Stille Glocken um halb sechs
01.02.2018 TittertenDorf verschiebt Betzeitgeläut
ssc. Wenn es um morgendliches Kirchengeläut geht, werden Köpfe schnell rot und Debatten oft hitzig. Nicht so in Titterten. Die Gemeinde hat mit relativ wenig Brimborium beschlossen, das Betzeitgeläut von 5.30 Uhr auf 7 Uhr ...
Dorf verschiebt Betzeitgeläut
ssc. Wenn es um morgendliches Kirchengeläut geht, werden Köpfe schnell rot und Debatten oft hitzig. Nicht so in Titterten. Die Gemeinde hat mit relativ wenig Brimborium beschlossen, das Betzeitgeläut von 5.30 Uhr auf 7 Uhr zu verschieben. Anlass dazu gab ein entsprechendes Begehren an der Gemeindeversammlung vom vergangenen Juni. Die Frau des Gemeindepräsidenten Heinrich Schweizer brachte das Thema aufs Tapet und erntete damals noch Spott von einem Votanten. Wer aber heute Morgen das heilige Bimbam zur gewohnten Zeit erwartete, wurde enttäuscht. Wie in der jüngst erschienenen «Schnitz Poscht» angekündigt, schallte es erst um 7 Uhr vom Kirchenturm herab.
Die Kirchenpflege zeigte sich von Anfang an offen für das Anliegen. Mitglied Remo Frey nimmt Bezug auf den ursprünglichen Sinn des Betzeitgeläuts – nämlich die Gläubigen an ihr morgendliches Gebet zu erinnern – und legitimiert die Anpassung so: «Die evangelischreformierte Kirche will den Gläubigen nicht vorschreiben, wann sie zu beten haben.»
Die Glocken dürfen länger ruhen
Das Dorf verschiebt sein Betzeitgeläut um eineinhalb Stunden
Was in anderen Gemeinden für rote Köpfe sorgt, geht in Titterten ohne Nebengeräusche über die Bühne: Die Gemeinde verschiebt das Betzeitgeläut um eineinhalb Stunden. Heute morgen um 5.30 Uhr herrschte seit Langem wieder Stille im Dorf.
Sebastian Schanzer
Es geht auch ohne Beschwerden, Streit und Gerichtsurteile – die Gemeinde Titterten macht es vor und verschiebt das morgendliche Glockengeläut auf eineinhalb Stunden später. Sind die Glocken fürs rund vier Minuten dauernde Geläut bis anhin von Montag bis Samstag um 5.30 erschallt, haben sie heute Morgen bis 7 Uhr geschwiegen – abgesehen von den Schlägen zur halben und vollen Stunde.
Denn anders als im Fall Wädenswil, in dem das Zürcher Verwaltungsgericht entschieden hatte, dass sich das Glockengeläut zwischen 22 und 7 Uhr auf die vollen Stunden zu beschränken habe (der Entscheid wurde vergangenen Dezember vom Bundesgericht wieder gekippt), geht es bei der Massnahme in Titterten lediglich um das sogenannte Betzeitgeläut. «Es handelt sich um eine moderate Anpassung», sagt Gemeindepräsident Heinrich Schweizer, dessen Frau das Thema an der Gemeindeversammlung vom vergangenen Juni aufs Tapet gebracht hatte. Ihr Votum sorgte damals bei einigen Einwohnern für Kopfschütteln: «Man könnte in diesem Zug auch gleich noch prüfen, die Kuhglocken zu verbieten», meinte eine Votantin spöttisch. Nun ist die Änderung – also jene bei den Kirchenglocken – Realität.
Angepasste Tradition
Man habe im Vorfeld viel nachgedacht über die Tradition des morgendlichen Läutens und ebensoviel geredet – mit Gegnern und Befürwortern, mit anderen Gemeinden und mit der Kirchenpflege, heisst es in der «Schnitz Poscht», dem Dorfblatt von Titterten. «Letztendlich stellte sich dem Gemeinderat die Frage, ob Traditionen nicht auch den heutigen Gepflogenheiten angepasst werden können. Sind sie dann keine Traditionen mehr oder sind sie dann erst recht überlebensfähig?», fragte sich der Gemeinderat. Heftige Reaktionen von Einwohnern gegen den Entschluss habe man bis jetzt nicht entgegennehmen müssen, so Schweizer. Selbst von kirchlicher Seite kam von Beginn weg ein positives Signal. «Heute stehen die Leute nicht mehr mit dem Geläut auf», sagt Remo Frey, Mitglied der Kirchenpflege. «Die Mehrheit der Bevölkerung ist wahrscheinlich froh über die Massnahme.» Frey vermag das verschobene Geläut sogar durch den reformierten Glauben zu legitimieren: «Die evangelischreformierte Kirche schreibt ihren Anhängern nicht vor, wann sie zu beten haben», führt er aus. «Das ist jedem Gläubigen persönlich überlassen.» Das Betzeitgeläut kommt traditionellerweise aus dem Umfeld der Klöster und sollte dort die Mönche an ihr morgendliches Gebet erinnern.
«Ein heikles Unterfangen»
Dass die Kirchenglocken in Titterten eineinhalb Stunden länger ruhen dürfen, ohne dass sich dazu eine gehässige Debatte unter Traditionalisten und Reformern entwickelte, führt Schweizer auf die Grösse des Dorfs zurück. «In einem kleinen Dorf wie Titterten ist es einfacher, eine friedliche Lösung zu finden.» Zudem handle es sich um eine massvolle Anpassung und weil die Kirche im Dorf eng umbaut ist, seien Leute auch direkter von dem Schallpegel betroffen – unter anderem er selbst und seine Frau. Deshalb kündete Schweizer schon an der Gemeindeversammlung im Juni an, bei diesem Geschäft in den Ausstand zu treten.
Gleichwohl seien Änderungen gemäss Schweizer beim Glockengeläut auch in der Gemeinde Titterten ein heikles Unterfangen. «Manche Leute sind es immer noch gewohnt, sich frühmorgens nach den Glocken zu richten.»