Der Vorleser
09.01.2018 BöcktenStarker Start ins Oberbaselbier Kulturjahr mit Charles Brauer
Filmschauspieler Charles Brauer hat am Sonntag mit seiner traditionellen Lesung das Oberbaselbieter Kulturjahr eröffnet. Dieses Mal brachte er den österreichischen Autor Christoph Ransmayr dem Publikum im voll besetzten ...
Starker Start ins Oberbaselbier Kulturjahr mit Charles Brauer
Filmschauspieler Charles Brauer hat am Sonntag mit seiner traditionellen Lesung das Oberbaselbieter Kulturjahr eröffnet. Dieses Mal brachte er den österreichischen Autor Christoph Ransmayr dem Publikum im voll besetzten Gemeindehaus in Böckten näher.
Jürg Gohl
Nicht inhaltlich, aber zumindest zeitlich könnte Charles Brauer die Vorlage zu Bernhard Schlinks berühmtem Roman «Der Vorleser» geliefert haben. Die berühmte Geschichte des Gymnasiasten, der einer Analphabetin und früheren KZ-Aufseherin die Welt der Literatur erschliesst, erschien 1995. Im Jahr zuvor, am 19. Dezember 1994, las der frühere «Tatort»-Kommissar namens Brockmöller erstmals im Oberbaselbiet. Seither bringt er jedes Mal seinen Zuhörern einen Autoren näher, den er selber wählt – gleich wie Schlinks «Vorleser» Michael Berg dies bei Hanna Schmitz tut.
Längst hat sich Charles Brauers Lesung in seiner Wohngemeinde Böckten am jeweils ersten Sonntag des Jahres etabliert. Als er in der ersten Woche des Jahrs 2012 Werke von Erich Kästner vortrug, mussten sogar Gäste aus Platzgründen abgewiesen und für sie ein paar Wochen später die Lesung in Sissach wiederholt werden. Der Anlass in Böckten stellt damit bereits traditionell den Einstieg ins Oberbaselbieter Kulturjahr dar. Obschon der Berliner Schauspieler gratis zugunsten des örtlichen Kulturvereins auftritt, wirbt der Norddeutsche für das gesamte regionale Kulturschaffen. Am Sonntag legte er zum Beispiel dem Publikum die vierteilige Sissacher Musikserie «Klanglichter» ans Herz, in deren Rahmen er am 3. Februar ebenfalls vorlesen wird.
Vom Lese- zum Hörvergnügen
Vergangenen Sonntagabend trug er Texte des preisgekrönten oberösterreichischen Autors Christoph Ransmayr vor und ermöglichte es seinem Publikum im voll besetzten Gemeindezentrum Weiermatt, «einen begnadeten Erzähler» kennenzulernen. Im Einladungstext wurde er so angekündigt, und man versprach damit nicht zu viel. Die Wahl des Autors habe die «tolle Dramaturgin des Abends» getroffen, erklärt Brauer: «Meine Frau.» Die ersten beiden Erzählungen handelten von Phänomenen der Sprache und der Schrift sowie der Faszination der Buchstaben-Suppe, die Ransmayr als grössere Erfindung als das Rad und sogar des Schiesspulvers einstuft. Die letzte spielte in Irland und rückt dabei den Autoren in die Nähe der legendären irischen Erzählkunst. Sie beginnt mit zwei Mini-Sätzen: «Blauwale. Waren es fünf oder sieben?» Doch diese Knappheit ist eher untypisch für den Schriftsteller. Er bevorzugt lange, oft verschachtelte Sätze – eine Sprache, die hohen Lesegenuss bietet, aber nur bedingt zum Vortragen taugt. Es ist die Stärke des bald 83-jährigen, routinierten Hörbuch-Sprechers Charles Brauer, dank Modulation, Mimik und Trittsicherheit auch solche Werke leicht verständlich an die Zuhörer zu bringen. Er lenkt damit die Aufmerksamkeit auf eine Kunstform, die im Seitenwagen der Literatur fährt und deshalb ignoriert wird: das Vorlesen.