Aus dem Logbuch eines Inselsammlers, Teil 3: Borneo

Borneo ist einer dieser Sehnsuchtsorte, die ich einmal im Leben besuchen wollte. Es ist seelenverwandt mit Bora Bora, Antananarivo und Portofino. «Warum nicht das Rütli, Olten und Zermatt?», höre ich Kaderli fragen. Vielleicht, weil Sehnsuchtsorte mehr Vokale enthalten.

Hanspeter Gsell*

«Sabah, Land unter dem Wind, Land der heiligen Berge. Üppig grünes, tropisches Paradies im Norden der grossen, geheimnisvollen Insel Borneo.» So beschreibt Albert Teo, Fotograf, Autor und Gründer der «Sukau Rainforest Lodge», die Region Sabah.

Bevor es weiter geht zu den Nasenaffen, Orang-Utans und Waldelefanten, verbringen wir eine Nacht in Sandakan. Die Stadt liegt an der Ostküste von Borneo und dient seit den Zeiten, als der Norden der Insel eine britische Kronkolonie war, als Verwaltungshauptstadt. Zu eher zweifelhafter Berühmtheit kam die Stadt im Zusammenhang mit dem Raubbau an den Regenwäldern und den Rodungen für die Ölpalmen-Plantagen. Was werden wir dort vorfinden?

Unser erstes Ziel ist das «Sepilok Orang-Utan Rehabilitation Centre» westlich von Sandakan. Hier kümmert man sich um verwaiste Jungtiere aus ganz Sabah. Ihre Eltern kamen bei Waldrodungen oder bei der illegalen Jagd ums Leben. Viele der aufgenommenen Orang-Utan-Babys fand man in Privathäusern, wo sie als Haustiere gehalten wurden. Ziel ist es, die Affen auf ein Leben in freier Wildbahn vorzubereiten. Heute leben immerhin wieder 60 bis 80 Orang-Utans frei im angrenzenden Reservat. Schön und gut, wir aber wollten frei lebende Tiere sehen.

Kinabatangan
Auf dem Kinabatangan, dem grössten Fluss des malaysischen Bundesstaates Sabah, fahren wir westwärts Richtung Sukau. Im Tiefland bildet der Kinabatangan ein etwa 4000 Quadratkilometer grosses Überschwemmungsgebiet, von dem 260 Quadratkilometer oder gerade mal etwas mehr als 6 Prozent unter Naturschutz stehen. Von der Quelle in den Highlands bis zur Mündung in die Sulusee mäandert er 560 Kilometer durch ein bezauberndes Gebiet aus Regenwäldern, Süsswasserseen und salzhaltigen Mangroven-Sümpfen.

In den 1990er-Jahren hatten die Palmöl-Barone begonnen, die letzten Riesen in den Regenwäldern zu schlagen. Legal und mit dem Segen der Regierung sollten die Ölpalmen-Plantagen bis an die Ufer des Kinabatangan reichen. Der Zugang zu den Häfen an der Küste wäre perfekt gewesen.
Die Neunzigerjahre aber waren auch die Geburtsstunde des Umweltschutzes in Borneo. Albert Teo war es, der erkannte, dass ein Naturschutzprojekt nur funktionieren konnte, wenn man sämtliche Einwohner der Gegend in ein gemeinsames Projekt einbinden würde. Er gründete die erste Eco-Lodge Malaysias und entwickelte sie mit ihrer Hilfe sowie zusammen mit Wissenschaftlern zu einer Institution, die nicht nur die Tiere und ihre Habitate, sondern auch die Menschen und ihre Dörfer schützte.

In der Realität sieht es so aus, dass auf einer Flusslänge von 100 Kilometern nur wenige Kilometer rechts und links des Kinabatangan als Naturschutzgebiet ausgewiesen wurden. Ein paar wenige Kilometer dahinter beginnen die Plantagen, wurden Strassen gebaut, hat die Moderne Einzug gehalten.

«Palmöl ist ertragreich, vielseitig und preiswert: Es ist aus der heutigen Industrie nicht mehr wegzudenken. Palmöl wird in unzähligen Lebensmitteln wie Margarine, Süssigkeiten oder Fertigspeisen verwendet und eignet sich zur Herstellung von Agrotreibstoffen. Chemisch verändert taucht es aber auch in Waschmitteln, Seifen oder Kosmetika auf. Doch die Natur bezahlt einen hohen Preis: Für Palmöl wird Regenwald gerodet.»

Diesen Text habe ich auf einer Seite von WWF Schweiz gefunden. Natürlich ist er absolut korrekt. Ausser der Tatsache, dass es keinen Sinn hat, deshalb keine Gutzis mehr zu essen, das Brot nicht mehr mit Nutella zu bestreichen oder auf Engadiner Nusstorte zu verzichten. Denn leider müssen wir zur Kenntnis nehmen, dass es in Borneo kaum mehr Regenwald gibt. Und dies lange bevor uns die Gutmenschen vorwarfen, böse zu sein, weil wir Nutella essen.

Zwar sind einige kleine Ländereien zu Schutzgebieten erklärt worden. Es ist zu hoffen, dass diese auch entsprechend verteidigt werden können. Sollten Sie sich jedoch jetzt und heute dazu entschliessen, keine Produkte mit Palmöl mehr zu kaufen, dann werden Sie mit Ihrer Entscheidung die Ärmsten treffen. Auch noch die letzten Bauern und Landarbeiter werden Grund, Boden und Lohn verlieren.

Zwergelefanten
Beispielhaft ist die Zusammenarbeit beim Schutz der einheimischen Dörfer vor den Elefanten. Da diese gerne mit der ganzen Grossfamilie mitten durch die Dörfer trampeln und ganze Ernten zerstören, ist der Konflikt mit den Einwohnern vorprogrammiert. Bei den Tieren handelt es sich zwar «nur» um Zwergelefanten. Bei einer Schulterhöhe von 1,8 Metern und einem Gewicht von beinahe zwei Tonnen ist der Begriff «Zwerg» allerdings nicht ganz zutreffend.

Kein Zweifel: Elefanten müssen vor dem Menschen geschützt werden. Und: Menschen müssen vor dem Elefanten geschützt werden. Die Lösung war so einfach wie genial. Elefanten haben zwar keine Angst vor Mäusen, wie kolportiert wird, dafür umso mehr vor Bienen. Und so baut man Zäune um die Dörfer, Zäune, bestehend aus mit Draht verbundenen Bienenstöcken. Versucht nun ein Elefant in eine Siedlung einzudringen, versetzt er eine ganze Reihe von Bienenstöcken in Bewegung. Deren Bewohner, über die nächtliche Störung nicht sehr erfreut, fliegen aus, der Elefant flieht. Die Gewinnung und der Verkauf des Honigs bringen zudem einen schönen Nebenverdienst.

Auf unserer Bootsfahrt zur Lodge haben wir tatsächlich die ersten Begegnungen mit einheimischen Tieren. Ein Bartschwein samt Nachwuchs überquert den Fluss knapp hinter uns. Bartschweine sind in der Regel tagaktiv und leben in Familiengruppen. Einzigartig unter den Schweinen sind ihre Wanderungen, bei denen sich oft Hunderte Tiere zu Gruppen zusammenschliessen. Während dieser Wanderungen, die mit dem wechselnden Nahrungsangebot zusammenhängen und oft mehrere hundert Kilometer lang sein können, wechseln sie zu einer nachtaktiven Lebensweise und benutzen meist die ausgetretenen Pfade früherer Märsche.

Nach einem Blick ans Ufer wissen wir auch, weshalb die Sau in einem Affenzahn durch die Fluten pflügt: Ein Leistenkrokodil, auch Salzwasser-Krokodil genannt, liegt ungemütlich in der Sonne. «Ein Schweinchen zum Frühstück wäre doch ein prächtiger Leckerbissen», wird sich die Bestie wohl gedacht haben. Doch während des Ramadans sollen sich auch Krokodile zurückhalten. «Saltys» sind die grössten Krokodile der Welt. Männliche Tiere erreichen durchaus eine Länge von sechs Metern und wiegen dabei locker eine Tonne. Doch nicht nur im Salz-, sondern auch im Süsswasser leben sie, auch auf hoher See kann man ihnen begegnen.

Obwohl man uns eine relativ ereignisfreie Fahrt vorausgesagt hat, gehts jetzt richtig los. Kaum ist die Echse aus unserem Sichtfeld verschwunden, sehen wir die ersten Nasenaffen, eine äusserst bedrohte Primatenart. Die Abholzung und Brandrodung der Wälder zugunsten von Palmölplantagen stellt den Hauptgrund der Bedrohung dar. Auffälligstes Merkmal der Nasenaffen ist die grosse, birnenförmige Nase, die allerdings nur die Männchen besitzen. Ihr Fell ist an der Oberseite gelblich-braun und an der Unterseite weiss gefärbt, Arme, Beine und Schwanz sind grau. Das haarlose Gesicht ist rot. Der ältere Herr dort oben in einer Baumgabel schaut uns würdevoll zu. Als ob er sich gewohnt wäre, regelmässig Fremde zu sehen. Ich wähle ihn umgehend zu meinem Lieblingsaffen, zum Tier des Jahres. Keine Ahnung, weshalb ihn die Malaien auch «Holländer» nennen …

*In loser Folge erscheint in der «Volksstimme» die vierteilige Serie zur Reise durch Sulawesi, Selayar und Borneo von Hanspeter Gsell.

Die Angst des Elefanten vor der Biene

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