«Gesundheitsschädigende» Masernimpfung?
12.10.2023 SissachInterviews offenbaren Motive hinter der Kesb-«Mahnwache»
Ziemlich genau einen Monat dauert die «Mahnwache» gegen die behördlich angeordnete Masernimpfung zweier Kinder aus dem Oberbaselbiet nun schon an. Von den rund 150 Personen, die am 14. September zusammen mit ...
Interviews offenbaren Motive hinter der Kesb-«Mahnwache»
Ziemlich genau einen Monat dauert die «Mahnwache» gegen die behördlich angeordnete Masernimpfung zweier Kinder aus dem Oberbaselbiet nun schon an. Von den rund 150 Personen, die am 14. September zusammen mit den «Freiheitstrychlern» nach Sissach gekommen sind, harrt mittlerweile zwar nur noch eine Handvoll vor der Kesb aus. Doch diese ist offenbar gewillt zu bleiben. Denn sie will aufmerksam machen auf die «kommende medizinisch-pharmazeutische Diktatur», wie es auf «Telegram» heisst.
Die Social-Media-Plattform ist Tummelplatz für Impfskeptiker und Verschwörungserzähler. Im Fall der behördlich angeordneten Masernimpfung geht die «alternative» Berichterstattung allerdings hauptsächlich vom umstrittenen Sender «Hoch2TV» mit Sitz in Niederbipp (BE) aus. Dessen Interviews, die gespickt sind mit Verschwörungserzählungen, werden tausendfach angeklickt. So auch jüngst das erste Interview der betroffenen Mutter zusammen mit ihren Söhnen, bei dem sie vor dem Kesb-Gebäude in Sissach auftritt.
Dieses zeigt eindrücklich auf, wie die Knaben (neun- und elfjährig) von Verschwörungstheoretikern instrumentalisiert werden, um Schauermärchen in die Welt zu setzen. So antworteten die beiden auf die Frage der «Hoch2TV»-Moderatorin, weshalb sie sich nicht gegen Masern impfen lassen wollen, nicht etwa, dass sie Angst vor dem Pieks hätten. Vielmehr sagten sie, dass die Impfung «Krebszellen von einer verstorbenen Frau» sowie «abgetriebene Babys» enthalte. Solche Stoffe wolle er nicht in seinem Körper haben, meinte der Jüngere. Eine kritische Nachfrage der Moderatorin blieb selbstredend aus. Auch die Mutter verzog keine Miene.
Ihr sollte allerdings kein allzu grosser Vorwurf gemacht werden – gibt es doch zahlreiche und vielschichtige Gründe dafür, weshalb eine Einzelperson in eine Parallelwelt von Verschwörungserzählungen abdriften kann. Und der Mutterinstinkt, dass sie ihre Kinder vor einer in ihren Augen schädlichen Impfung schützen will, ist wohl das Natürlichste auf der Welt. Fragwürdig – um nicht zu sagen, moralisch verwerflich – ist dagegen das Verhalten der Personen und Organisationen im Hintergrund.
Insbesondere dasjenige von «Hoch2TV» und Marek Schäfer – er ist offizieller Rechtsvertreter der betroffenen Mutter, obwohl er laut «LinkedIn» kein juristisches Studium absolviert hat. Beide bringen die behördlich angeordnete Masernimpfung in Verbindung mit einer angeblichen «Agenda der Weltgesundheitsorganisation WHO und der Pharmabranche». Schäfer spricht davon, dass die Masernimpfung «gesundheitsschädigend» und «krebserregend» sei.
Dem gegenüber stehen die Eidgenössische Kommission für Impffragen und das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Sie empfehlen, die Masernimpfung in Kombination mit derjenigen gegen Röteln, Mumps und Windpocken durchzuführen. Es handle sich dabei um eine «sehr sichere Impfung, die in der Regel gut vertragen wird», wie es auf der Website des BAG heisst. Dabei überwiegt der Nutzen das Risiko offenbar deutlich: «Komplikationen bei einer Erkrankung an Masern, Mumps oder Röteln treten viel häufiger auf als mit der Impfung verbundene Nebenwirkungen.» Weiter hat das Recherchezentrum «Correctiv» mit Bezugnahme auf das Paul-Ehrlich-Institut die Behauptung entkräftet, dass eine Masernimpfung Krebs verursache. Das sei wissenschaftlich nicht bewiesen.
Abgesehen von Verschwörungserzählungen kann das Urteil des Bundesgerichts, bei Uneinigkeit der Eltern eine Impfpflicht anzuordnen, aber durchaus kritisch diskutiert werden. Zumal die betroffenen Knaben deswegen laut eigenen Aussagen in ständiger Angst leben, von der Polizei abgeholt und zum Impfarzt gebracht zu werden. Zwar hat die Baselbieter Polizei laut Aussagen der Mutter und von Marek Schäfer auf «Hoch2TV» zugesichert, keinen Zwang anzuwenden. Doch noch immer ist unklar, ob die Knaben nach den Herbstferien wieder in die Schule gehen werden, nachdem sie dieser wochenlang ferngeblieben sind. Auch verzichten sie derzeit darauf, ihren Vater zu besuchen, da sie befürchten, von ihm zum Impfarzt gebracht zu werden.
Es gibt also viele Verlierer, solange die Impfung angeordnet bleibt: die verunsicherten Kinder, der Rechtsstaat sowie die Behörden, die nicht nur von Impfgegnern kritisiert werden, sondern auch mit einem anderen Motiv aus der Mitte der Gesellschaft heraus. Einige Personen fragen sich nämlich, weshalb die «Mahnwache» vor der Kesb in Sissach nicht endlich unterbunden wird – auch weil für den aufgebotenen Sicherheitsdienst die Steuerzahler aufkommen müssen. Und weil am Ende nur Verschwörungserzähler und ein ihnen wohlgesinnter TV-Sender profitieren, welche die Betroffenen instrumentalisieren, um ihre kruden Theorien einer breiteren Öffentlichkeit zu präsentieren.
Janis Erne