Die fleissigsten Bettelbriefschreiber
07.01.2025 Sissach22 Zentimeter hoch und 3,1 Kilogramm schwer. Das sind die Eckwerte des Spendenbrief-Bergs, der sich bei mir im vergangenen Jahr 2024 angehäuft hat. Kämpfen wir uns doch mal durch diesen Stapel. Ein Selbstversuch.
Robert Bösiger
Ja, ich spende hie ...
22 Zentimeter hoch und 3,1 Kilogramm schwer. Das sind die Eckwerte des Spendenbrief-Bergs, der sich bei mir im vergangenen Jahr 2024 angehäuft hat. Kämpfen wir uns doch mal durch diesen Stapel. Ein Selbstversuch.
Robert Bösiger
Ja, ich spende hie und da für Dinge und Organisationen, die mir wichtig sind. So ist es nicht erstaunlich, dass ich entsprechende Bettelbriefe erhalte. Erstaunlich hingegen ist es schon, welches Ausmass diese Bettelschwemme annimmt. Um zu sehen, was da jahrein jahraus in meinem Briefkasten landet, habe ich im Januar 2024 ein Experiment gestartet: Alle Bettelbriefe, die ich vom Pöstler erhalte, werden gesammelt, um sie am Jahresende auszuwerten. Nicht berücksichtigt werden in diesem Experiment alle Spendenanrufe oder auch Spendengesuche per E-Mail.
Das Ergebnis an Silvester 2024 ist beeindruckend: es sind total 107 Bettelbriefe, die sich auf eine Höhe von 22 Zentimetern türmen. Die Waage zeigt an: 3,1 Kilogramm Papier.
Meine Adresse ist Geld wert
92 der 107 Briefe sind persönlich an mich adressiert – mit P.P., AZB oder Quickmail; das sind 86 Prozent. Nur 15 Briefe fallen in die Kategorie Streusendung – sind also nicht adressiert. Es liegt auf der Hand, dass mein Name und meine Adresse in der Spendenbranche gehandelt werden, also letztlich damit Geld verdient wird. Denn ich habe den wenigsten der mich anbaggernden Organisationen in den vergangenen Monaten und Jahren gespendet.
Woher kommen all die Bettelbriefe? Auch da hilft die Auswertung des «Bergs»: Mit 11 adressierten Briefen unangefochtene Rekordhalter sind «Vier Pfoten» und Terre des hommes. Die schaffen es sogar, mir innerhalb eines Monats je zwei Briefe zuzustellen, «Vier Pfoten» im März, Terre des hommes im November.
Die Nase klar vorn beim Spendensammeln haben Organisationen, die das Tierwohl im Sinn haben (wie «Vier Pfoten», WWF, PanEco und STS) oder versuchen, menschliches Leid zu lindern (wie Terre des hommes, UNHCR und SRK). Doch auch politische Akteure (in meinem Fall Grüne und SP) versuchen, ein Stück des Kuchens zu ergattern.
Wir sind vorerst noch immer bei der Auswertung des Bettelbergs. Auch was allfällige Beilagen anbelangt, ist die Ausbeute ziemlich beeindruckend und teilweise überraschend: Neben fünf Billig-Kugelschreibern mit eingraviertem Namen von mir, einem Bleistift und einem Papier-Notizblock finden sich Dutzende schöner Karten, zwei Bögen mit Adressaufkleber mit meinem Namen, zwei Rätselhefte, ein Memory, ein Pflasterset und eine Weltkarte. Ebenso liegen ein wiederverwendbares Obst- und Gemüsenetz aus Bio-Baumwolle, eine Tüte Vogelfutter, ein schönes gebundenes Märchenbüchlein und ganze drei Bildkalender als «Goodies» im Kuvert.
Storys, die berühren
Weil die Organisationen erfolgreiche Kampagnen fahren möchten, liegt es auf der Hand, dass in den meisten Fällen an die Barmherzigkeit und das grosse Herz der Spenderin und des Spenders appelliert wird. Und wie macht man das? Mit einer möglichst berührenden, zuweilen auch schockierenden Story über Mensch oder Tier, die einem nahegehen soll. Da finden sich dann Titel wie: «Unfassbares Streunerleid: Moldawiens Hunde brauchen uns!» («Vier Pfoten»); «Für Sie in Sissach läuft das Wasser weiter. Für Tiruye Wendim in Äthiopien bleibt es aus. Für immer?» (Helvetas); «Unendliche Weiten – unendlicher Müll? (WWF); «Stellen Sie sich vor, Sie sind blind, schutzlos an einen Strick gebunden und in einer schmutzigen Strasse in Thailand Ihrem Schicksal überlassen» (Vier Pfoten); «Dieses Kind ist in diesem Augenblick einem grausamen Schicksal schutzlos ausgeliefert» (Verein Barmherzigkeit); «Gerettet nach unvorstellbaren Qualen. Nur mit Ihrer Hilfe ist das möglich!» (Gut Aiderbichl); «Dieses Jahr erleben fast 5 Millionen Kinder ihren 5. Geburtstag nicht!» (Ärzte ohne Grenzen).
Kinder und Tiere. Ihre Schicksale treffen uns. Und, Hand aufs Herz: Wer möchte mitschuldig sein, wenn die Schwächsten auf der Welt leiden oder sterben? Eben. So gesehen erreichen solche Schauergeschichten oftmals ihr Ziel und die Spenderin, der Spender öffnet den Geldbeutel.
2-Milliarden-Markt
Nach Spenden gesucht wird das ganze Jahr über: Ob auf der Strasse, wo Passanten von sympathischen jungen Leuten angesprochen werden oder per Bettelbrief. Aber vor allem die Adventszeit ist Hochsaison für das Spendeneintreibgewerbe. Abgesehen von der Katastrophenhilfe erreicht der Grossteil der Spendengelder die Hilfswerke in der Zeit vor den Festtagen. Übrigens: Ich bin gespannt, ob der Januar im neuen Jahr weiterhin ohne Bettelbriefe bleibt.
In der Schweiz werden gemäss Zewo jährlich etwas mehr als 2 Milliarden Franken an Spendengeldern gesammelt. Im Jahr 2023 lag eine durchschnittliche Spende per Postoder Banküberweisung bei 178 Franken, während sie bei digitalen Zahlungsmitteln 100 Franken betrug.
Was mich persönlich ärgert, ist die bereits erwähnte Tatsache, dass meine Daten (und jene vieler anderer Spenderinnen und Spender) offensichtlich in der Branche gehandelt werden. Nur so ist es zu erklären, dass ich neben bekannten Organisationen Post von mir unbekannten Organisationen im Briefkasten finde. Ebenso fällt mir auf, dass der Wust an Bettelbriefen seit ich in Rente bin markant angestiegen ist. Pensionäre sind offensichtlich eine lukrative Zielgruppe …
Dass hie und da gleich mehrere Bettelbriefe an einem Tag im Briefkasten landen und ich angesichts dieser Fülle aufpassen muss, die übrige Post nicht zu übersehen, stört mich hingegen nicht. Denn ich sehe (mindestens) drei Vorteile darin: Weil die Briefe und die beiliegenden Prospekte, Karten und was auch immer gedruckt werden müssen, gibt es Arbeit für die gebeutelten Druckereien – so denn überhaupt in der Schweiz gedruckt wird. Erstens. Zweitens haben Post und andere Verteilorganisationen damit Arbeit. Und drittens freuen sich Schülerinnen und Schüler, die mehrmals jährlich das gebündelte Altpapier einsammeln, um sich so einen Zustupf an ein Schullager erwirtschaften zu können.
Wie auswählen?
Ich werde auch weiterhin spenden. Bei der Auswahl lasse ich mich von zwei Kriterien leiten: Wofür schlägt mein Herz? Und: Wo und wie kann ich mit meiner Spende tatsächlich etwas bewirken? (Siehe Kasten «So spenden Sie richtig»)
Falls es Sie interessiert, wem ich heuer spenden werde, hier die Auflösung: Je eine Spende erhalten Helvetas (weil ich Vertrauen in die habe), Caritas Schweiz (weil mich deren Engagement überzeugt), der Schweizer Tierschutz (weil der STS die Volksinitiative zur Abschaffung der Feuerwerke propagiert), der WWF Schweiz (weil ich schon als Kind Mitglied war), Pro Natura (weil sich diese Organisation einsetzt für Oasen in unserem zugebauten Siedlungsraum) und die Schweizerische Bibliothek für Blinde und Sehbehinderte (weil sie neue Bücher in Blindenschrift und neue Hörbücher produziert).
So spenden Sie richtig
Fragen Sie sich, was Sie unterstützen möchten
Machen Sie sich klar, wofür Sie wirklich spenden möchten. Was ist Ihnen wichtig: Kinder? Gesundheit? Armutsbekämpfung? Tiere? Entwicklungshilfe? Und: Wo kann ich mit meiner Spende am meisten bewirken? Wohl am wichtigsten: Wofür schlägt mein Herz?
Informieren Sie sich
Was sagt die Website einer Organisation aus, was sagen andere über diese Organisation? Ist die Organisation als seriös mit einem Gütesiegel ausgezeichnet (zum Beispiel mit dem Zewo-Spendensiegel)? Nachfragen bei einer Organisation zu einem bestimmten Projekt können auch helfen, die Seriosität zu beurteilen.
Achten Sie auf die Wirkung
Als Spender und Spenderin sollte man das Gefühl haben, dass mit meiner Spende etwas bewirkt wird. Dabei helfen können Jahres- und Rechenschaftsberichte.
Spenden Sie so, dass es der Organisation am meisten nutzt
Zweckgebundene Spenden geben ein gutes Gefühl, weil damit ein bestimmtes Anliegen unterstützt wird. Dennoch: Weil Sie sich im Idealfall eine Organisation ausgesucht haben, der Sie vertrauen, können Sie auch ohne Zweckbindung spenden. So hat die Organisation mehr Handlungsspielraum.
Spenden Sie kostensparend
Nicht einmal das Spenden ist gratis. Es fallen Gebühren an für jene, die die Spenden erhalten. Deshalb gilt: Lieber pro Organisation eine grössere Spende als viele kleine. Tipp: Bei grösseren Spenden verlangen Sie eine Spendenquittung, weil Spenden von der Steuern abgesetzt werden können.
Beachten Sie das Zewo-Gütesiegel
Die Zewo-Stiftung ist eine unabhängige, gemeinnützige Organisation in der Schweiz. Sie fördert Transparenz und Vertrauen in der Spendenverwendung. Sie überprüft Organisationen auf ihren Umgang mit Spendengeldern und vergibt das Zewo-Gütesiegel an solche Organisationen, die ihren 21 Standards entsprechen. Die Zewo bietet auch Informationen für Spender, um diese bei Spendenentscheidungen zu unterstützen. www.zewo.ch