«Ich frage mich selber, wie das ging»
17.06.2025 Sport, LeichtathletikMatthias Steinmann hat seinen letzten Zehnkampf absolviert
Die Schweizermeisterschaften im Mehrkampf wurden am Wochenende im Rahmen des Eidgenössischen Turnfests durchgeführt. Matthias Steinmann hat die emotionale Achterbahn Zehnkampf zum letzten Mal mitgemacht.
...Matthias Steinmann hat seinen letzten Zehnkampf absolviert
Die Schweizermeisterschaften im Mehrkampf wurden am Wochenende im Rahmen des Eidgenössischen Turnfests durchgeführt. Matthias Steinmann hat die emotionale Achterbahn Zehnkampf zum letzten Mal mitgemacht.
Sebastian Wirz
Sie haben bei den Schweizermeisterschaften im Rahmen des Eidgenössischen Turnfestes in Lausanne Ihren letzten Zehnkampf absolviert. Wie fühlt sich der Körper am Morgen danach mit 33 Jahren an? Matthias Steinmann: Nicht besser als mit 21 (lacht). Es geht mir gut, aber ich bin froh, dass ich den Montag freigenommen habe und nicht um 8 Uhr im Klassenzimmer stehen muss.
Ihren allerersten Zehnkampf haben Sie 2013 in Biel ebenfalls am ETF absolviert. Wie präsent sind die Erinnerungen?
Ich weiss noch alles. Ich hatte noch keine Leichtathletiklizenz und trat für den TV Buus an. Auf ein paar Zentimeter oder Hundertstel genau kann ich noch jedes Resultat nennen. Ich zähle das ETF aber nicht als meinen ersten richtigen Zehnkampf: Ich wurde als Neuling in eine schwache Gruppe mit unvorteilhaftem Zeitplan auf Nebensportplätzen und mit veränderter Reihenfolge der Disziplinen eingeteilt. Bei meinem ersten «echten» Zehnkampf im August 2013 erreichte ich dann gleich den 3. Platz an der U23-SM.
Es war der Auftakt einer erfolgreichen Leistungssport-Zeit, die aber auch von Verletzungen geprägt war. Sie haben sich insgesamt vier Operationen unterzogen.
Eine Operation stand sogar am Start meiner Leichtathletik-Karriere: Als ich mit 18 Jahren die Hüfte erstmals operieren liess, hiess es, ich solle auf keinen Fall weiter Fussball spielen und nicht Sport studieren. In der Reha habe ich Leichtathletik erst richtig entdeckt und kam zum Schluss, dass die Fremdeinwirkung dort minimal ist. Man kämpft nur gegen sich selbst. Als 2018 noch einmal ein Teil der Gelenklippe in der Hüfte abbrach, operierte ich tatsächlich für die Karriere – und sagte mir, dass das meine letzte Operation für den Sport sein würde. Wäre wieder etwas vorgefallen, hätte ich aufgehört.
Sekundarschullehrer, Nebenjob an der Uni, Studium, Schlagzeuger bei den «Touristes», Leichtathletik-Podcast-Host – wie brachten Sie das alles mit dem Leistungssport unter einen Hut?
Das frage ich mich selber auch. Ich denke, ich halte viel Belastung aus. Meine Tage haben drei Teile: Morgen, Nachmittag und Abend – da passt schon viel rein. Aber man läuft auch gerne mal auf 180 Prozent. Ich habe irgendwann gelernt, dass ich nur zwei der drei Teile ausfüllen sollte. Wie mir das gelungen ist, ist mir auch ein Rätsel. Denn alles ist immer grösser geworden. Ich wurde nicht nur nationale Spitze im Zehnkampf, sondern Klassenlehrer in der Schule, schloss den Master ab, hostete den Podcast und bei den «Touristen» ging es richtig ab. Irgendwann habe ich das schon fast nicht mehr ausgehalten – und nur noch etwa einen Zehnkampf im Jahr gemacht statt dreien.
Sind Sie ein Multitasker?
Es ist eine zentrale Fähigkeit eines Mehrkämpfers, dass er abschalten kann. Nach dem Hunderter kommt der Weitsprung, dann das Kugelstossen – da kann man nichts mitschleppen. Dasselbe trifft auf meine Lebensbereiche zu. Ich konnte mich beim Sport super von der Schule erholen. Bei der Musik konnte ich nach dem Sport abschalten. Mal nicht an Hundertstel und Zentimeter denken.
Die Stimmung in Ihrer Trainingsgruppe, unter anderem mit Finley Gaio und Celine Jansen, schien immer sehr locker zu sein.
Wenn man sich wohlfühlt und sich auf ein tolles Team verlassen kann, ist sehr viel möglich. Ich habe einige meiner besten Freunde beim Sport und in der Musik gefunden. Ein Abend mit der Band war Erholung, obwohl ich als Schlagzeuger auch körperlich etwas leiste. Mir hat das Energie gegeben.
Trainingskollegin Jansen beschreibt Sie als aufgestellt, mit offenem Ohr für andere, motivierend, passioniert und willensstark. Sie waren als Spätzünder bald der Oldie in der Gruppe.
Das ist lieb von ihr (lacht). Ich bin interessiert an allen und an allem. Vielleicht kommt es auch von meinem Beruf als Lehrer, dass ich immer Ideen für Lösungen bei den anderen hatte. Dazu war ich schon auch der «Stimmungsmensch» auf dem Sportplatz Tannenbrunn und später auf der Schützenmatte. Anhand der Rückmeldungen, die ich jetzt erhalte, habe ich das Gefühl, dass ich viele Menschen beeinflusst habe. Ich habe so spät mit Leichtathletik angefangen und viel neben dem Sport getan. Und dennoch konnte ich zum Nationalkader gehören, Schweizer Meister werden und viele Medaillen gewinnen.
Bei den Aktiven haben Gaio, Jansen und Sie an den Outdoor-SM seit 2016 3 Titel gefeiert und 4 Silbermedaillen sowie 8 bronzene gewonnen. Dazu kommen Gaios U20-Titel 2018 und nun der Titel von Nevis Thommen. Warum produziert das Oberbaselbiet so gutes «Mehrkampf-Material»?
Finley habe ich jeweils auf dem Weg von Buus ins Training abgeholt. Es wuchs die Nähe zum LV Frenke und den dortigen Trainerinnen und Trainern sowie zu Celine. Wir sind gute Freunde und immer bessere Athleten geworden. Ich denke, dass ich etwas zu dieser Entwicklung beigetragen habe, aber grundsätzlich profitieren alle von denselben Strukturen: Von der behüteten Herkunft im Turnverein, der LGO oder LV Frenke über das nationale Leistungszentrum in Basel und bei vielen die Sportklasse bis zur nationalen Spitze. Dazu kommt, dass sich im Mehrkampf sehr viel getan hat. Als ich angefangen habe, waren Punktzahlen bis 7500 das Höchste der Gefühle. Finley und Simon Ehammer haben 2019 eine neue Ära eingeläutet. Neben den Strukturen und Trainern geht es um Vorbilder und Nachahmer. Die Jungen denken heute in anderen Sphären als wir vor wenigen Jahren. Vielleicht habe ich hier mitgeholfen.
Mit U20-Schweizer-Meister Nevis Thommen steht der nächste Oberbaselbieter in den Startlöchern.
Ja, er ist ein sehr guter Techniker und hat sehr grosses Potenzial. Das ist mal einer, der den Speer so richtig werfen kann, im Gegensatz zu uns (lacht). Im Hürdenlauf ist er auch stark. Wenn er noch schneller wird, ist für ihn sehr viel möglich.