Der Vogel und die Schweiz
08.11.2018 BaselMarc Tschudin vergleicht in seinem Film Vögel mit Menschen
Marc Tschudin, ein Exil-Basler mit Oberbaselbieter Wurzeln, erzählt in seinem ersten Kinofilm über Parallelen zwischen Menschen und Vögeln. Drei Jahre lang filmte er in der ganzen Schweiz und im Ausland. ...
Marc Tschudin vergleicht in seinem Film Vögel mit Menschen
Marc Tschudin, ein Exil-Basler mit Oberbaselbieter Wurzeln, erzählt in seinem ersten Kinofilm über Parallelen zwischen Menschen und Vögeln. Drei Jahre lang filmte er in der ganzen Schweiz und im Ausland. Sein Grossvater, der lange oberhalb von Bennwil lebte, sorgte für die Inspiration.
Sabri Dogan
«Uns Menschen unterscheidet manchmal nicht viel von einem Vogel», sagt der Biologe und Dokumentarfilmer Marc Tschudin. Er präsentierte am vergangenen Sonntag seinen Film «Zwitscherland» als Regional-Premiere in Basel. In seinem ersten Kinofilm zieht er Parallelen zwischen Schweizer Bräuchen und Gepflogenheiten und der Vogelwelt.
Tschudin sitzt im Kultkino in Basel und erzählt über sich und seinen neuen Film: «Interessante Vogelschauplätze sind in der Schweiz gut abgesteckt. Wer sich im Revier eines anderen Vogelfotografen einen guten Platz ergattern möchte, kann manchmal in arge Schwierigkeiten geraten.» Tschudin hat für seinen Film jahrelang gefilmt und manche kuriose Szenen erlebt. Stundenlang hat er in der Kälte in den Bergen oder in der Hitze in Marokko geduldig auf gute Bilder gewartet. Warten unter widrigen Wetterkonditionen ist für einen Dokumentarfilmer normal. Weniger üblich ist es, von der Bundespolizei in einem SUV mit abgedunkelten Scheiben angehalten und mit der Kamera weggewiesen zu werden. Geschehen in Pontresina. Der Grund: Angela Merkel war in den Ferien auf Wanderschaft. Auch sonst seien eine grosse Kamera und Equipment nicht immer von Vorteil, sagt er. Vor allem dann nicht, wenn alle Kameras am Flughafen Zürich die grössten «Vögel» fotografieren, aber Tschudin nach kleinen Vögeln abseits der Rollbahn sucht.
Start als Fotojournalist
In abwechselnden Szenen erzählt Tschudins Film von der Vielfalt von Vögeln in der Schweiz und zieht interessante Parallelen zu Schweizer Bräuchen. Spektakulär zeigt er Bilder von Vögeln, die überall Nisten: In Aschenbechern oder auch oben auf der Kuppel des Bundeshauses. Das Balzverhalten der Birkhähne erklärt er mit Schwingerszenen aus einem Grossanlass. Der Film regt mit solchen Vergleichen zum Nachdenken an und liefert zugleich Bilder aus der Natur und Gesellschaft.
Eigentlich entstand sein erster Schweizer Kinofilm unter ungünstigen Sternen. Filme über die Natur werden finanziell selten gefördert. Für Tschudin kein Hindernis: «Ich folge meinem Herzen. Ich möchte Dinge machen, die mich erfüllen».
Bei fünf Geschwistern hiess es für Tschudin, das Biologiestudium weitgehend selbst zu finanzieren. Er arbeitete als Fotojournalist. Grosse Blätter wie die Basler Zeitung, Sonntags-Blick oder die Coopzeitung belieferte er mit Fotobeiträgen. Später, in den 1990er-Jahren, kam er zum Schweizer Fernsehen. Dort produzierte er als selbstständiger Filmer Beiträge zum Beispiel für die Sendung 10 vor 10. Eine eigene Sendung wollte er nie zwingend. «Ich bin eher der introvertierte Typ», sagt Tschudin. Er arbeitet gerne im Hintergrund.
Grossvater vermittelte Passion
Geschätzt und bekannt ist er allemal bei seinen Kolleginnen und Kollegen. An der Premiere in Basel sind Radiomoderatoren wie Bernard Senn oder Produzentinnen wie Andrea Fischli-Roth von Einstein dabei. Das ausverkaufte Kino erklärt Tschudin vorsichtig: «Anfang 2000 hatte ich über sechs Jahre eine eigene kleine Serie ‹Natour de Suisse›. Vielleicht ein Mitgrund für das volle Kino? Oder sind es meine Basler und Baselbieter Wurzeln?» Seine Arbeit als Filmer hat jedenfalls Spuren hinterlassen. Allüren hat er deswegen keine.
Tschudins Grossvater,Walter Friedrich Tschudin, mit Wurzeln in Gelterkinden, hat den Filmemacher geprägt. Dieser baute während der Kriegszeit eine Waldhütte auf Bennwiler Boden. Die Angst vor dem Einmarsch der Deutschen liess den Opa väterlicherseits mit seiner Familie oberhalb des Dorfs zu Selbstversorgern werden. Der Chemiker und Geologe hat sich immer aktiv mit seiner Umgebung auseinandergesetzt und so auch Beiträge etwa zum «Bämbeler» Dorfmuseum geleistet. «Mein Grossvater interessierte sich für Zusammenhänge. Ich hatte ein enges Verhältnis zu ihm und kam der Natur und den Vögeln durch ihn nah». Tschudin sagt und lacht: «Er gab mir in der Kindheit, als er nicht mehr so gut auf den Beinen war, Aufträge. Unvergesslich war der Botengang in die Berge. Er beauftragte mich, ihm ein Schneehuhnei zu bringen». Sein Grossvater war mit eine Inspiration zum Film «Zwitscherland».
Die erste Kinoproduktion von Tschudin hat auch nach ihrer Fertigstellung weitere Hürden auf Lager. «Bei den Filmaufnahmen war es physisch und psychisch eine Herausforderung. Ich musste das eine oder andere Mal 30 Kilogramm Gepäck auf den Berg tragen oder auf einen 30 Meter hohen Kran steigen, obwohl ich unter Höhenangst leide», erinnert sich Tschudin.
Private Fördergelder
Eine der grössten Schwierigkeiten war aber die Finanzierung. «Die Vogelwarte Sempach hat mir geholfen, nach privaten Fördergeldern zu suchen, um den Film zu finanzieren.» Nach dem Filmstart Anfang November treibt er nun mit seiner langjährigen Partnerin Monika die Marketingaktivitäten voran, denn hinter ihm steht keine Maschinerie, die den Film in den rund 270 Schweizer Kinos bewirbt. «Jedes Kino, das den Film zeigt, ist willkommen.»
Bei der Romandie-Premiere in Morges vor 650 Personen gab es während des Filmes lautstarke «Ouis» und «Ohs». «Das sind die Momente, bei denen man nach langer Arbeit Erfüllung spürt – wenn das Publikum mit dem Film mitlebt und zufrieden ist», sagt Tschudin mit einem Strahlen im Gesicht.