BADMINTONKÖNIG
31.01.2019 SportPrüfungen im Sport
Meine Schwester steht momentan mitten im Prüfungsstress. Sie fasst die letzten Skripte zusammen und wechselt den Blick konzentriert vom Lehrbuch zu den Vorlesungsnotizen. Letzte Karteikarten lernt sie auswendig. Nach einem Semester Unterricht wird am Tag X der ...
Prüfungen im Sport
Meine Schwester steht momentan mitten im Prüfungsstress. Sie fasst die letzten Skripte zusammen und wechselt den Blick konzentriert vom Lehrbuch zu den Vorlesungsnotizen. Letzte Karteikarten lernt sie auswendig. Nach einem Semester Unterricht wird am Tag X der ganze Stoff geprüft. Ihre Leistung wird von Experten bewertet. Besteht sie nicht, hat sie sich nochmals für die Nachprüfung ins Zeug zu legen – ein weiterer Tag X, der erst in einem halben Jahr wiederkommen würde.
Draussen schneit es zwar auch, doch bin ich nicht in der zugedeckten Schweiz. Als Badmintonprofi weile ich in Schweden an meinem ersten Wettkampf des Jahres – und auch ich habe einen Tag X vor mir. Wie meine Schwester hatte auch ich eine Vorbereitungsphase. Nun trete ich in Bälde auf das Spielfeld und ich schaue, dass ich offene Fragen zum Gameplan geklärt habe. Nur noch eines wird gelten: Ich muss liefern. Stehe ich meinem Gegner gegenüber, bin ich nur im Hier und Jetzt und nehme aufmerksam wahr, was auf dem Feld geschieht. Wie reagiert er auf einen schnellen Schlag von mir? Welches Spiel versucht er mir aufzuzwingen? Wie kann ich darauf reagieren? Raum und Zeit für Eselsbrücken oder Tipp-Ex gibt es nicht.
Die Ballwechsel sind immer wieder hart umkämpft, doch am Schluss ziehe ich den Kürzeren. Mein dänischer Widersacher ist zu stark für mich. Die Bewertung meiner Prüfung? Ich habe den letzten Punkt verloren und somit das Spiel, also habe ich nicht bestanden. Mhm, ist dies wirklich so einfach? Habe ich wirklich nicht bestanden, nur weil ich verloren habe? Habe ich vielleicht doch sehr gut gespielt, aber es reichte einfach nicht für den Sieg? Jetzt gerade weiss ich das noch nicht, denn im Moment des Shake-Hands mit meinem Gegner habe ich meist nur Gefühle. Ich weiss noch nicht, wie ich den Match losgelöst von Emotionen einordnen soll.
Aber wer bewertet eigentlich mein Spiel? Wer ist denn mein Experte? Ist es mein Trainer? Ich selbst? Oder ist es am Ende doch nur das Endresultat, das entscheidet? Was ist, wenn ich verloren habe, ich aber aus dem Training alles anwenden konnte und tolle Fortschritte präsentierte? Das sind Fragen und Gedanken, die mich als Berufssportler jeden Tag beschäftigen. Ich will besser werden, will Erfolge erzielen. Meist reicht der Blick aufs Resultat aber nicht aus. Ich brauche Scharfsinn und den Rat meiner Betreuer, um ein Spiel richtig einzuschätzen.
Trotz der vielen Parallelen existieren grosse Unterschiede zwischen Studierenden und mir als Badmintonprofi. Die Zeitspanne zwischen zwei Prüfungen dauert bei mir meist nur eine Woche, manchmal sogar nur einen Tag. Der bedeutendste Unterschied ist aber: Ich habe immer Nachprüfungen, egal, ob ich bestehe oder nicht.
Der 23-jährige Joel König aus Titterten ist Badminton-Profi. 2014 beendete er das Sportgymnasium in Liestal. Er trainiert für den Schweizer Durchbruch im internationalen Badmintonsport.