Ein weiterer Titel muss warten
08.02.2019 Gelterkinden, SportVelogemel | Gelterkinden hat einen Weltmeister im Wintersport
Tim Blumenstein aus Gelterkinden kann an der Velogemel-Weltmeisterschaft 2019 verletzungsbedingt nicht antreten. Damit verpasst der Weltmeister von 2017 die Chance, den Titel ...
Velogemel | Gelterkinden hat einen Weltmeister im Wintersport
Tim Blumenstein aus Gelterkinden kann an der Velogemel-Weltmeisterschaft 2019 verletzungsbedingt nicht antreten. Damit verpasst der Weltmeister von 2017 die Chance, den Titel zurückzuerobern.
Fabiano de Pasquale
Der 29. Januar 2017 geht in die Baselbieter Sportgeschichte ein. Der Münchensteiner Roger Federer gewinnt nach viereinhalb Jahren in Melbourne wieder ein Grand-Slam-Turnier im Herren-Einzel – seinen insgesamt 18. Majortitel. Am anderen Ende der Welt, genauer gesagt auf der Bussalp in Grindelwald, wird der Gelterkinder Tim Blumenstein am selben Tag zum ersten Mal in seiner sechsjährigen Karriere zum Velogemel-Weltmeister im Herren-Einzel gekürt. Zudem gewinnt er zum vierten Mal in Folge die WM im Teamwettbewerb.
Tim Blumenstein, ein Mittdreissiger mit wilder blonder Mähne, steht an Krücken im Wohnzimmer seines Hauses und wirkt fast wehmütig, als er über die bevorstehende Velogemel-WM am 10. Februar spricht. Seit 2011 kann er zum ersten Mal nicht teilnehmen. Der Grund für den Verzicht ist ein Kreuzbandriss, den er sich im vergangenen Dezember im Vater-Kind-Turnen zugezogen hat. Der draufgängerische Blumenstein dachte sich: «Wieder einmal Turnen, da muss man ein wenig Gas geben», und prompt verletzte er sich beim Völkerball.
Entstehung der Sportart
Doch was ist dieser Velogemel? Er ist ein eher untypisches Wintersportgerät, eine Art Velo auf Skiern. Die Sportart wird hauptsächlich in Grindelwald auf der herkömmlichen Schlittelpiste ausgeübt. Doch der Erfinder des Velogemels, ein gehbehinderter Schreiner aus Grindelwald, beabsichtigte in keinster Weise, ein Freizeitgefährt zu entwickeln. Vielmehr wollte er den Velogemel als Transportmittel im Schnee nutzen, um seine Kunden beliefern zu können. Nach der Patentierung 1911 nutzten Bauern, Ärzte, Lehrer und Postboten das Gefährt, um ihrer Tätigkeit nachkommen zu können. Das Wort «Gemel» ist Berner Dialekt und bedeutet Schlitten.
Heutzutage erfreut sich der Velogemel grosser Beliebtheit bei den Touristen in Grindelwald und wird als Wintersportgerät rege vermietet. 1996 rief der Grindelwalder Tourismus die erste Velogemel-Weltmeisterschaft ins Leben, die bis heute jedes Jahr auf der Bussalp stattfindet. 2018 starteten rund 100 Teilnehmer in vier verschiedenen Kategorien.
Aufstieg zum Weltmeister
Tim Blumensteins erste Teilnahme im Jahr 2011 war eher zufällig. Ein Berner Kollege, den er in Australien getroffen hatte, fragte ihn, ob er an der Weltmeisterschaft teilnehmen möchte. Zum 100-Jahre-Jubliäum des Gemels wollte er unbedingt den Titel im Teamwettbewerb holen. Der neugierige Blumenstein sagte zu, ohne zu zögern. Die Premiere blieb zwar titellos, dafür packte ihn die Begeisterung für die Sportart, die ihn bis heute nicht mehr losgelassen hat.
Die Weltmeisterschaft wurde zum festen Programmpunkt für den ehrgeizigen Oberbaselbieter. In den Folgejahren wurde im Team von Blumenstein mit verschiedenen Wachsarten, Schweinefett oder selbst gebauten Kufen am Gemel rumgetüftelt, um ihn schneller zu machen und so entscheidende Sekunden gegenüber der Konkurrenz herauszuholen. Zudem wurden Streckenbesichtigungen und Trainings im Vorfeld der WM zum festen Bestandteil der Vorbereitung.
Dieser Aufwand wurde im Jahr 2014 das erste Mal belohnt. Das Team Swiss-Knife-Flowerstone (in Anlehnung an die Namen der drei Teammitglieder Schweizer, Messer und Blumenstein) gewann den Mannschaftswettbewerb und verteidigte den Titel seither Jahr für Jahr. In der Einzeldisziplin brauchte es länger, bis Blumenstein eine Konkurrenzfähigkeit besass, die es ihm erlaubte, Richtung Podest zu schielen. Denn zuerst bekundete er Mühe, den manchmal etwas lotterig wirkenden Gemel an technisch schwierigen Passagen unter Kontrolle zu behalten. Hinzu kam, dass ihm bei den ersten Teilnahmen seine draufgängerische Art in die Quere kam. Oft nahm er zu viel Tempo auf – bis zu 60 km/h – und stürzte jeweils in den Kurven. Mit einem Fahrfehler könne man sich leicht einen grösseren Zeitverlust einhandeln, der es dann verunmögliche, vordere Platzierungen zu erreichen. Es gelte daher, das gute Mittelmass zwischen Technik und Tempo zu finden, um mit den Besten mithalten zu können, sagt er.
2017 schlug die Stunde von Blumenstein. Er sei wie vor jedem Rennen nervös gewesen. Doch an diesem Tag meisterte er die Strecke auf der Bussalp am schnellsten und liess 38 Konkurrenten hinter sich. Die Freude über den Triumph ist ihm auch heute noch anzusehen. Stolz präsentiert er die Auszeichnung – eine Schieferplatte mit der Aufschrift «Weltmeister». Den Erfolg verdanke er seiner doch eher draufgängerischen und mutigen Fahrweise, obwohl sein Teamkollege es kaum glauben konnte, dass ihn Blumenstein mit dieser «Bananensitztechnik», bei der die Füsse stets dicht über dem Boden bleiben, auf den zweiten Platz verwies.
Wie Roger Federer wird auch Blumenstein zu Beginn des Jahres 2019 also titellos bleiben. Trotz seiner Verletzung überlegt er sich aber, am 10. Februar als Zuschauer zugegen zu sein und sein Team zu unterstützen, das mit einem Ersatzmann antritt. Er könne allen empfehlen, einmal aktiv teilzunehmen. Die Mischung aus Wettkampf und fröhlichem Beisammensein und das Ganze vor dem wunderschönen Alpenpanorama machen diesen Anlass für Blumenstein so einzigartig.
Und wer weiss, vielleicht findet sich ja in Abwesenheit von Blumenstein plötzlich eine andere Person aus dem Oberbaselbiet auf dem Podest wieder – denn anmelden kann man sich bis kurz vor dem Start.
Velogemel-Weltmeisterschaft
fdp. Am 10. Februar ab 12 Uhr findet auf der Bussalp oberhalb von Grindelwald (in circa 40 Minuten erreichbar mit dem Bus ab Grindelwald Bahnhof) die Velogemel-Weltmeisterschaft statt.
Kategorien: Juniorinnen, Junioren, Damen, Herren.
Wertung Einzel: schnellste Zeit in jeder Kategorie (ein Lauf).
Wertung Team: Drei Einzelläufer/-innen können sich zusätzlich, auch kategorienübergreifend, als Team zusammenschliessen. Die Mannschaft mit der kürzesten aus den drei Einzelzeiten addierten Gesamtzeit gewinnt den Teamwettkampf.
Informationen unter www.velogemelgrindelwald.com