16-jährige Pianistin überstrahlt das gastgebende Orchester

Beim ersten Konzert des «Orchesters Gelterkinden» unter dem Dirigat von Martin Studer stellt die erst 16-jährige Gastpianistin Emma Saskia Bähler mit ihrer Chopin-Darbietung die eindrückliche Leistung der Oberbaselbieter Musik-Amateure in den Schatten.

Jürg Gohl

Geduldig sitzt Emma Saskia Bähler am Flügel. Das «Orchester Gelterkinden» spielt die ersten Motive von Chopins erstem Konzert für Klavier und Orchester. Dann endlich folgt ihr erster Einsatz. Wohl übernimmt danach das Oberbaselbieter Orchester im Stück bisweilen wieder das Kommando, begnügt sich mit der Begleitung oder schweigt ganz, doch ab ihrem ersten Akkord nimmt das Publikum in der fast voll besetzten katholischen Kirche nur noch die junge Pianistin aus Avenches wahr.

Vier Tage vor ihrem Auftritt im Oberbaselbiet hat die Musikstudentin ihren 16. Geburtstag gefeiert, doch am Sonntag spielt sie sich mit einer erstaunlichen Sicherheit durch die zum Teil irrwitzig schnellen Improvisationen Chopins, des polnischen Komponisten, der das Publikum zum Schwelgen und die Pianisten zum Schwitzen bringt. Die wenigen getragenen Abschnitte des Konzerts, das – apropos Jugend – Chopin mit 20 Jahren komponierte, spielt sie ausdrucksstark. Noch vor der Pause applaudiert ihr das Publikum stehend – und Emma Saskia Bähler bedankt sich mit einer Chopin-Mazurka als Solo-Zugabe.

Das Pflaster am Finger
Was die Zuhörer und wohl auch das Orchester am Sonntag nicht bemerkt haben: Die Talentierte trägt ein Heftpflaster am linken Zeigefinger, während ihre Hände im Chopin-Tempo über die Tasten gleiten. Eine Schnittverletzung heilte schlecht. So stand das Doppelkonzert – am Vortag traten das Orchester und sie mit dem gleichen Programm gemeinsam in Bern auf – im wahrsten Sinn auf Messers Schneide. Sie habe das für sich behalten, gesteht sie im Gespräch, und lacht dazu wie eine 16-Jährige.

Wie schon bei der einleitenden Ljadow-Polonaise gehört die Bühne nach der Pause wieder ungeteilt dem Orchester. Martin Studer, der neue, vom Publikum herzlich empfangene Dirigent, hat mit seinen 50 Musikerinnen und Musikern für diesen Abend eine Dvorák-Symphonie eingeübt. Eine anspruchsvolle Aufgabe für ein Amateur-Orchester. Das Orchester besteht zumindest in Gelterkinden die Prüfung und kommt am Ende des netto zweistündigen Konzerts nicht um eine Zugabe herum. Es gibt den Schlussteil der Symphonie nochmals, noch etwas befreiter, noch fulminanter.

Wohlwollen des Publikums
Er sei berührt, sagt der ausladend Dirigierende am Schluss, und meint damit den Empfang, der ihm erst das Orchester und danach das Publikum bereitet hat. Studer hat zu Beginn des Jahres Osvaldo Ovejero am Dirigentenpult abgelöst. Der Vorgänger führte das Oberbaselbieter Orchester drei knappe Jahre, die erst noch durch Corona beeinträchtigt waren.

Es funkt zwischen ihm und den Symphonikern. Das war am Sonntag unüberhör- und unübersehbar. Wie Martin Studer beim Betreten der Bühne scheinbar unbemerkt den Bassisten umarmt, wie er seinem Orchester nach einem schwierigen Satz begeistert den hochgereckten Daumen entgegenstreckt, wie er nach dem Konzert hier und dort plaudert, das alles zeigt: Da haben sich zwei gefunden.

Das ist keine Selbstverständlichkeit, zumal Martin Studer einen beachtlichen Leistungsausweis vorlegen kann. Er musizierte beispielsweise mit Weltstar Sol Gabetta, leitete mehrere grosse, bekannte Orchester und dirigierte an den ersten Adressen in Europa. Auch wurde sein vielfältiges Arbeiten als Dirigent und Dozent mit zahlreichen Preisen gewürdigt

Die Liste seiner Tourneen im Ausland umfasst zehn Einträge. Und nun kommt die katholische Kirche Gelterkinden hinzu. Er habe einen «veritablen frischen Wind» ins Symphonieorchester getragen, schreibt Präsident und Violinist Gerhardt Schafroth im Programm. «Und?», fragt Schafroth beim Versorgen seiner Geige zu später Stunde, aber noch immer im Adrenalin-Modus: «Zu viel versprochen?»

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