Swissness alleine ist zu wenig
12.02.2019 Bezirk LiestalSchriftstellerin Gabrielle Alioth eröffnet Vortragsreihe zum Spitteler-Jahr
Im Dichter- und Stadtmuseum in Liestal hat Gabrielle Alioth die Vortragsreihe «Unser Schweizer Standpunkt 2019» zum Spitteler-Jahr eröffnet. Die Basler Schriftstellerin würzte ihre ...
Schriftstellerin Gabrielle Alioth eröffnet Vortragsreihe zum Spitteler-Jahr
Im Dichter- und Stadtmuseum in Liestal hat Gabrielle Alioth die Vortragsreihe «Unser Schweizer Standpunkt 2019» zum Spitteler-Jahr eröffnet. Die Basler Schriftstellerin würzte ihre Überlegungen mit feinem Humor und brachte das Publikum wiederholt zum Schmunzeln.
Martin Stohler
Mit der Vortragsreihe knüpft das Dichter- und Stadtmuseum Liestal an Carl Spittelers stark beachtete Rede «Unser Schweizer Standpunkt» aus dem Weltkriegsjahr 1914 an. Darin rief der spätere Nobelpreisträger seine Landsleute in der deutschen und französischen Schweiz dazu auf, sich davor zu hüten, durch einseitige Parteinahme für Deutschland beziehungsweise Frankreich den inneren Zusammenhalt der Schweiz zu gefährden.
Stattdessen gelte es, einen neutralen Schweizer Standpunkt einzunehmen. Ein solcher schloss für Spitteler allerdings aus, «auf unsere Begriffe von Wahr und Unwahr zu verzichten, jemand zuliebe unsere Überzeugungen von Recht und Unrecht zu fälschen».
Zwischen Fakten und Fiktion
Gabrielle Alioth ist 1984 nach Irland ausgewandert, hat aber noch immer engeVerbindungen zur Schweiz. In ihrem Vortrag nahm sie eine Reihe von Denkanstössen aus Spittelers Rede auf und bezog sie auf die Gegenwart. So fehlte es in ihrem Vortrag nicht an verschiedensten Bezügen zu unserem Land; sie spiegelte aber auch manche Erfahrung im Ausland wider.
Der Basler Schriftstellerin und studierten Nationalökonomin ist es wichtig, dass wir gerade im Zeitalter von «Fake News» am Unterschied zwischen «wahr» und «unwahr», zwischen Fakten und Fiktion festhalten. Die Folgen des Medienwandels – ausgedünnte Redaktionen, oftmals fehlende Zeit und Mittel für umfassende Recherchen – erleichterten dies nicht eben. Von den Journalistinnen und Journalisten werde heute auch immer mehr erwartet, dass sie Geschichten oder Geschichtlein erzählen, während sie früher Berichte zu verfassen gehabt hätten.
Als Schriftstellerin kann Gabrielle Alioth gut nachvollziehen, dass Fiktion spannender sein kann als reine Fakten. Das muss schon der Obwaldner Landschreiber Hans Schriber so gesehen haben, als er die Tell-Sage in seine in den 1470er-Jahren verfasste Chronik aufnahm und damit den Rohstoff für den Schweizer Tell-Mythos lieferte.
Die Grenze zwischen Fakten und Fiktion, sagte Gabrielle Alioth weiter, sei von jeher eine umstrittene gewesen. Die Vermischung von beiden habe heute paradoxe Folgen: Während immer mehr Menschen vermuten, die Medien würden Fakten erfinden, erwarteten sie von den Schriftstellerinnen und Schriftstellern irgendwie, dass ihre fiktiven Geschichten und Personen keine Fantasieprodukte sind. Wer sich dieser Erwartung entziehen wolle, schreibe historische Romane.
Nicht alles mitmachen
Alioth scheute sich auch nicht, einen klaren Standpunkt zu beziehen. So riet sie, nicht einfach alles nachzumachen, was andere tun. Konkret zielte sie damit auf die «Verwirtschaftlichung» des Schweizer Bildungs- und Gesundheitswesens, in der sie eine Übung am falschen Objekt sieht: «Ein marktwirtschaftlich geführtes Krankenhaus ist ein Widerspruch in sich.» Damit erntete sie im Publikum grosse Zustimmung, wie sich auch in der angeregten Diskussion im Anschluss an den Vortrag zeigte.
Beim Apéro danach war man sich einig: Der Vortrag von Gabrielle Alioth war ein gelungener Auftakt zur «Standpunkt»-Reihe.
Mehr Schweizer Standpunkte 2019
sto. Im Laufe des Jahres werden im Dichter- und Stadtmuseum in Liestal fünf weitere Schriftstellerinnen und Schriftsteller ihre Sicht der Schweiz zur Sprache bringen. Es sind dies: Andreas Thiel (12. April), Nora Gomringer (2. August), Ruth Schweikert (18. Oktober), Franz Hohler (8. November) und Lukas Bärfuss (15. November). Beginn jeweils 19.30 Uhr. Weitere Informationen unter www.dichtermuseum.ch