Jubiläen. Sie zeigen höchstens, dass es einfacher ist, sich mit sich selber als mit einem Sujet zu befassen. Dennoch seien ein paar der Jubiläen erwähnt: auf 40 Jahre des Bestehens bringen es die Guggä-Rugger Buus, je 20 Jahre jung sind die Fotzel cheibe (Itingen), die Schluckspächte, die Chirsichäuer (Zunzgen) und die Söidryyber. 15 Jahre feiern die Luckies Rueche (Zunzgen), auf 10 Jahre bringen es die Grillschränzer aus Gelterkinden und auf stattliche 5 Jahre die Graffiti-Spränger.
Bar-Wagen und Schyssdräckzüügli
Was ist uns an diesem Umzug speziell noch aufgefallen? Erstens: Heuer nehmen eine erfreulich stattliche Anzahl an Klein- und Kleinstgrüppli teil, welche die Umzugslöcher zwischen den vielen Wagen wohltuend stopfen. Da wird mit viel Engagement, Kreativität und Liebe im Vorfeld der Fasnacht genäht, gebastelt, gemalt. Die meisten dieser Schyssdräckzüügli führen Kinder im Gefolge, die mit grosser Freude «Dääfeli» nach links und rechts verteilen oder/und Konfetti werfen. So rasch stirbt die Fasnecht zum Glück nicht aus …
Zweitens, dass die Traktoren immer imposanter werden. Längst hat sich der Umzug zu einer landwirtschaftlichen Leistungsschau gemausert.
Drittens – mit Verlaub: Wir haben in Sissach mit 17 Guggen die Grenze des Erträglichen erreicht. Immerhin: Aufgefallen sind uns die Burn-out Rugger mit ihren dekorativen Älplerkostümen, die Windläfurzer mit ihren täuschend echten Eishockey-Klamotten und natürlich – einmal mehr – die Guggä-Rugger Buus. Die drehenden Räder, auf denen die Musikanten sitzen und spielen, sorgen beim Publikum für ungläubiges Staunen. Gewaltig! Fragt sich bloss, wie diese Gugge sich in Zukunft noch steigern will. Vielleicht mit einem U-Boot oder einem UFO?
Viertens fahren immer mehr Bar-Wagen mit. Deren Anzahl entwickelt sich mutmasslich parallel zu den nach dem Umzug auf der Strasse liegenden leeren Shötli-Fläschchen und anderen gläsernen Behältnissen. Nun, wir wollen nicht tadeln, sondern loben, dass es tatsächlich noch Wagen gibt, die auf eine Monster-Musikanlage verzichten und stattdessen das tun, was man von anständigen Waggisen erwartet: intrigieren, Mimosen, Orangen oder was auch immer verteilen und mit Konfetti nicht geizen.
Fünftens schliesslich stellen wir fest: Politische Statements sind imVergleich zu früheren Jahren kaum mehr auszumachen. Und wenn, dann höchstens noch bei den Schyssdräckzüügli. So ist uns nicht entgangen, dass uns US-Präsident Donald Trump einen Blitzbesuch abgestattet hat. Mit wehenden Fahnen grüsst er sein Publikum – und ist schon wieder entschwunden.
Ach, sechstens möchten wir Diä Chummligä lobend erwähnen – urchige Innerschweizer mit fliegenden «Söiblootere» und bösem Blick. Auch die Wiler Tüfel – ebenfalls eine der Gästegruppen – jagen uns einen gehörigen Schrecken ein. Vielleicht sind sie es, die letztlich dazu beitragen, dass es trotz mehrerer Versuche doch nicht so richtig regnen mag.
Ein Fazit: alles in allem geht der Sissecher Fasnechtsumzug als farbenprächtig, vielfältig und vom angekündigten Regen verschont in die Geschichtsbücher ein.
PS: Man möge dem Berichterstatter bitte nicht nachtragen, dass nicht alle Gruppen namentlich erwähnt werden.