30 Jahre im Dienst der Konsumenten
20.09.2018 LupsingenKantonschemiker Peter Wenk frisch in Pension
tho. Zum Teil schlimme hygienische Zustände hatte er einst in den Baselbieter Beizen angetroffen, als er zu Beginn seiner Karriere auf Inspektion ging. Die Kontrollen haben genützt: Heute, 30 Jahre später, gebe es ...
Kantonschemiker Peter Wenk frisch in Pension
tho. Zum Teil schlimme hygienische Zustände hatte er einst in den Baselbieter Beizen angetroffen, als er zu Beginn seiner Karriere auf Inspektion ging. Die Kontrollen haben genützt: Heute, 30 Jahre später, gebe es deutlich weniger zu beanstanden, sagt der Lupsinger Peter Wenk, der soeben sein Amt als Baselbieter Kantonschemiker an seinen Nachfolger übergeben hat und in Pension gegangen ist. Wenk spricht im Interview über alte Sünder (Milchpanscher) und neue Probleme (Internethandel).
Von Milchpanschern und Bio-Bescheissern
Kantonschemiker Peter Wenk ist soeben in Pension gegangen
Während 30 Jahren schaute Peter Wenk in Baselbieter Restaurantküchen, testete Spielzeuge und spähte nach Schadstoffen im Trinkwasser. Unter anderem.
David Thommen
Peter Wenks Amt hiess zuletzt «Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen». Das Aufgabengebiet ist riesig; von Lebensmittelhygiene, Wasserqualität über Bienen und Pilzkontrolle bis zu Spielzeugsicherheit, Tierschutz und vielem anderen mehr. Dieser Tage ist Kantonschemiker Peter Wenk, der in Lupsingen wohnt, pensioniert worden. Wollten wir über alles reden und eine seriöse Bilanz über Wenks Werk in den vergangenen 30 Jahren ziehen: Das Gespräch würde eine halbe Ewigkeit dauern. Wir nehmen uns vor, uns kürzer zu fassen. Das Band läuft.
«Volksstimme»: Herr Wenk, womit fangen wir an?
Peter Wenk: Ganz zuerst möchte ich festhalten, dass ich den tollsten Job hatte, den man als Chemiker haben kann. Er ist unglaublich vielfältig und man hat mit dem zu tun, womit wir alle zu tun haben: mit Lebensmitteln. An jedem Abend weiss man, was man gemacht hat und für wen man da war.
Nämlich?
Für die Konsumenten. Wir sind das Auge, das für die Konsumenten in die Restaurantküche schaut, sind Garanten dafür, dass das Wasser sorglos getrunken werden kann und sich alle darauf verlassen können, dass in der Verpackung das drin ist, was drauf steht. Lebensmittelkontrolle – das war Wenks grosses Thema. 1988, als er als stellvertretender Kantonschemiker angefangen hatte, war der behördliche Ansatz noch ein anderer. Der Staat hatte riesige Regelwerke erlassen. Haltbarkeitsdauer von Lebensmitteln: vorgeschrieben. Kühltemperatur: vorgeschrieben. Mindesterhitzung beim Kochen: ebenso. Mittlerweile hat sich die Optik gedreht. Die Produzenten erhielten mehr Verantwortung. Sie müssen beispielsweise die Haltbarkeitsdauer selber vorgeben und diese auch garantieren. Kontrolliert werden Prozesse und das Endprodukt.
Was war vor 30 Jahren noch ein typisches Probleme?
Dinge, an die man sich heute kaum noch erinnert. Das Milchwässern zum Beispiel.
Bauern als Milchpanscher?
Das kam häufiger vor. Wir mussten die Milch analysieren, um einem allfälligen Betrug auf die Schliche zu kommen. Zuweilen mussten wir sogar auf den Höfen direkt Vergleichsproben holen. Heute funktioniert das anders: Bezahlt wird nach dem Fettund Eiweissgehalt. Wässern bringt also nichts mehr.
Und sonstige Probleme, die man heute kaum noch kennt?
Pathogene Keime wie Listerien oder Salmonellen. Es gab deswegen häufig ganz heftige Erkrankungen. Das ist heute so gut wie verschwunden. Die Produktionsprozesse wurden stark verbessert. Ich darf sagen, dass ich daran beteiligt war. Dafür gibt es aktuell andere Fälle, die in den Schlagzeilen sind. Campylobacter auf dem Pouletfleisch zum Beispiel. Damit befasst sich nun der Bund, der kürzlich in einer Kampagne aufgezeigt hat, wie sich Erkrankungen vermeiden lassen. Oder Legionellen, die sich im Warmwasser wohlfühlen. Auch hier nehmen die Krankheitsfälle seit einigen Jahren zu. Wenk sagt, dass man sich das Phänomen noch nicht ganz erklären könne. Ebenfalls ein Problem, das den Kantonschemiker vor 30 Jahren noch kaum beschäftigte, sind die Allergene in den Nahrungsmitteln. Heute wird genau überprüft, ob sich die Konsumenten darauf verlassen können, dass ein Produkt beispielsweise tatsächlich keine Nussspuren enthält, wenn das auf der Verpackung so deklariert ist.
Ein Sorgenkind, das die vergangenen 30 Jahren überdauert hat, sind giftige Substanzen in der Nahrung – etwa Schimmelpilze im Getreide oder Spritzmittel auf dem Gemüse.
Wie viele Leben haben Sie gerettet, Herr Wenk?
Das lässt sich so nicht sagen. Wir hatten es selten mit akut toxischen Substanzen zu tun. Bei Mycotoxinen im Getreide oder Spritzmittel auf dem Gemüse handelt es sich um Stoffe, die über eine lange Zeit Krankheiten auslösen können. Zweifellos haben wir dank unserer Arbeit Krebsfälle verhindert. Aber quantifizieren kann man das nicht.
Gibt es Produktionsländer, die besonders kritisch sind?
Alles, was in tropischen oder subtropischen Ländern wächst, wird generell häufiger von Schädlingen befallen und weist tendenziell eine höhere Belastung durch Insektizide auf.
Meiden Sie persönlich solche Produkte?
Ja, aber weniger, weil ich Angst hätte, dass ich Keime oder Gifte zu mir nehmen würde. Eher deshalb, weil mir saisonale und regional produzierte Lebensmittel viel lieber sind. Wobei es auch zu den einheimischen Produkten viel zu sagen gäbe. Zum Beispiel dazu, dass Bioprodukte auf den Markt kommen, die diese Bezeichnung nicht verdienen. Die Masche ist einfach: Man produziert beispielsweise Eier ganz konventionell, schreibt Bio drauf und kassiert eine deutlich höhere Marge. Der Beweis ist für das Labor schwer zu erbringen. Bio ist eine Produktionsmethode, keine chemische Definition. Am ehesten komme man den Betrügern dank Whistleblowern auf die Spur. Er wolle daraus aber nun keine grosse Sache machen. Zwar gebe es zuweilen «kriminelle Energie» bei Herstellern, doch das sei nicht die Regel.
Wir wechseln das Thema: Restaurants. Unter den Beizern waren Wenk und seine Leute stets gefürchtet. Nicht zu unrecht, wie er meint. Früher habe man noch desolate Zustände in den Küchen antreffen können. Heute sei das selten. Die Art und Weise, wie in der Küche ans Werk gegangen wird, habe sich stark verändert. Früher seien grosse Mengen gekocht und gelagert worden; ein Fest für Bakterien. Jetzt komme meist einfach das in die Pfanne, was bestellt werde – just in time. Die Zutaten seien in der Regel frisch, so Wenk, aber häufig werde auch zum Beutel gegriffen, der aus hochmodernen Grossbetrieben komme.
Haben Sie mit Ihrer Arbeit ein Stück weit dazu beigetragen, dass die traditionelle Küche am Verschwinden ist? Sind Sie ein Wegbereiter des «Convenience Food»?
Wir haben nie einem Koch vorgeschrieben, was er kochen soll. Er muss einfach die Hygiene im Griff haben.
Zum Preis, dass die Vielfalt in den Beizen gelitten hat?
Wenn es einem Koch dank Convenience besser gelingt, einwandfreies Essen aufzutischen, dann ist das halt so. Convenience ist meist sicherer: Die Prozesse werden professionell überwacht. Es gibt keinen Grund, solches Essen schlechtzureden. Ein grosses Thema ist das Trinkwasser, das laut Wenk in den vergangenen Jahren deutlich sicherer geworden ist. Heute schaffe es kaum noch belastetes Wasser in ein Pumpwerk. Wird Gülle ins Grundwasser eingeschwemmt, machen die Schieber automatisch zu. Trinkwasseralarm wie früher gibt es kaum noch. Die Gemeinden hätten in den vergangenen Jahren enorm viel in die Sicherheit investiert, lobt der pensionierte Kantonschemiker. Und: Die allermeisten Gemeinden verfügten heute über einen Plan für die Notfallversorgung. Den Ursprung für diesen Effort datiert Wenk zurück ins Jahr 2007. Damals gab es das Hochwasser von Laufen. Als die Birs über die Ufer trat, «lüpfte» es zahlreiche Öltanks – Folge war, dass das Netz im Birstal für längere Zeit stillgelegt werden musste. Damals habe man auf etwas höher gelegene Quellen zurückgreifen können, um das Netz durchzuspülen. Diese Quellen sah man ein Jahrzehnt später in Gefahr:
Der Kanton Baselland wollte genau dort Deponien betreiben. Zum Glück, so Wenk, habe das Volk an der Urne kürzlich Nein gesagt. Am Grundwasserschutz dürfe nicht gerüttelt werden. Alle noch bestehenden Schutzgebiete brauche es. Notfälle könne es immer geben, zum Beispiel Trockenheit wie in diesem Jahr. Sauberes Trinkwasser in Ehren, doch wird da nicht manchmal etwas übertrieben? Wir erinnern an den neueren Aktivkohlefilter im Hardwald, der nicht zuletzt auf Druck von Deponiekritikern eingebaut wurde. Oder an das vorsorglich stillgelegte Trinkwassernetz im Vorderen Frenkental, weil im Bach Fische gestorben waren. Wenk schüttelt den Kopf: Zu allen Massnahmen stehe er. Sowieso: Lieber sei man einmal zu vorsichtig als zu lasch. Im Fall Frenkental habe es sich um Zyanid gehandelt. Damit sei nun wirklich nicht zu spassen.
Und jetzt, Herr Wenk, mit welchen neuen «Baustellen» muss sich Ihr Nachfolger Peter Brodmann herumschlagen?
Neue Probleme gibt es laufend. So fühlt man sich als Kantonschemiker manchmal machtlos, wenn es ums Internet geht. Da kann man aus der ganzen Welt auch zweifelhafte Waren bestellen. Zu uns gelangen nur Stichproben, doch das ist lächerlich wenig.
Sie meinen Medikamente?
Nein, es geht um alle Waren, die man im Ausland bestellen kann, zum Beispiel auch gefährliches Spielzeug. Uns sind häufig die Hände gebunden. Den Herstellern in der Schweiz machen wir hohe Auflagen an die Sicherheit, die Produkte werden dadurch teurer. Sie haben dadurch einen Wettbewerbsnachteil. Zudem ist es schwierig, bei Verstössen Sanktionen gegenüber Firmen im Ausland auszusprechen. Selbst wenn man sie sperrt, braucht es nur einige Mausklicks, und sie sind mit neuem Namen und neuer Homepage zurück. Wir müssten viel stärker über die Kantonsgrenzen hinaus und auch mit Europa zusammenarbeiten. Da sind wir erst am Anfang. Zu sagen ist auch, dass es uns verboten ist, verdeckte Kontrollen durchzuführen. Wenn wir im Internet etwas bestellen wollen, müssen wir offiziell als Kontrollbehörde auftreten. Das Gesetz schreibt uns das vor. Folge ist, dass wir dann gar keine Lieferungen bekommen – oder nur solche, die garantiert einwandfrei sind.
Gibt es Länder, die besonders grosse Probleme machen? China?
Das kann man so nicht sagen. Es ist die Internationalisierung insgesamt. Denken Sie an das berühmte Beispiel mit der Pferdefleisch-Lasagne: Es wurden dafür Produkte aus verschiedensten Ländern aus der halben Welt verarbeitet, die für die Herstellung über mehrere Länder verschoben wurden. Am Schluss wird alles unübersichtlich. Das ist fast nicht mehr zu kontrollieren.
Und bei der Kontrolle in der fliegt ein Beschiss nicht sofort auf?
Wir machen zwar Screenings, doch in der Regel finden wir nur, wonach wir auch suchen. Mit Arsenspuren im Reis oder viel zu hohen Schwermetallkonzentrationen in Schwertfischfleisch rechnet man nicht unbedingt, aber so etwas kann vorkommen. Nochmals wechseln wir das Revier und sprechen über das Veterinärwesen. Der Bereich kam nachträglich hinzu. Der Chemiker musste sich mit einem ziemlich emotionalen Thema befassen – den Hunden. Als Folge einer tödlichen Kampfhundeattacke auf ein Kind war eine Liste mit potenziell gefährlichen Hunden erstellt worden und alle Halter mussten obligatorisch in einen Kurs (was mittlerweile wieder abgeschafft wurde). Man müsste mit Wenk darüber ein separates grosses Interview führen. Wir beschränken uns auf eine Aussage, über die wir herzlich gelacht haben: «Die Sichtweisen gehen weit auseinander. Bei der Hundehaltung wäre alles einfach, wenn immer so ganz klar wäre, wer eigentlich der Hund und wer der Herr ist...» Beim Thema Tierschutz wird er dann aber sofort wieder ernst:
Was sieht man da alles?
Zum Teil Himmeltrauriges. Wir mussten auch Notschlachtungen anordnen, da Tiere in einem so schlechten Zustand waren. Oder ganze Tierbestände den Besitzern wegnehmen und auf andere Betriebe verteilen.
Überforderung oder böser Wille der Tierhalter?
Meistens Überforderung, häufig auch Unwissen, vor allem bei Hobbytierhaltern. Da werden exotische Tiere, die in der Natur in Gruppen leben, als Einzelgänger gehalten. Oder kürzlich mussten wir einen Papagei retten, der mit Kopf und Schwanz am viel zu kleinen Käfig anstiess. Beim Tierschutz gehen die Ansichten zwischen Besitzer und unserem Amt manchmal weit auseinander. Das hat auch schon zu Anfeindungen in der Öffentlichkeit geführt, aber das muss man aushalten können. Manchmal bedaure ich, dass es uns verboten ist, Fotos von schlecht gehaltenen Tieren in der Presse zu veröffentlichen. Dann wäre jedem klar, dass wir nicht übertreiben.
Es kam, wie es kommen musste: Wir haben entgegen aller Vorsätze eine halbe Ewigkeit geredet und finden nur für einen Bruchteil Platz. Danke für den Ein- und Rückblick, Herr Wenk.