«Es gibt zu viele Bier-Optimisten»
17.08.2018 GelterkindenHans-Ulrich Leupin, der einstige Ziegelhof-Chef, verfolgt den Brauereiboom kritisch
35 Jahre lang war der Gelterkinder Hans-Ulrich Leupin in leitender Stellung bei der Brauerei Ziegelhof in Liestal. Er kam vorbei, um über Bier zu reden.
David Thommen
Die ...
Hans-Ulrich Leupin, der einstige Ziegelhof-Chef, verfolgt den Brauereiboom kritisch
35 Jahre lang war der Gelterkinder Hans-Ulrich Leupin in leitender Stellung bei der Brauerei Ziegelhof in Liestal. Er kam vorbei, um über Bier zu reden.
David Thommen
Die «Volksstimme» hatte kürzlich über den Konkurs der Ziefner Baselbieter Bier AG berichtet. Hans-Ulrich Leupin meldete sich daraufhin per E-Mail bei der Redaktion. Er stellte sich als ehemaliger Chef der Brauerei Ziegelhof vor. 35 Jahre war er beim traditionellen Liestaler Unternehmen («Seit 1850») dabei, von 1964 bis 1998. Zudem amtete er einst bis ins Jahr 2003 als Präsident des Schweizerischen Brauerei-Verbandes. Er war also sozusagen höchster Brauer der Nation.
So genau vorstellen hätte sich Hans-Ulrich Leupin nicht müssen. Im Baselbiet ist er zumindest den älteren Semestern noch bestens bekannt. Kaum hatte er die Mail gesendet, sass er auch schon bei uns auf der Redaktion. «Gerne spreche ich mit Ihnen über Bier», hatte er geschrieben. Volià, hier ist er nun.
85 Jahre alt ist der Gelterkinder mittlerweile, aber das gibt man ihm nicht. Er ist rank und schlank, hat kaum Falten. Dass sein Beruf ziemlich viel mit Alkohol zu tun hatte, kann man kaum glauben. «Ich hatte das Glück, bis 75 arbeiten zu dürfen», sagt er. Im Ruhestand ist er also erst seit zehn Jahren. Nach wie vor ist er bestens informiert.
«Volksstimme»: Herr Leupin, trinkt man in ihrem Alter eigentlich noch täglich Bier?
Hans-Ulrich Leupin: Aber sicher. Abends, zum Zmittag – oder einfach, wenn ich Durst habe. Ich mag auch Wein, aber Bier geniesse ich heute mehr als je zuvor. Als Ziegelhof-Direktor habe ich früher ausschliesslich Ziegelhofbier getrunken.
Hatten Sie kein Interesse daran, was die Konkurrenz so macht?
Doch, natürlich. Aber ich konnte ja nicht in den Laden gehen und ein anderes Bier kaufen, die Leute hätten mich schräg angeschaut. Ich konnte auch nicht einfach in ein Restaurant einkehren, das ein anderes Bier ausschenkt. Das hätte sich sofort herumgesprochen. Und die Beizer, die Ziegelhofkunden waren, wären sicher hässig geworden. Anderes Bier gab es bei mir damals nur in den Ferien oder auf Auslandsreisen.
Und jetzt? Was für Biere trinken Sie?
Querbeet. Meine Frau mag gerne dunkles Bier. Mein Favorit ist ein Indian Pale Ale von der Brauerei Locher in Appenzell. Ich habe gerne markante Biere. Immer im Keller habe ich auch ein paar Flaschen der Brauerei Waldhaus aus dem Schwarzwald – eine kleine Privatbrauerei, zu der ich früher schon immer gute Beziehungen gepflegt hatte. Und meine Enkel aus Bern bringen mir jeweils Biere der selbständigen Brauerei Felsenau.
Und Ziegelhofbier?
Nie. Ziegelhof wird heute nicht mehr gepflegt. Bei diesen kleinen Mengen, die in Luzern noch gebraut und in Chur bei Heineken abgefüllt werden, lohnt sich ein eigener Sud kaum mehr. Ziegelhof ist heute vor allem noch eine Etikette.
Der Geschmack ist also austauschbar und gleicht den Bieren der anderen Grosskonzerne?
Ja. So etwas trinke ich nur im Restaurant, wenn ich keine Alternative habe. Solche Biere sind mir zu flach. Ich habe es gern bitter oder etwas voluminöser.
*
Hans-Ulrich Leupin hatte seinerzeit im Jahr 2004 die Marke Ziegelhof nach Luzern an Eichhof verkauft. Den Puls gefühlt hatte er auch bei den anderen Grossbrauereien. Beim damals noch eigenständigen Feldschlösschen war kein Interesse zu spüren: Ziegelhof sei ein zu kleiner Fisch gewesen.
Eichhof seinerseits ging kurze Zeit später an Heineken. Ziegelhof sei als eigenständige Marke nicht zu halten gewesen, sagt Leupin heute. Daher bereue er nichts: Die Besitzer – zum Schluss waren es noch zwei ältere Damen in den 80ern – hätten sich gescheut, die dringend nötigen Investitionen in die Liestaler Brauerei im Umfang von mehreren Millionen Franken vorzunehmen und den Betrieb zu rationalisieren. Gleichzeitig seien die Hauptaktionärinnen nicht bereit gewesen, sich von der Last der Immobilien zu befreien. Ziegelhof gehörten damals rund 40 Liegenschaften, viele davon Restaurants. Die meisten Gebäude waren alt und kosteten bald mehr, als sie einbrachten. Nachdem die Brauereisparte verkauft war, machte Leupin noch bis 2008 als Verwaltungsrat beim Immobilienbereich von Ziegelhof weiter.
Der Beginn des Niedergangs der Liestaler Brauerei lässt sich recht genau datieren. Er fiel mit dem Ende des Schweizer Bierkartells Anfang der 90er-Jahre zusammen. Damals wurden die Gebiets- und Preisabsprachen abgeschafft.
War wirklich nur der Fall des Kartells für den Ausverkauf der heimischen Biere verantwortlich, oder waren die Brauereien einfach so etwas wie die ersten Opfer der Globalisierung?
Mit der Globalisierung hatte das wohl nur am Rand zu tun. Durch die Aufhebung des Kartells haben viele regionale Hersteller sofort ganz massiv an Umsatz eingebüsst. Die grossen Brauereien haben relativ aggressiv damit begonnen, den kleinen Marken die Kunden – anfangs vor allem die Restaurants – abzujagen. Es kam hinzu, dass die Konsumenten Bier nicht mehr nur in den Beizen tranken, sondern vermehrt auch daheim. Und wo kauften die Leute das Bier? Beim Grossverteiler. Und die haben nur die grossen Marken ins Sortiment genommen. Wir kleinen Marken waren es kaum gewohnt, Marketing zu betreiben. Da hatten uns die Grossen vieles voraus.
Das ist heute wieder ganz anders. Regional ist total in Mode. Ziegelhof als eigenständige Brauerei hätte heute bestimmt eine grosse Chance.
Mag sein. Nachdem lange Zeit nur noch die grossen Marken getrunken wurden, gibt es jetzt eine Rückbesinnung auf das Lokale und vielerorts entstehen neue Brauereien. Aber: Für mich gehören viele dieser Startups in die «Galerie unberühmter Optimisten». Viele davon werden schon bald wieder verschwunden sein. Biermachen ist nicht das Problem, aber Bierverkaufen schon. Der Bierkonsum pro Kopf ist längst rückläufig, und Beizen, die wirklich gros se Mengen abnehmen, gibt es kaum noch.
Erfolgreiche Neulancierungen gibt es aber schon. Denken Sie etwa an «Quöllfrisch» aus dem Appenzell.
Der Bierbrauer Karl Locher ist meiner Meinung nach fast ein Genie. Er braut wirklich gutes Bier, betreibt geschicktes Marketing, ist schweizweit in fast jedem Laden vertreten und kommt auch in vielen Beizen zum Zug, weil er den Wirten leihweise Ausschankanlagen zur Verfügung stellt. Durch all das lassen sich grosse Volumina verkaufen. Aber Appenzell ist natürlich überhaupt kein Startup. Das ist eine sehr traditionelle Brauerei – mittlerweile sogar die grösste, die ganz in Schweizer Besitz ist.
Der Brauerei Baselbieter Bier in ist es weniger gut ergangen. Was wurde dort falsch gemacht?
Ich habe von Anfang an geahnt, dass das nicht zum Laufen kommt. Wenn man nicht genügend Beizen beliefern kann, wird es schwierig. Selbst wenn man bei Coop ein paar Flaschen ins Regal stellen darf, dann hat man es noch längst nicht geschafft. Schauen Sie sich dort einmal um, das ist ja der helle Wahnsinn, wie viele Biere es aus dem In- und Ausland mittlerweile gibt! Das ist zu viel Konkurrenz. Bier ist ein Volumengeschäft. Wer auf dem grossen Markt überleben will, muss viel verkaufen. Kommt hinzu, dass die Brauereianlagen top sein müssen und man die Hygiene absolut im Griff haben muss. Wehe, man hat einmal falsche Bakterien im Tank, die bekommt man unter laufendem Betrieb fast nicht mehr raus. Offenbar gab es beim Baselbieter Bier solche Probleme.
*
Leupin selber kam übrigens recht zufällig in die Brauereibranche. Er, der in Münchenstein aufgewachsen ist, studierte an der Uni Basel Jura und schloss mit dem Dr. iur. ab. Danach arbeitete er sich durch die Speditionsbranche (in London), war beim Baselbieter Bodenamt und als Aktuar bei der Steuerrekurskommission tätig, dem seinerzeitigen Steuergericht. Zudem redigierte er das Baselbieter Baugesetz von 1964. Als es um einen Landerwerb ging – in Diegten sollte eine Autobahnraststätte entstehen –, lernte er den damaligen Ziegelhofchef kennen, der ihn zur Brauerei holte, damit er sich als Jurist mit dem Bierkartell, einem ausgesprochen komplizierten Vertragswerk, befasst. Damals, erinnert sich Leupin, war alles reguliert. Nur die Baustellen waren frei zur Akquisition. Hier galt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Baustellen waren für Brauereien ein ausgesprochen lukratives Geschäft. Für Ziegelhof vor allem die Arbeiter am Bölchentunnel. Niemand schluckte zuverlässiger Bier als die Bauarbeiter. Doch wechseln wir wieder in die Gegenwart.
Heute hat man das Gefühl, in bald jedem Baselbieter Dorf entsteht eine Garagenbrauerei...
Für viele dieser Brauer ist das mehrheitlich einfach ein Hobby. Da wird sich kaum mehr daraus entwickeln.
In Sissach gibt es die Brauerei Farnsburger Bier. Das Unternehmen macht von aussen betrachtet einen guten Job.
Diesen Eindruck habe ich auch. Einerseits stehen dort wirklich gute Brauanlagen. Das sind Produkte von Weltfirmen. Andrerseits wird dort mit sehr tiefen Fixkosten gearbeitet. Und was sicher auch aussergewöhnlich ist: Das Bier wird nur in Einwegflaschen abgefüllt. Somit geht man dem Hygieneproblem ein Stück weit aus dem Weg und kann die Qualität besser sichern. Ich habe anfangs etwas die Stirn gerunzelt über dieses Modell. Mittlerweile leuchtet mir das ein. Dazu kommt, dass der Initiant über eine langjährige Erfahrung als Hobbybrauer verfügt.
Wenn Sie heute nochmals beginnen würden – wie sähe Ihre Brauerei aus?
Ich würde mich hüten, das Heil in der Grösse zu suchen. Gegen die Grosskonzerne kommt man nicht an. Ich würde mich auf eine sehr kleine, dafür edle Anlage beschränken, die ich ohne zusätzliches Personal bedienen könnte. Ideal wäre eine Gasthausbrauerei. Beispielsweise in Freiburg im Breisgau gibt es zwei solche Gasthöfe. Dort wird nur Bier getrunken, sonst nichts. So etwas kann funktionieren.
Heute haben wir einen «Brauereiboom». Gibt es dann bald wieder eine Bereinigung?
Den einen oder anderen wird es sicher «verblasen». Man hört in Verbandskreisen, dass viele Startups eigentlich gerne schon wieder verkaufen würden. Viele sind mit grossem Enthusiasmus gestartet und haben in der Zwischenzeit gemerkt, dass sie vermutlich auf keinen grünen Zweig kommen werden.
* Womit wir das Interview beendet haben. Herr Leupin legt noch ein paar alte Ziegelhof-Broschüren auf den Tisch, verabschiedet sich freundlich und macht sich auf den Heimweg. Am Abend gibts bestimmt ein Indian Pale Ale. Aus Appenzell.