Die Ernte, die wir säen
16.12.2025 PolitikPiero Grumelli, Gemeindepräsident Oberdorf, «Mitte»
Letztens durfte ich einen Vortrag zum Thema Pubertät besuchen. Also die Zeit unseres Lebens, in der Eltern zu schwierigen Eltern werden. Während dieser Zeit findet nicht nur der sichtliche ...
Piero Grumelli, Gemeindepräsident Oberdorf, «Mitte»
Letztens durfte ich einen Vortrag zum Thema Pubertät besuchen. Also die Zeit unseres Lebens, in der Eltern zu schwierigen Eltern werden. Während dieser Zeit findet nicht nur der sichtliche körperliche Umbau statt, auch der Schlafrhythmus verschiebt sich nach hinten. Besonders krass ist der beinahe Komplettausfall des frontalen Hirnlappens, der «wegen Umbau vorübergehend geschlossen ist». Dieses Hirnteil ist «nur» für das Denken in die Zukunft, das Schaffen von Ordnung und Übersicht beziehungsweise das Planen und Treffen von Entscheidungen, für die Konzentration, die Kontrolle von Trieben und Gefühlen, die Pünktlichkeit und das Einfühlungsvermögen und so weiter zuständig. Gleichzeitig wird die Produktion von Endorphinen, Serotonin, Oxytocin et cetera drastisch runtergefahren. Das sind unsere körpereigenen Regulatoren für die Stimmung, den Appetit, den Schlaf, für die Förderung von sozialer Nähe, Bindung und Vertrauen sowie Aufmerksamkeit.
Wir betreiben Schulen, die früh morgens starten, welche die Wahl der beruflichen Laufbahn exakt auf diese Zeit legen, in der heranwachsende Kinder weder in die Zukunft schauen können oder fähig sind, zu planen noch sonst wie aufnahmefähig sind noch genügend schlafen, und wundern uns, was dabei herauskommt. Wir hämmern immer mehr «Stoff» in noch kürzeren Abständen in die «wegen Umbau geschlossenen» Hirne. Dabei wissen wir doch genau, dass selbst wir Erwachsenen Zeit brauchen, um Zusammenhänge zu erkennen und zu verstehen. Bildung entsteht durch Vernetzungen, die auf Erkenntnissen aufbauen. Und wieso halten wir an den 45-Minuten-Lektionen fest? Studien zeigen, dass Kinder und Jugendliche zwischen 10 und rund 30 Minuten am Stück wirklich aufnahmefähig sind.
Neben dem Mist, den wir mit der Schule bauen, zerlegen wir auch noch die Familien. Dort findet aufgrund finanzieller Überlegungen unter anderem eine Abwesenheit der Eltern statt. Heute reicht es oft nicht, wenn nur eine Person einen Lohn nach Hause bringt, es braucht oft beide Elternteile. Stress und Druck sind dabei so hoch, dass eine gute Erziehung der Kinder fast unmöglich wird. Darum wird Erziehung immer mehr an ebendiese Schule ausgelagert. Aber auch Eltern haben exakt den gleichen Schwachsinn erdulden müssen und sind genauso wenig auf das Leben im Allgemeinen oder auf das Elternsein an sich vorbereitet worden.
All das ist durch Forschung, Beobachtung und Erfahrung bekannt. Wieso ermöglichen wir keine Bildung, in der Kinder und Jugendliche wissen, wer sie sind, welche Fähigkeiten sie haben, dass sie auf das Leben vorbereitet werden – und: dass sie später «Facts» von «Fakes» unterscheiden können? Stattdessen betreiben wir eine militärisch aufgebaute Schule mit kosmetischen Korrekturen und wundern uns über das Ergebnis. Von Anfang werden Wissensdurst, Neugier und Kreativität abgetötet, individuelle unterschiedliche Entwicklungen und Besonderheiten von Mädchen und Jungen negiert. Kinder wollen lernen und verstehen, wenn man sie in ihrem Tempo und ihrer Art lässt und dabei unterstützt. Eine Schule, die selbst für «Teenies» Spass macht, wäre aber auch eine Katastrophe.
In der «Carte blanche» äussern sich Oberbaselbieter National- und Landratsmitglieder sowie Vertreterinnen und Vertreter der Gemeindebehörden zu einem selbst gewählten Thema.

