Liebe, Fürsorge und Aufopferung
25.10.2018 RatgeberLesetipp | «Die Fliegengöttin» von Hansjörg Schertenleib
Wer stirbt, braucht jemanden an seiner Seite, der stark ist. Hansjörg Schertenleibs Novelle rührt an, stimmt nachdenklich und erzählt von Fürsorge und Zärtlichkeit, ...
Lesetipp | «Die Fliegengöttin» von Hansjörg Schertenleib
Wer stirbt, braucht jemanden an seiner Seite, der stark ist. Hansjörg Schertenleibs Novelle rührt an, stimmt nachdenklich und erzählt von Fürsorge und Zärtlichkeit, aber auch von Überforderung und Hilflosigkeit.
Ruth Brandt*
Erzählt wird nur ein einziger Tag im Leben von Eilis und Willem de Wit. Seit über fünfzig Jahren sind die beiden glücklich verheiratet und haben zusammen drei Kinder grossgezogen, zwei Mädchen und einen Jungen. Eines der Mädchen starb viel zu früh, der Junge ist schwul, eine Tatsache, mit der vor allem Willem anfangs Mühe hatte und die er nur schwer akzeptieren konnte.
Bereits sind zwei Jahre vergangen, seit bei Eilis Alzheimer diagnostiziert wurde. Mit grosser Fürsorge und Aufopferung pflegt Willem seine geliebte Gattin, obwohl auch er zusehends gebrechlich wird. Was bleibt, sind Angst und Liebe. Das laute, vorwurfsvolle Klopfen am Morgen, das Willem nur allzu gut kennt, wenn seine Eilis mit dem Spazierstock gegen die Metallstangen des Pflegebettes schlägt. Höchste Zeit sie aufzunehmen, zu waschen und anzuziehen.
Sie frühstücken im Wohnzimmer, damit Eilis nicht nur den Himmel, sondern auch die Strasse und vielleicht andere Menschen sehen kann. Dass sie in ihrem Haus an der rauen Küste Irlands sterben wollen, das haben sie sich versprochen. Sie wollen füreinander da sein bis zuletzt, sich gegenseitig erlösen, wenn einer nicht mehr kann oder der Eintritt in ein Pflegeheim Tatsache wird. Willem hält sich an das Versprechen da zu sein, auch wenn ihm Sohn und Tochter raten, die Last, die Eilis geworden ist, abzugeben und Hilfe anzunehmen.
Im Verlauf dieses Tages erfährt der Leser viel über das alte Liebespaar: Wie sie zusammengekommen sind, über die Eltern von Eilis, den Vater, der stets Willem auf Distanz hielt, die Mutter, die erfreut war über die Bekanntschaft ihrer Tochter mit dem charmanten Holländer. Und da ist noch Amma, ein afrikanisches Nachbarmädchen, das ihnen Gedichte schreibt und diese in den alten Taubenschlag von Willem legt und ihn mit diesen Zeilen zutiefst berührt.
Ob Willem schliesslich das Versprechen hält und Eilis von ihrem Leiden erlöst, lasse ich an dieser Stelle offen. Schertenleib hat eine Novelle geschrieben, die anrührt, die nachdenklich stimmt, die von Fürsorge und Zärtlichkeit erzählt, aber auch von Überforderung und Hilflosigkeit. Dies ist nicht ein Buch über Alzheimer, sondern über die Liebe. Der Schweizer Autor verbrachte längere Zeit in Irland und lebt nun seit zwei Jahren in Maine, USA.
«Die Fliegengöttin», Hansjörg Schertenleib, Kampa Verlag, 176 Seiten.
* Ruth Brandt ist Mitarbeiterin der Schul- und Gemeindebibliothek Sissach.
Öffnungszeiten der Bibliothek Sissach:
Dienstag, 15 bis 20 Uhr, Mittwoch, 12 bis 18 Uhr,
Donnerstag und Freitag, 15 bis 18 Uhr,
Samstag, 9.30 bis 11.30 Uhr