«In der Anlage wird ökologischer produziert»
28.12.2018 WintersingenThomas Schwizer vom Steinobstzentrum Breitenhof über die Zukunft des Obstbaus
Für Kirschen und Zwetschgen war das Hitzejahr 2018 ein gutes Jahr. Thomas Schwizer, der Leiter des Agroscope-Steinobstzentrums Breitenhof in Wintersingen, gibt Einblick in die ...
Thomas Schwizer vom Steinobstzentrum Breitenhof über die Zukunft des Obstbaus
Für Kirschen und Zwetschgen war das Hitzejahr 2018 ein gutes Jahr. Thomas Schwizer, der Leiter des Agroscope-Steinobstzentrums Breitenhof in Wintersingen, gibt Einblick in die Forschung.
David Thommen
«Volksstimme»: Herr Schwizer, das Jahr 2018 war mit Hitze und Trockenheit ein enorm schwieriges Jahr für die Landwirtschaft. Nicht aber für Ihren Bereich, den Obstbau … Thomas Schwizer: Tatsächlich. Sonne und Wärme haben sich sehr positiv ausgewirkt. Wir hatten als Folge des Frostes im Vorjahr einen stark überdurchschnittlichen Behang und konnten im Sommer eine wunderbare Qualität ernten. In den modernen, gedeckten Anlagen hatte die Trockenheit keine negativen Auswirkungen, da dort ohnehin bewässert wird.
Bewässert wird aber längst nicht überall …
An Standorten mit ganz wenig Grundwasser und sehr trockenen Böden hat es einige Probleme gegeben. Zum Teil blieben die Kirschen und Zwetschgen klein, zum Teil sind sie sogar geschrumpft. Selbst bei alten Hochstämmen, die tief wurzeln, gab es wegen der Trockenheit zum Teil wenig zu ernten. Das ändert aber nichts an der insgesamt guten Bilanz.
Hat die Trockenheit Schäden an den Bäumen hinterlassen?
Bei Waldbäumen war dies der Fall …
Langzeitschäden gab es bei den Obstbäumen eher nicht. An schlechteren Standorten dürfte wetterbedingt allerdings der Ertrag im kommenden Jahr leiden. Zum Teil sind nur wenige Blütenknospen für den Austrieb im Frühjahr gebildet worden, oder die Knospen sind von schlechter Qualität. In den bewässerten Anlagen sieht es hingegen perfekt aus.
Es wird vorhergesagt, dass die Sommer immer wärmer und trockener werden. Ändert sich der Obstbau dadurch?
Höchstens leicht. Die Bewässerung muss einerseits zum Standard werden, andererseits könnte sich hierzulande für die Aprikose eine Chance eröffnen: Im Wallis, wo es durchwegs wenig Niederschlag gibt, gedeiht sie bekanntlich gut. Hier sind die Bedingungen nicht viel schlechter. Noch etwas ungelöst ist allerdings die Frage, wie man sie am besten vor Frost im Frühjahr schützt. Im Wallis wird die «Überkronen-Beregnung» praktiziert. Die Bäume werden also bei Frostgefahr mit Wasser berieselt, damit das sich bildende Eis die Blüten schützt. Hier im Jura hätten wir nicht überall genügend Wasser dafür.
Baselland – bald einmal ein Aprikosen-Kanton?
Das ist denkbar. Aber das läge in recht ferner Zukunft. Auf dem Breitenhof erforschen wir gerade, welche Sorten sich eignen könnten.
Der Obstbau ist anfällig. Man kämpft gegen Pilzbefall und Insekten, muss bewässern und gleichzeitig die Früchte vor Regen schützen. Passt der Steinobstbau überhaupt zu uns?
Zwetschgen und Kirschen passen ausgesprochen gut hierhin, das warme Klima ist ideal. In anderen Regionen wie der Ostschweiz oder im Berner Seeland ist in den vergangenen Jahren der Kirschenanbau ausgeweitet worden – nicht überall mit gutem Erfolg. Je feuchter und kühler es ist, desto grösser werden die Probleme mit der Baumgesundheit.
Wie es aussieht, werden die Probleme nicht weniger …
Die grösste Herausforderung sind derzeit die Neophyten oder genauer: die Neozoa, also die importierten Insekten. Wir haben die Kirschessigfliege, die uns innert weniger Jahre völlig überrannt hat. Es kommen weitere Insekten hinzu – ganz stark derzeit die Marmorierte Baumwanze. Auch die Mittelmeerfruchtfliege taucht stärker auf und die Schmierläuse werden zunehmend zum Problem. Wir müssen darauf Antworten finden.
Zudem sind Bakterien ein Problem.
Ja, diese Bakterien – Pseudomonas – sind aber einheimisch und kommen auch natürlicherweise auf den Bäumen vor. Sie werden dann zum Problem, wenn die Bäume unter Stress geraten. Wir züchten immer kleinere Bäume, die einen immer grösseren Ertrag bringen. Es ist wie bei den Menschen: Wenn man permanent Höchstleistungen erbringen muss, wird man anfälliger auf Krankheiten. Wird der Stress bei den Bäumen durch extreme Wetterbedingungen verschärft, können die Bakterien besser und schneller angreifen. Man muss dem Baum möglichst stressarme Bedingungen schaffen.
Entschleunigung für Bäume?
So ähnlich … Gegen Nässe oder Trockenheit zum Beispiel kann man etwas tun, man kann auch die Stämme mit Kalk bestreichen, damit die Stämme im Winter nicht zu warm werden, wodurch sich Risse im Holz bilden. Wenn sich der Baum wohlfühlt, bekommt er die Bakterien selber wieder in den Griff.
Man hat den Eindruck, der Obstbau findet bald unter Laborbedingungen statt: Dach drüber, Netze drumherum, Bewässerung. Ein Austausch mit der Natur findet in solchen Anlagen kaum noch statt.
Wir untersuchen auf dem Breitenhof gerade die ökologischen Vor- und Nachteile der Einnetzung. Ebenfalls versuchen wir, den besten Zeitpunkt zu finden, zu welchem die Netze angebracht werden, damit wir von den Diensten der Nützlinge so lange wie möglich profitieren können. Man muss einfach sehen: Dank der Netze kann man heute umweltfreundlicher produzieren. Wir sperren die Schädlinge aus und können dadurch im Idealfall sogar ganz auf Insektizide verzichten. Es tönt vielleicht paradox, aber in der Anlage lässt sich «biologischer» produzieren als auf offenem Feld.
Das Bio-Label im Steinobstanbau findet man bisher eher selten.
Ja, das bleibt schwierig und wird nie einfach werden. Doch wir kommen dem «Bio» näher. Wir forschen stark daran, wie sich der Einsatz von Herbiziden dank mechanischer Geräte reduzieren lässt. Erst recht, seitdem beispielsweise das Glyphosat auf der Abschussliste steht. Zudem machen wir grosse Fortschritte mit biologischen Spritzmitteln. Wir produzieren in den Anlagen einerseits also immer industrieller, werden dabei aber trotzdem immer umweltfreundlicher.
Die Hochstammbäume sind am Verschwinden. Tragen Sie mit Ihrer Forschung dazu bei? Ist der Hochstamm nur noch Folklore?
Rentabel produzieren für den Tafelkirschenmarkt kann man heute nur noch in den modernen Anlagen. Das Segment für Hochstamm-Tafelkirschen ist mittlerweile sehr klein geworden. Die Ernte ist extrem aufwendig und die Produktionskosten für die Frucht sind dadurch zu hoch. Anders sieht es bei Brenn- und Industriekirschen aus. Hier haben Hochstämme nach wie vor ihren Platz.
Auf der Versuchsfläche auf dem Breitenhof stehen 7000 Bäume. Wie viele davon sind Hochstämme?
(Lacht) Ein einziger … Ein alter Magda-Kirschenbaum. Er steht auf einer Parzelle, auf der wir ohnehin keine Anlage einrichten können, also steht er auch nicht im Weg … Natürlich sind Hochstämme landschaftsprägend und für die Natur tendenziell wertvoller. Aber die Natur passt sich auch den Anlagen an. Wir hatten hier einen Kauz, der sich unter einem Regendach pudelwohl fühlte. Meisen lieben die Dächer ebenfalls, selbst Distelfinken samt Nachwuchs hatten wir schon in geschlossenen Anlagen, die gar nicht mehr hinaus wollten.
Wohin geht der Trend im Obstbau bei der Sortenvielfalt?
In der Schweiz werden keine Sorten gezüchtet, das wäre viel zu aufwendig. Wir importieren vielversprechende Züchtungen als Edelreiser, um sie hier zu testen. An der Vielfalt insgesamt wird sich kaum etwas ändern. Gefragt sind derzeit vor allem noch sehr frühe und sehr späte Sorten, um die Saison auszudehnen.
An wie vielen Kirschensorten forschen Sie aktuell in Wintersingen?
An gut 100. Für jede Sorte haben wir drei Bäume, die jeweils nach vier Jahren Resultate bringen, die wir auswerten können. Angeschaut werden ganz viele Eigenschaften wie Ertrag, Grösse, Form, Pflückbarkeit, Anfälligkeiten, Zucker, Säure, Aromatik oder eben auch: Erntezeitpunkt. Das wird alles akribisch dokumentiert.
Wie viele der 100 Sorten haben eine Chance, jemals auf den Markt zu kommen?
Vielleicht fünf, maximal sechs.
Schauen wir in die Zukunft: Wohin geht die Reise im Obstbau?
Der Baumschnitt von Hand ist sehr aufwendig, weshalb wir derzeit am mechanischen Schnitt forschen. Ein solches Gerät ähnelt einem vertikaler Balkenmäher. Die neue Technik bedingt, dass die Baumform angepasst werden muss. Ideal wäre es, wenn die Pflanzung wie eine Thujahecke aussehen würde. Wir sprechen in diesem Zusammenhang von einer Fruchtwand: Schmal, nicht zu hoch, mit sehr kurzen Ästen. In dieser Form sind die Bäume problemlos maschinell zu schneiden. Und vor allem sind Fruchtwände auch enorm viel einfacher und damit kostengünstiger zu ernten. Kommt hinzu: In den schmalen Hecken gibts kaum noch Schatten, was die gleichmässige Reifung der Früchte und die Qualität garantiert. Auch Schadinsekten wie beispielsweise die Kirschessigfliege fühlen sich in solchen Fruchtwänden gar nicht mehr wohl.
Lassen Sie mich rekapitulieren: Die Früchte der Zukunft stammen also nicht mehr von Bäumen, sondern von Hecken, die man «Fruchtwände» nennt, die überdeckt und vollständig in Netze eingepackt sind …
Das wäre schon möglich und tönt gewöhnungsbedürftig. Doch die ökologischen und ökonomischen Vorteile sind nicht zu übersehen.
Welche Neuerungen im Obstbau erwarten Sie noch?
Kürzlich wurde an einer Tagung der völlig geschützte Kirschenanbau im ganzjährig geschlossenen Plastiktunnel vorgestellt – also in Tunnels, wie wir sie vom Gemüseanbau her kennen, einfach viel grösser. Das soll funktionieren, ist aber noch so teuer, dass wir uns hier auf dem Breitenhof noch lange nicht damit befassen müssen. Zum Glück: So weit muss die Entwicklung meiner Meinung nach nicht gehen. Dann sind wir bald bei Hors-sol-Kulturen. Das war schon bei den Erdbeeren ein Irrweg.
Also soll man nicht alles machen, was man machen könnte?
Das ist eine Gratwanderung. Der Obstbau muss unter wirtschaftlichen Bedingungen stattfinden können, aber wir spüren gleichzeitig natürlich den gesellschaftlichen Druck nach mehr Ökologie. Unsere Antwort sind Produktionsformen, die mit weniger Spritzmittel auskommen. Der Druck darf einfach nicht zu hoch werden: Es wäre auch aus ökologischer Sicht keine gute Idee, die Kirschenproduktion anderen Weltgegenden zu überlassen. Speziell die Türkei richtet sich stark auf den Kirschenexport aus und könnte die Schweizer Produzenten bedrängen. Umweltschutz hat dort wenig Bedeutung: In den riesigen Monokulturen wird hemmungslos gespritzt.
Forschung seit 1955
tho. Der Breitenhof in Wintersingen ist seit 1955 der Steinobst-Versuchsbetrieb des Bundes. Erforscht werden im Auftrag von Agroscope alle Aspekte im Zusammenhang mit dem Anbau von Kirschen, Zwetschgen und im kleineren Rahmen auch von Aprikosen. Die Anlagen umfassen derzeit rund 7000 Bäume. Der Betrieb wird seit 1997 von Thomas Schwizer (51) geleitet. Seit 1997 wird der Breitenhof auch von den Kantonen Basel-Landschaft, Aargau, Solothurn, Bern, dem Schweizer Obstverband und dem FiBL unterstützt. Schwizer, der in der Region Walsensee aufgewachsen ist, studierte in Wädenswil Obstbau.