Karriere trotz widrigen Umfelds
26.10.2018 ReigoldswilUrs Casagrande, Gemeindepräsident Reigoldswil, parteilos
In der zweiten Oktoberwoche durfte ich als Prüfungsexperte, nun schon zum 39. Mal, die weiterführenden Prüfungen im Detailhandel für die deutsche Schweiz in Zürich abnehmen. ...
Urs Casagrande, Gemeindepräsident Reigoldswil, parteilos
In der zweiten Oktoberwoche durfte ich als Prüfungsexperte, nun schon zum 39. Mal, die weiterführenden Prüfungen im Detailhandel für die deutsche Schweiz in Zürich abnehmen.
Die angehenden Detailhandelsspezialistinnen und -spezialisten haben allesamt eine abgeschlossene Lehre im Detailhandel hinter sich sowie einige Jahre Berufserfahrung. Das Gros ist zwischen 25 und 35 Jahre alt. Jahr für Jahr nehmen rund 300 Kandidatinnen und Kandidaten an diesen Prüfungen teil und bereiten sich, wohlgemerkt in ihrer Freizeit, mit verschiedenen Modulen in den entsprechenden externen Kursen auf die Prüfung vor.
Da soll noch jemand sagen, die jungen Leute von heute interessierten sich nur noch für irgendwelche Freizeitvergnügungen und nicht mehr für ihre Arbeit oder ihren Arbeitgeber. Diese Leute wollen vorwärtskommen in Beruf und Gesellschaft und nehmen dafür einige Opfer in Kauf. Ihnen gebührt meine Hochachtung! Natürlich reüssieren nicht alle, denn der Abschluss ist äusserst anspruchsvoll. Und trotzdem, auch diejenigen, die im ersten Anlauf nicht bestanden haben, versuchen es dann halt ein Jahr später wieder.
Der stationäre Detailhandel durchläuft seit einigen Jahren schwierige Zeiten, bedingt durch den Einkaufstourismus und den stark aufstrebenden Onlinehandel. Es weht ihm ein rauer Wind entgegen und gerade deshalb benötigt diese Branche bestens ausgebildete und innovative Fachleute, die den Kontakt zum Kunden suchen und mit Freude und Überzeugung ihre Produkte verkaufen. Fachlich hochstehende Beratung wird immer wichtiger, denn viele Produkte sind keine Selbstläufer und haben Erklärungsbedarf.
Leider steht der stationäre Detailhandel heute derart unter Druck, dass vor allem kleine und nicht filialisierte Geschäfte nach und nach aufgeben müssen. Dies führt zwangsläufig zu Leerständen in den Innenstädten, aber auch in grossen Einkaufszentren sowie zu einer Verarmung der Vielfalt und Auswahl. Ausländische Grossunternehmen wie etwa Zalando oder Amazon dominieren zunehmend den Onlinehandel und verdrängen die angestammten Geschäfte. Diese Firmen verdienen viel Geld mit uns, das jedoch nie in der Schweiz versteuert wird, und Arbeitsplätze, die durch den Verlust des stationären Handels entstehen, werden kaum im Inland aufgefangen. Wenn wir uns also freuen über ein Schnäppchen, das wir entweder im Onlinehandel oder im grenznahen Ausland erstanden haben, dann sollten wir uns immer auch fragen, welche Auswirkungen dies auf uns und die schweizerische Volkswirtschaft hat. Denn seien wir ehrlich, niemand von uns will, zum Beispiel im Einzelhandel, nach Deutschland arbeiten gehen, zu den dort üblichen Löhnen, oder?
Wir haben es also weitgehend selbst in der Hand, ob wir in Zukunft nur noch einen «Einheitsbrei» internationaler Grosskonzerne konsumieren wollen oder ob uns eine heimische Vielfalt und grosse Auswahl nicht doch wichtiger ist. Dass Letzteres natürlich auch etwas kostet, ist selbstredend. Das sollte es uns auch wert sein, wenn wir an die vielen jungen Leute denken, die in den nächsten Tagen ihr Diplom als eidgenössisch diplomierte Detailhandelsspezialisten entgegennehmen dürfen. Geben wir ihnen doch eine Chance!