Wenn der lang erwartete Schub endlich da ist
04.10.2024 TennikenVom Ende der Sommerferien bis Ende Oktober werden im Schulhaus Hofmatt in Tenniken jeweils am Dienstagabend Pilze bestimmt. Die Vielfalt ist zurzeit gross, wie unser Augenschein zeigt. Im Moment kann man sich über einen Steinpilzschub freuen.
David Thommen
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David Thommen
Ist es Können und Wissen? Oder ist es die gute Nase für die richtigen Stellen? Oder sind es einfach nur die Glückspilze, die immer die besten Plätze finden und dann mit einem vollen Korb den Rückweg aus dem Wald an den heimischen Herd antreten können?
Glückspilze mit einer guten Nase sind es bestimmt, die sich an diesem Dienstagabend im Tenniker Hofmattschulhaus einfinden. Vor allem aber sind diese Glückspilze keine Faulpelze, die sich nun in Gruppen zum wöchentlichen Bestimmungsabend an grossen Tischen versammelt haben: Wer im Wald Erfolg haben will, muss vor allem ausdauernd und gut zu Fuss sein. Nicht selten macht man gerade dann den schönsten Fund, wenn man nach 10 000 Schritten schon leicht resigniert ans Aufgeben denkt – und es erst jetzt so richtig losgeht.
Die rund 20 Mitglieder des Pilzvereins Oberbaselbiet, die an diesem Abend anwesend sind, haben in den vergangenen Tagen offensichtlich ganz viele Kilometer zurückgelegt und eine beachtliche Vielfalt zusammengetragen. 80 Arten sind es ganz bestimmt, die nun auf kleinen Kartontellern liegen, vielleicht sogar 120 oder noch mehr. So genau hat niemand gezählt, und die zwei Stunden reichen an diesem Vereinsabend ohnehin nicht, um jedem einzelnen Pilz mithilfe der ausliegenden Bestimmungsbücher den richtigen Namen – auch den lateinischen – zu geben. Das ist auch nicht weiter schlimm, denn Graue Nitrathelmlinge, Langstielige Knoblauchschwindlinge oder ungeniessbare Träuschlinge mögen aus mykologischer Sicht zwar hochinteressant sein, werden aber in der Regel kaum den Weg in den Korb des Hobbypilzlers finden.
Auch über eine ganze Reihe verschiedenfarbiger Täublinge mag sich an diesem Abend niemand so recht beugen. Darunter befinden sich zwar Speisepilze wie der Frauentäubling, den Pilzfreundinnen und -freunde mit etwas Erfahrung auf den ersten Blick erkennen. Aber auch rund 200 weitere – auch giftige – Arten dieser Gattung allein in Mitteleuropa. Sie sind schwer zu unterscheiden und werden deshalb von den Sammlern meist grosszügig den Schnecken, die gerade bei den Täublingen plötzlich pfeilschnell sind, überlassen.
Wissen, was gerade wächst
Der Pilzbestimmungsabend bietet den Mitgliedern des Oberbaselbieter Vereins einen umfassenden Überblick über das, was auf Wiese und im Wald aktuell wächst – und das kann eine ganze Menge sein: Mehr als 6000 Pilzarten mit einer Fruchtkörpergrösse von mehr als 0,5 Millimetern sind in der Schweiz beschrieben. Deutlich übersichtlicher ist die Gruppe der als essbar eingestuften Pilze mit rund 200 Arten. In Tenniken sind fast immer Pilzexpertinnen und -experten anwesend, die den Vereinsmitgliedern in Zweifelsfällen weiterhelfen und bei der Schlusspräsentation der einzelnen Arten auf Verwechslungsgefahren hinweisen. Am Dienstag waren dies giftige Schleierlinge oder der Wollstielschirmling, der in diesen Tagen massenhaft auftreten kann. Dieser anmutige Pilz könnte leicht mit einem zu klein geratenen Parasol verwechselt werden, was dann eine schmerzhafte Erfahrung für den Magen wäre.
Heikel für Hobbypilzsammler sind in diesen Tagen auch einige der begehrten essbaren Champignonarten, da es hochgiftige Verwechslungspartner – vorab den Karbol-Champignon, aber auch Knollenblätterpilze – gibt. Und auch von den derzeit häufig auftauchenden Stockschwämmchen – die Art wird als einer der besten Suppenpilze überhaupt gepriesen – sollte man ohne genaue Kenntnisse oder den Gang zur Pilzkontrolle besser die Finger lassen. «Die bleiben bei mir vorsichtshalber immer im Wald», meint am Dienstag ein Vereinsmitglied. Und einer der anwesenden Pilzkontrolleure bekräftigt: «Man darf nur essen, was man zweifelsfrei bestimmen kann. Ein Risiko lohnt sich niemals!»
Durchwachsenes Pilzjahr
Präsident des vor bald 30 Jahren gegründeten Pilzvereins Oberbaselbiet mit seinen rund 40 Mitgliedern jeden Alters ist der Sissacher Urs Ehrsam, selbst ein ausgebildeter Pilzkontrolleur. Das bisherige Pilzjahr sei durchwachsen gewesen, bilanziert er. Lange Zeit sei man durch praktisch pilzfreie Wälder geschritten. Noch vor wenigen Wochen hätten an einzelnen Pilzbestimmungsabenden kaum mehr als zehn verschiedene Arten auf den grossen Tischen gelegen.
Woran das lag? «Schwer zu sagen», antwortet Ehrsam. Parameter wie Feuchtigkeit oder Temperatur hätten eigentlich für ein deutlich reicheres Pilzvorkommen gesprochen. Man müsse sich aber damit abfinden, dass man vieles rund um das Auftreten der Pilze noch nicht genau verstehe und jede Faustregel Ausnahmen kenne. Eine dieser Faustregeln: Ein Pilzschub tritt immer nach dem Vollmond auf. Die Frage ist manchmal bloss, nach welchem …
Generell sei festzustellen, dass sich die Pilzsaison in den vergangenen Jahren immer weiter nach hinten verschoben habe. Der Verein denke nun sogar darüber nach, die Pilzbestimmungsabende künftig nicht mehr Ende Oktober, sondern erst im November zu beenden. Im Vorjahr habe man beispielsweise auch im tiefen Spätherbst noch Steinpilze und andere gute Speisepilze von höchster Qualität finden können. Späte Pilze wie Fichtensteinpilze weisen meist weniger «Bewohner» auf als frühe Sommersteinpilze, die während der Hochzeitsflüge von Insekten wachsen und in vielen Fällen sofort von Maden besiedelt werden.
Die Steinpilze sind da
Und wie sieht es dieser Tage aus, in denen die Herbstsaison aller Erfahrung nach so richtig losgeht? Bei den Steinpilzen ist derzeit im Flachland der Schweiz und in vielen Teilen Europas tatsächlich ein schon lange erwarteter Schub zu beobachten. Solche Schübe kommen manchmal fast über Nacht und dauern häufig nur wenige Tage. Im Moment, so heisst es im Newsletter der Schweizer Plattform «Die Pilzspürnasen», sei dieser «von Mutter Natur auf geheimnisvolle Weise und wie auf Knopfdruck orchestrierte Schub über Hunderte von Kilometern» aber schon wieder am Abklingen. Wer sich an diesem Wochenende in unserer Region auf die Suche begibt, dürfte aber noch fündig werden – oder kann sonst auf einen baldigen nächsten Schub hoffen.
Vereinspräsident Urs Ehrsam bestätigt, dass es dieser Tage im Oberbaselbiet vielerorts Fichtensteinpilze zu finden gibt. Zudem gebe es hier zurzeit schöne Vorkommen von Totentrompeten. Die auch als Herbsttrompeten bekannten Pilze konnten dieses Jahr ausnahmsweise bereits zu Beginn des Hochsommers Anfang Juli in grösseren Mengen gefunden werden, und zwar auf dem halben Kontinent, was in den einschlägigen internationalen Pilzforen für grösseres Erstaunen sorgte. Auch die bei Sammlerinnen und Sammlern beliebten Parasole, Schopftintlinge oder Schleiereulen treten in unserer Region jetzt in grösseren Mengen auf, wie Mitglieder des Pilzvereins Oberbaselbiet sagen. Zudem lag am Dienstag ein stattlicher Riesenbovist zur Bestimmung bereit. Die grossen, schneeweissen Pilzkugeln wachsen auf Wiesen und lassen sich sogar aus dem fahrenden Auto oder vom Velosattel aus entdecken.
Oberbaselbiet – karges Pilzgebiet
Doch ganz so einfach ist Pilzesuchen gerade im Oberbaselbiet meistens nicht: «Unsere Gegend – vor allem in und um Sissach – ist pilzmässig eher karg», sagt Urs Ehrsam – was an den stark kalkhaltigen Böden liegen möge. Pilzreichere Gebiete als rund um den Oberbaselbieter Bezirkshauptort gebe es im Baselbiet in einzelnen Wäldern des Tafeljuras, entlang des Rheins oder auch im Laufental mit seinen ausgedehnten Waldgebieten. Deutlich bessere Funde – seit einigen Wochen auch mit ungewöhnlich vielen Eierschwämmen (Pfifferlingen) – werden hingegen ausserhalb der Kantonsgrenzen gemacht, so in den Mittellandwäldern des Aargaus oder Solothurns, ferner im ganzen Voralpengebiet wie dem Emmental oder auch in den bekannten Pilzgebieten im nahen Südschwarzwald.
Gerade dort sind die Schweizer Pilztouristen laut einigen Einträgen in deutschen Facebook-Pilzforen allerdings eher schlecht gelitten. Soeben stellten Zöllner an der Schweizer Grenze bei Hohentengen 70 Kilogramm Pilze sicher. Die in vier Autos gefundenen Steinpilze überschritten die erlaubte Menge von einem Kilogramm pro Person und Tag deutlich. Gegen die Sammler wurden Geldstrafen von insgesamt mehr als 7000 Euro ausgesprochen, wie es in einer Mitteilung heisst. Ohnehin sei zu viel ungebetene Konkurrenz unterwegs, ist in den Foren zu lesen. Trupps mit Sammlern – der Erzählung nach mit osteuropäischem Zungenschlag – sollen durch die Wälder Süddeutschlands streifen und flächendeckend jeden Steinpilz mitnehmen, der den Kopf aus dem Moos streckt.
Ähnliche Klagen kamen in den vergangenen Jahren auch aus den guten Pilzgebieten der Nordwestschweiz entlang der Schweizer Rheinseite. Dort sollen es vor allem Pilzsammlerinnen asiatischer Herkunft sein, die organisiert ernten, was es an Wertvollem zu holen gibt.
Solche Probleme kennt das «karge» Oberbaselbiet nicht. Die Vielfalt ist aber dennoch vorhanden, und für eine gute Mahlzeit reicht das Angebot in den Wäldern allemal, sofern man die gängigsten Speisepilze kennt. Seit einiger Zeit bietet der Pilzverein Oberbaselbiet dafür jeweils im Spätsommer einen vierteiligen Kurs an. Auch sonst ist der Verein immer wieder mit Anlässen aktiv. Nachdem die Saison mit den Pilzbestimmungsabenden beendet ist, steht als nächster Programmpunkt der Abschlusshock auf dem Programm. Mit einem Festessen, zubereitet aus selbst gesammelten Pilzen? Präsident Urs Ehrsam lacht: «Nein, das wäre zu schlecht planbar.» Aufgetischt wird ein Fondue.