Schreibend auf die Beine gekommen
29.11.2018 RickenbachBéatrice Flückiger hat ihren Schicksalsschlag in einem Buch verarbeitet
Nach einer Hirnblutung war es unsicher, ob Béatrice Flückiger jemals wieder wird gehen können. Als sie sich zurück ins Leben gekämpft hatte, hielt sie ihre Erlebnisse in ...
Béatrice Flückiger hat ihren Schicksalsschlag in einem Buch verarbeitet
Nach einer Hirnblutung war es unsicher, ob Béatrice Flückiger jemals wieder wird gehen können. Als sie sich zurück ins Leben gekämpft hatte, hielt sie ihre Erlebnisse in Tagebüchern fest. Jetzt hat sie daraus eine Autobiografie verfasst.
Sara Keller
«Es ist nicht selbstverständlich, dass ich heute hier vor Ihnen stehen kann.» Mit diesen Worten erklärt Béatrice Flückiger den rund 50 Gästen im Kloster Dornach den Titel ihres Buches «Aufstehen zum Leben!».
Sie hat das Werk gemeinsam mit dem Buchprojekt Edition Unik geschrieben, um einen schweren Schicksalsschlag zu verarbeiten: Am 23. Juni 2009 erlitt die heute 69-Jährige eine Hirnblutung. «Von einer Sekunde zur anderen änderte sich mein Leben von Grund auf. Meine linke Körperseite war gelähmt, fünf Monate habe ich im Spital verbracht und ich war für ein ganzes Jahr auf den Rollstuhl angewiesen», sagt sie gegenüber der «Volksstimme».
Die Rickenbacherin ist eine von drei Teilnehmerinnen der «Edition Unik», die Teile aus ihren autobiografischen Werken im Kloster Dornach vorlesen. Das Zürcher Kulturprojekt hilft den Teilnehmenden, ihre Erinnerungen in ein Buch zu verwandeln. Nachdem Margrith Auchter-Caviezel von ihren beiden Krebserkrankungen erzählt, und Lotti Kofler verschiedene fröhliche Erinnerungen mit dem Publikum geteilt hat, wartet dieses nun gespannt darauf, zu erfahren, wie sich Béatrice Flückiger nach der Hirnblutung zurück ins Leben gekämpft hat.
Vom Geschriebenen zum Buch
«Wie die Béa zum Fall wurde», lautet das erste Kapitel, das sie vorliest. Es illustriert, wie sie auf einer Wanderung zusammensackte und ohne Gefühl in ihrer linken Körperseite im Bruderholzspital erwachte. Ihr Buch erzählt weiter, wie sie nie die Hoffnung aufgab und langsam ihre Selbstständigkeit zurückgewann. «Am meisten Mühe machte es mir, meinen Lebenswillen zurückzugewinnen», sagt sie. «Als ich zuerst meine Ehe und dann meinen gesunden Körper verlor, fiel es mir schwer, den Grund für mein Dasein zu sehen.» Kraft gaben ihr in dieser Zeit ihre vier Kinder, Freundinnen und Dorfbewohner. «Die Kinder erinnerten mich daran, dass ich immer gesagt habe, dass ich meine Enkelkinder kennenlernen möchte.» Von diesem Moment an sei ihr Lebenswille langsam wieder zurückgekehrt: «Ich wollte leben und wieder gehen können. Und wie Sie gesehen haben, konnte ich heute selbstständig vor Sie treten», wendet sie sich lächelnd an die Zuhörer.
Bereits sechs Tage nach der Hirnblutung hat sie im Spital begonnen, Tagebuch zu schreiben. «Ich wusste sofort, dass ich dieses später zu einem Buch zusammenfassen möchte. Nur, wo ich dieses gestalten und drucken lassen soll, war mir ein Rätsel», so die vierfache Mutter gegenüber der «Volksstimme». Schliesslich legte ihr eine Freundin einen Zeitungsartikel über die «Edition Unik» in den Briefkasten. «Daraufhin besuchte ich vor genau einem Jahr die Lesung der damaligen Teilnehmer hier im Kloster.» Am nächsten Tag meldete sie sich für die kommende der beiden halbjährlichen Schreibrunden der Edition an, und im Januar dieses Jahres begann der Schreibprozess.
Das Projekt unterstütze sie dabei zum Preis von rund 500 Franken mit einem straffen Zeitplan, drei Meetings in Zürich, Beratung und einer dreiteiligen App, mit welcher sie von zu Hause aus ihr Buch schreiben konnte. «Der Zeitplan ist mit 17 Wochen, aufgeteilt in drei Etappen inklusive Pausen, konzentriert und anspruchsvoll», erklärt die heute fünffache Grossmutter. «In der ersten Arbeitsphase mussten wir schreiben, in der zweiten die Texte zu Kapiteln zusammenfügen, und in der letzten das Buch gestalten.»
Ein Traum, der wahr wurde
Mit dem Schreiben konnte sie das Geschehene erst richtig verarbeiten: «Als ich nach fünf Monaten aus dem Spital entlassen wurde und nach Hause kam, habe ich meine Aufzeichnungen versteckt und sie nie mehr angesehen.» Für das Buch nahm sie diese wieder hervor und begann zu lesen – kein einfacher Prozess: «Es hat sich angefühlt, als würde ich alles nochmals erleben. Es war sehr aufwühlend und ich habe viel geweint.» Doch es habe gutgetan – sie habe das als ihre Art angesehen, mit dem Erlebten abzuschliessen.
Schonungslos schrieb sie alles nieder und integrierte gar unveränderte E-Mails und Briefe. «Falls ich wieder einmal ein Buch schreibe, werde ich es auf jeden Fall anonymisieren, damit ich es an Interessierte oder zum Verkauf freigeben kann.»
Sie beendet ihre Lesung mit einem Kapitel, das einen Traum schildert, den sie daheim hatte: «Am Dreikönigstag träumte ich, dass ich Fahrrad fahren konnte. Wie eine Königin fuhr ich durch die Landschaft» – zu diesem Zeitpunkt eine unvorstellbare Situation. Doch bereits vier Jahre später wurde dieser Traum auf einer Reise in Holland wahr.