Aus dem Logbuch eines Inselsammlers, Teil 3: Vanimo

Im dritten Teil der Reportage über eine Seereise durch Mikronesien und Melanesien überqueren wir den Äquator, überleben das Captains-Dinner und besuchen die Murik-Lakes sowie das Mündungsgebiet des Sepik-Rivers.

Hanspeter Gsell*

Wir hatten Mikronesien – die «kleinen» Inseln – verlassen und schaukelten Richtung Melanesien, den «schwarzen» Inseln. Wobei «schaukeln» nicht das korrekte Wort für die Überfahrt war. Es herrschte wunderbares Wetter, die See war ruhig und die Gäste bereiteten sich auf das Captains-Dinner, das Abendessen mit dem Kapitän, vor.

Doch noch musste der Äquator überquert werden. Mein Freund Kaderli hatte bereits seine Spiegelreflexkamera auf das Stativ montiert und stierte durch das Objektiv. Doch da war kein Äquator zu sehen!

Nicht nur deshalb ist Kaderli ziemlich aufgeregt. Was sollte er nur anziehen heute Abend? Auf der Einladung zum Captains-Dinner stand etwas von «casual elegant». Elegant verstand er zwar, was aber war «casual»? Hiess nicht ein auf Papua-Neuguinea lebender Vogel so? Oder war der «Kasual» doch eher ein Baum? Es würde hoffentlich nicht eine dieser tropischen Krankheiten sein! Das «Kasualfieber» vielleicht?

«Nein!», meinte Bambi, Kaderlis Ehefrau. «Das heisst ‘käschuäl’, und der Kapitän will dir damit nur sagen, dass du nicht in deinen schlabbrigen Trainerhosen antanzen sollst. Es wird auch kein ‘Dinner for One’ sein, also benimm dich!»

Und so warf sich Kaderli in sein «Dinner-Tschäggätt», labte sich an prickelnd-geistigen Getränken und lobte die feinen Häppchen.

Wo aber war der Kapitän? Wie sah ein Kapitän überhaupt aus? War’s der mit dem Rauschebart oder eventuell der Glatzkopf? Nachdem ihm einige Gläser Champagner den nötigen Mut verliehen hatten, näherte er sich einem Mann mittleren Alters. Seine blütenweisse Uniform und die güldenen Epauletten liessen ihn als perfekten Kandidaten für das Kapitäns-Amt erscheinen.

«Kaderli, Schweiz. Melde mich gehorsamst zum Dinner, Herr Kapitän!»

«Aha!», antwortete dieser. «Genau SIE habe ich gesucht. Ich bin übrigens nicht der Kapitän, sondern der Zahlmeister dieser Fregatte. Ihre Kreditkarte ist ungültig, wie gedenken Sie die Bordausgaben, darunter 24 Budillen Champagner, zu begleichen?» Da Kaderli diese eigentlich einfache Frage nicht beantworten konnte, wurde er in Ketten gelegt und bei Brot und Wasser in den Frachtraum gesperrt. Seine Frau Bambi war deswegen überhaupt nicht beunruhigt und genoss das Leben an Bord; sie hatte ja ihre eigene Kreditkarte. Beim Captains-Dinner sass sie neben dem Kapitän. Dieser war eine Kapitänin, hiess Mägi und stammte aus der Innerschweiz. Beide amüsierten sich köstlich, und zwischendurch stiessen sie auf Kaderli an.

Vanimo tanzt
Das Schiff ankert in der Bucht von Vanimo. Das Wetter scheint perfekt für einen ersten Landgang. Die Beamten der Einwanderungsbehörde sind bereits an Bord und kontrollieren, was es zu kontrollieren gibt.

Mit Schlauchbooten gehts an die Küste; links und rechts liegen, akkurat aufgeschichtet, Tausende von Baumstämmen für den Export bereit, sie werden auf chinesische Schiffe verladen. Und so gehen auch noch die letzten Tropenhölzer dahin, um als Fussböden zu enden. Als Böden, auf denen wir später beim Smalltalk über die Abholzung der Regenwälder lästern werden.

Der Empfang durch die Bevölkerung in Vanimo war überwältigend, voller Emotionen; Lebensfreude pur! Es werden zwischen 400 und 600 Menschen gewesen sein, die für uns gesungen, getanzt und gelacht haben. «Sing-sing» nennen die Einheimischen solche Veranstaltungen. Es sind vor allem Schulklassen, aber auch Kirchgemeinden, Militärveteranen und Trachtenvereine, die sich gegenseitig zu Höchstleistungen anspornen. Die Versammlung der Chiefs wird nach Einbruch der Nacht einen Sieger bestimmen. Aber erst, wenn die Fremdlinge wieder abgereist sind.

Natürlich wussten die Menschen, dass genau heute eine Ladung Touristen andampfen würde. Und natürlich haben sie sich in die schönsten Kleider gestürzt, die tollsten Masken und den schönsten Schmuck angezogen. Doch auch ganz ohne Touristen hätten sie ihr «Sing-sing» gefeiert. Da ihnen der Zahlmeister bereits zum Voraus einen beträchtlichen Batzen überwiesen hatte, kostete sie die Veranstaltung nichts. Eine perfekte «Win-Win»- Situation!

Fröhliche Kinder umringen uns, möchten fotografiert werden. Unsere Sofortbildkamera steht im Dauereinsatz! Die Fotos aber dürfen nicht den Kindern direkt geschenkt werden. Sie sind, so meinte unser lokaler Reiseführer, ziemlich streitsüchtig, würden sich die Bilder gegenseitig aus der Hand reissen und sich auch mal verprügeln.

Ein älterer Herr erklärt mir die geheime Seelen-Welt der Bäume, eine Lady mit gekraustem, schwarzem Haar zeigt auf ihre Kopfbedeckung aus Federn. Zum Glück stammt der Federschmuck nicht von einem Paradiesvogel, sondern vom letzten Suppenhuhn …

Kurz nach Mittag sind wir wieder zurück auf unserm Dampfer. Das Schiff nimmt Kurs auf die Flussmündung des Sepik-Rivers.

Karau spricht
Auf der Fahrt zum Mündungsgebiet des Sepik-Rivers stoppen wir bei den Murik-Lakes. Diese Seen sind eine Gruppe von sowohl Salz- als auch Süsswasser-Seen. Ein riesiges Gebiet voller Lagunen, Mangroven-Sümpfen und Sandbänken, durchmischt von Süss- und Salzwasser. Da es keine aktuellen Seekarten gibt, bleibt das Schiff auf dem offenen Meer, die Passagiere steigen in Schlauchboote um. Delfine begleiten uns, schon bald sehen wir die ersten Kanus mit Eingeborenen.

«Zehn kleine Gummiboote fahren über die Seen, angekommen jedoch sind nur noch etwa zehn.» An dieses völlig abstruse Gedicht musste ich denken, als sich unsere Gummiboot-Karawane dem Dorf Karau näherte. Grosses «Sing-Sing» und anschliessende Begrüssung durch den Chief. Wir wurden auserkoren, die Geschenke unserer Reisegruppe dem lokalen Häuptling persönlich zu übergeben. Da dieser keine Ahnung hatte, um was es bei dieser Prozedur eigentlich ging, nahm ihn der lokale Tourismus-Minister kurz zur Seite und erklärte ihm die wunderliche Zeremonie. Jetzt begriff auch unser Häuptling die Situation, offerierte uns sein schönstes Lächeln und holte ein Blatt Papier aus seiner Hosentasche. Der Haushofmeister reichte ihm gleichzeitig ein altes Megafon. Nach einigen Sprechversuchen, die von Quietschen und Heulen begleitet wurden, setzte er zur offiziellen Begrüssungsrede an.

«Ladies and Gentlemen from the Southern Hemisphere to the Northern Hemisphere across to the Pacific Ocean. I hereby officially welcome you all to set your feet on to this sandy land of Karau-Village, the home of the founding father of this nation, retired Prime-Minister, the honorable Grand Chief Sir Michael Somare.»

Kopar singt
Unser Dampfer hat das Mündungsgebiet des Sepik-Rivers erreicht. Die deutschen Kolonialisten nannten das Gewässer übrigens «Kaiserin-Augusta-Fluss». Der Sepik gehört zu den grössten Flusssystemen der Welt und ist wohl das grösste Frischwasser-Reservoir im asiatischpazifischen Raum. Hunderte von Volksstämmen leben in diesem riesigen Gebiet, hunderte von Sprachen und Dialekten werden gesprochen – und meist nicht verstanden. Sogar die Hunde «sprechen» seltsam: Sie sollen von asiatischen Wildhunden abstammen und können nicht bellen, sie jaulen sich nur gegenseitig an. Vielleicht wegen der vielen Krokodile, die überall im brackigen Wasser auf der Lauer liegen.

Die Einheimischen pflegen übrigens recht gute Beziehungen zu ihren Krokodilen, an manchen Orten haben sie einen göttlichen Status erreicht. Und dies trotz ihrer Unart, unvorsichtige Schwimmer kurzerhand aufzufressen. Allerdings gibt man in solchen Fällen weder dem Schwimmer noch dem Krokodil die Schuld. Die Schuldigen sind immer die Bewohner des nächsten Dorfes. Denn diese haben, zur Begleichung einer alten Schuld, das Krokodil wohl verzaubert und es beauftragt, doch mal kurz bei den Nachbarn vorbeizuschauen. Als ob die Zunzger schuld wären, wenn ein Sissacher vom Zwetschgenbaum fallen täte. Ha!

Wir ankern vor dem Dorf Kopar. Ein grosses «Sing-Sing» wird veranstaltet: Dieses Mal ist es ein Mix aus Brünig- Schwinget, Eidgenössischem Jodlerfest, «Lets dance» sowie einer Aufführung der Emmentaler Liebhaberbühne: einfach farbiger, lauter und unbeschwerter. Die Polizei ist vor Ort: Manchmal sollen die Feste auch ausufern. Wir aber werden wieder verladen, das Schiff wendet um 180 Grad und wir «reiten» auf sanften Wellen in den Sonnenuntergang. Nächstes Ziel: Madang.

* In loser Folge erscheint in der «Volksstimme» die siebenteilige Serie zur Reise durch Mikronesien von Hanspeter Gsell.

Vanimo wie es tanzt und singt

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