«Der Spirit war sagenhaft»
14.02.2025 BaselAm 14. Februar 1975 wurde die «Business Flyers Basel AG» gegründet, aus der bald die Crossair hervorging. Der ehemalige Sissacher Gemeindepräsident Ruedi Schaffner war einst Verkaufschef der Fluggesellschaft. Wir haben ihn um einen persönlichen Rückblick gebeten. ...
Am 14. Februar 1975 wurde die «Business Flyers Basel AG» gegründet, aus der bald die Crossair hervorging. Der ehemalige Sissacher Gemeindepräsident Ruedi Schaffner war einst Verkaufschef der Fluggesellschaft. Wir haben ihn um einen persönlichen Rückblick gebeten. «Der Spirit war sagenhaft», schreibt er und verrät, dass er einmal über Ostern freiwillig Flugzeuge schrubben ging.
Ruedi Schaffner
«Das Alter ist eine Zeit der Reflexion, aber auch der Freude an dem, was wir erreicht haben.»
Gemäss dieser überlieferten Altersweisheit ist es wohl auch zu verstehen, dass ich für einen Rückblick über 50 Jahre in die Welt der Fliegerei im Besonderen und der Crossair im Speziellen angefragt wurde.
Es war der 14. Februar 1975, als in Basel durch Moritz Suter, zusammen mit einem Jugendfreund, die «Business Flyers Basel AG» als Unternehmen gegründet wurde (siehe Chronik). Doch was war das eigentlich für eine Zeit, in der dieses «Startup» – so würde man es heute wohl nennen – gegründet wurde?
Nachfolgend ein kurzer Einblick in die Fliegerei in den 1970er-Jahren:
Neu gab es am Himmel «Jumbos». Flugzeuge, die bis zu 400 Menschen transportieren konnten. Dies führte zu so etwas wie einer «Demokratisierung des Himmels». War früher das Fliegen eher der Oberschicht vorbehalten, so kamen die Kosten für Flugreisen nun langsam in den Bereich der Erschwinglichkeit von «Normalsterblichen». Kostete bisher ein Ticket nach New York mehrere Monatslöhne, so war dies jetzt mit einem Teil davon möglich.
Die Lufthoheit über der Schweiz, auch der politischen Schweiz, lag ausschliesslich bei der Swissair, damals noch einem der grössten Exportschlager unseres Landes.
Es herrschte Aufbruchstimmung, in der die Swissair auch immer wieder als unsere «fliegende Bank» bezeichnet wurde. Der damalige Präsident der Swissair, Armin Baltensweiler, vertrat auch öffentlich die Meinung, dass die Zeit der Propeller-Maschinen in hiesigen Gegenden endgültig vorbei sei.
Als junger Mann durfte ich zehn Jahre lang eine interessante und lehrreiche Zeit im Verkauf der Swissair erleben und vom Erlernten auch in den weiteren Lebensabschnitten profitieren. Die Welt stand uns Mitarbeitenden offen, waren doch die grossen Flugzeuge nicht immer voll besetzt und boten somit freie Plätze für Angestellte.
In diesem Umfeld wurde 1978 die «Business Flyers» in Crossair umbenannt. Das Konzept – basierend auf Propeller-Flugzeugen – war einfach und nachvollziehbar:
– Bedienung von Strecken mit Passagierkapazitäten, welche für die grossen Flugzeuge nicht mehr rentabel sind. Zum Beispiel ab Zürich nach Hannover, Nürnberg, Klagenfurt usw.
– Funktionieren als Zubringer zu den grossen Airports – wie das Postauto an den Bahnhof. Das war unter anderem erfolgreich mit Lugano nach Zürich und Genf. Die Passagiere flogen dann meist mit Swissair weiter.
«Kulinarische Dividende»
Das Aktionariat war breit. Die Crossair-Aktie war anfänglich so etwas wie eine Volks- oder «Fressaktie», gab es doch an den Generalversammlungen – sei dies im Hangar in Basel oder auf den Schiffen des Zürichsees – auch immer eine reichhaltige «kulinarische Dividende».
Die Kantone unserer Region waren – angeführt von Basel-Landschaft – mehrheitlich auch an der Crossair beteiligt. Solothurn und Jura waren dabei, Basel-Stadt lehnte eine Beteiligung an der Urne hingegen ab.
Zielpublikum waren primär die Geschäftsreisenden. In diesem Segment sind die Arbeitszeiten für ein Unternehmen das Teuerste, also galt es, die Reisezeiten kurz zu halten. Im Marketing musste man sich als Fluggesellschaft natürlich abheben. Die Grundpfeiler waren dabei:
– Mehr Frequenzen als die Konkurrenz anbieten. Das heisst zum Beispiel: Morgenflug nach München. Rückflug um 20 Uhr, mit Alternative bereits um 18 Uhr.
– Ledersitze an Bord
– Porzellan-Geschirr und Silber-Besteck (pro Jahr fehlten etwa 2000 Stück …)
– Champagner an Bord
– Edles Bordmagazin. Und so weiter.
Sechs Tage Weisswürste
Als Verkaufskanäle waren die Reisebüros unsere grosse Unterstützung. Dazu mussten natürlich auch die dortigen Mitarbeitenden mit entsprechenden «Studienreisen» über das Produkt informiert werden. Es gäbe viele Anekdoten dazu. Ich beschränke mich auf deren zwei:
– Im Juli 1984 war der Saab 340 neu im Einsatz. Wir haben vom Montag bis Samstag je 20 Mitarbeitende von Reisebüros nach München eingeladen. Natürlich immer mit dem gleichen Programm. Nach sechs Tagen Weisswürsten stellte ich mir anschliessend für diese Münchner Spezialität einen längere Dispens aus.
– Im Dezember des darauffolgenden Jahres wollten wir die Interessierten im belgischen Charleroi und Umgebung mit Raclette in einem Chalet auf dem Marktplatz verwöhnen. Der Stecker des mitgenommenen Raclette-Ofens muss so gut gewesen sein, dass auf dem ganzen Marktplatz für fast eine halbe Stunde der Strom ausfiel …
Ein Riesen Echo fand am 6. Juni 1984 der erste weltweite, kommerzielle Flug mit dem «Saab-Fairchild». Passagier war kein Geringerer als Papst Johannes Paul II anlässlich seines Besuches in der Schweiz.
Grosse Aufmerksamkeit fand auch Regula Eichenberger, welche 1983 erste Linienpilotin und 1985 erste Flugkapitänin in der Schweiz war. Selbstverständlich war das damals noch eine Besonderheit. Ich durfte einmal mit ihr sowie Kopilotin Doris Wilson – also einer sogenannten «all women crew» – mit den Mitgliedern der Ländlerkapelle «Alder Buebe» aus Urnäsch einen Flug für einen Werbeanlass in München begleiten. Dass ich an diesem Anlass auch den Münchner «Erzengel Aloisius» – eine so humorvolle wie trinkfeste Figur aus der bayerischen Literatur – kennenlernen durfte, wäre eine andere Geschichte …
Zur Erreichung der Verkehrsrechte brauchte es in der bisher «monopolen» Fliegerei in der Schweiz noch viel Arbeit für Moritz Suter, der damals mehr als 24 Stunden an einem Tag zu haben schien. Es war nämlich nicht so, wie Reinhard Mey in seinem Lied von 1973 sang: «Über den Wolken – muss die Freiheit wohl grenzenlos sein.» Die Freiheit musste zuerst erkämpft werden. Schlussendlich war es geschafft, das Luftfahrtgesetz wurde entsprechend angepasst. Dies lag zu einem grossen Teil am positiv eingestellten damaligen Bundesrat Leon Schlumpf.
Crossair statt Australien
Ich hatte mich Anfang der 1980er-Jahre mit meiner Frau entschieden, einen Auslandsjob für die Swissair in Australien abzulehnen und mit der Familie hier zu bleiben. Nach einer Empfehlung des damaligen Swissair-Direktors in Basel sagten wir freudig Ja, das Angebot als Verkaufsleiter bei der neuen Crossair in Basel anzunehmen, was ich nie bereut habe.
An meinem ersten Arbeitstag standen die Möbel noch verpackt im Büro. Entgegen der weit verbreiteten Meinung betreffend meiner «linken Hände», schaffte ich es zusammen mit der Sekretärin und dem «Swiss Army Knife» immer in Griffweite, die Pulte zu montieren.
Die Crossair und deren Entwicklung war stark geprägt von unserem Chef. Er war eine Lokomotive und musste bei raschem und starkem Wachstum ein paar Mal darauf hingewiesen werden, dass die Lokomotive den Bahnhof erst wieder verlassen soll, wenn auch der letzte Wagen zum Stehen gekommen ist.
Eine grosse Familie
Der Spirit war sagenhaft. Ob Piloten, Techniker oder Verkauf – wir waren eine grosse Familie. Die Löhne waren nicht mit anderen Unternehmen vergleichbar, doch das zusammen Erreichte war auch eine Art Entlöhnung. Wenn ich mir erlauben darf, ein paar Beispiele anzufügen, dann hier:
– Auf die Rückmeldung von Kunden, dass einige Flugzeuge eine Aussenreinigung gut gebrauchen könnten, entschieden wir uns, über Ostern mit den Familien diese im Hangar zu reinigen. Der Chef war natürlich auch vor Ort und sorgte dafür, dass weder Hunger noch Durst aufkommen konnten.
– Bei einem «Charity»-Anlass in Klagenfurt durften meine Frau und ich «Suters» vertreten. Dabei kam es im Garten unseres Gastgebers zum persönlichen Kontakt mit Udo Jürgens und seiner Familie in Kärnten.
– Ähnliche Anlässe durften wir in Nizza, Amsterdam usw. besuchen.
Es darf an dieser Stelle auch erwähnt werden, dass innerhalb Swissair und Crossair natürlich unterschiedliche Philosophien herrschten. Das kann man als David und Goliath sehen, oder ebenfalls wieder wie Eisenbahn und Postauto. Es herrschte also auf allen Ebenen nicht nur «Friede, Freude, Eierkuchen». Auch bei mir in der Familie, mit einem Bruder als Kapitän bei der Swissair, musste bei diesem Thema hin und wieder Toleranz moniert werden.
Die Entwicklung der Crossair ging weiter. Möglicherweise auch zu schnell. Es kam zum Einstieg der Swissair. Der Rest ist bekannt. Es liegt mir fern, dazu etwas zu schreiben, das haben schon so viele studierte und honorierte Personen getan.
Für mich bleibt es eine super Zeit. Die Dynamik und die Menschlichkeit eines Moritz Suter haben mich fürs weitere Leben geprägt.
Mein Berufsleben ging weiter – jetzt im AHV-positiven Status kann die Geschichte schon den Enkeln erzählt werden. Wie sagte Bill Clinton?
«Wenn unsere Erinnerungen unsere Träume überwiegen, sind wir alt geworden.»
Und wenn ich jetzt – 50 Jahre später – in ein Flugzeug der «Swiss» mit dem Code «LX» steige, so überkommt mich immer noch eine gewisse Nostalgie. Dieser Code wurde von der Internationale Luftverkehrs-Vereinigung IATA ursprünglich der Crossair zugeteilt.
Ruedi Schaffner-Bussinger (Jahrgang 1953) ist verheiratet, Vater dreier erwachsener Kinder und Grossvater von sechs Enkeln. Er war 1984 bis 1989 Verkaufsleiter der Crossair in Basel. Schaffner leitete in seiner späteren beruflichen Karriere das Sozialamt des Kantons Baselland. Von 1988 bis 1992 war er Gemeinderat und von 1992 bis 2003 Gemeindepräsident von Sissach.
Chronik
1975: Gründung als Business Flyers Basel AG durch Moritz Suter und Peter Kalt.
1978: Umbenennung in Crossair und Beginn des Linienflugbetriebs.
1988: Swissair erwirbt 41 Prozent der Crossair-Aktien.
1991: Swissair übernimmt die Mehrheit der Crossair-Aktien.
2001: Insolvenz der Muttergesellschaft SAirGroup; Crossair wird zur Basis für die neue Fluggesellschaft Swiss International Air Lines.
2002: Umfirmierung in Swiss International Air Lines und Einstellung des Betriebs unter dem Namen Crossair.
Mitarbeiter: Im Jahr 2001 beschäftigte Crossair etwa 3500 Mitarbeitende.
Flotte: Crossair betrieb eine Flotte von bis zu 133 Flugzeugen, darunter Modelle wie die Saab 340, Saab 2000, Embraer ERJ-145, McDonnell Douglas MD- 80 und British Aerospace BAe 146/Avro RJ2.
Destinationen: Crossair flog von mehreren Schweizer Flughäfen aus, darunter Basel, Bern, Genf, Lugano und Zürich, und bediente zahlreiche europäische Ziele.