Wie im Traum
05.06.2025 SportKreischende Fans? Polizeieskorte für den Team-Bus? Volles Stadion? Und Gegnerinnen von Weltklasse? Davon konnten Schweizer Fussballerinnen lange nur träumen. Einen Zweikampf gegen US-Superstar Megan Rapinoe gewinnen, gar ein Tor gegen deren Landsfrau Hope Solo erzielen? Undenkbar.
Bis zum 20. August 2014. An jenem schwülheissen Tag spielten die Schweizerinnen in North Carolina gegen die USA. Volle Ränge, laute Fans – und Riesentrubel vor dem Stadion. «Wow, was geht hier ab?», fragte sich die erfahrene Nationalspielerin Martina Moser, «so etwas hatte ich noch nie erlebt.» Ihre Kameradin Fabienne Humm, die als Erste aus dem Bus hätte aussteigen sollen, war überrumpelt: «Hey, sorry, aber da gehe ich jetzt nicht raus …»
Doch Martina Moser spornte die Mitspielerinnen an: «Saugt alles auf, was ihr könnt!» Ein Testspiel gegen Weltstars wie Abby Wambach. «Und wir, die kleine Schweiz, wurden dafür angefragt. Da merkte man, es geht einen Schritt vorwärts in die richtige Richtung», sagt sie rückblickend. «Ein Riesenerlebnis.»
Auch für mich, die als freie Journalistin die weite Reise auf sich genommen hatte. Nur schon, um einmal im Leben Hope Solo spielen zu sehen, die beste Torhüterin der Geschichte. Exzentrisch war sie – und verdammt gut. Sonst mache ich ja strikt keine Selfies während der Arbeit … Aber dieses eine Mal musste es sein! Wobei es galt, den Widerstand des Medienchefs der Amerikanerinnen zu überwinden: Typus Bulldogge, unsympathisch und unfreundlich. Jeglichen Interviewwunsch schlug er aus, nicht einmal eine einzige Frage am Spielfeldrand liess er mich stellen. «Die kleine Schweiz», halt.
Das galt auch für mich als Reporterin. Nach dem Match aber ergriff ich die Gelegenheit, gesellte mich wie zufällig dazu, als Hope Solo Autogramme gab … Die «Bulldogge» war zum Glück abgelenkt. Zack!, drückte ich ab. Und die exzentrische Hope Solo? War unglaublich nett und gesprächig.
4:1 hatten die USA gewonnen. «Aus dem Spiel, aber auch vom ganzen Drumherum der Reise konnten wir enorm viel lernen», sagt Martina Moser. «Alles war brutal cool. Ein riesen Highlight, dass ich das miterleben durfte.»
Was damals wirkte wie in einem Traum, war ein Vorbote. Kreischende Fans, Polizeieskorten, volle Stadien und Gegnerinnen von Weltklasse – nur elf Jahre später wird all dies an der EM-Endrunde Wirklichkeit. Hier bei uns, in der kleinen Schweiz. Am 2. Juli geht es los. Und natürlich freue ich mich, mittendrin zu sein. Aber ein Selfie werde ich diesmal keines knipsen. Versprochen!
Seraina Degen
Seraina Degen (37) ist in Niederdorf aufgewachsen. Als Torhüterin spielte sie lange leidenschaftlich Fussball, heute bleibt sie beruflich am Ball – als Redaktorin bei SRF Sport.