Radsport | Risiko gehört für Radrennfahrer Laurin Bachmann dazu, aber er fährt nicht «um Leben und Tod»

Der tragische Sturz mit Todesfolge von Gino Mäder an der Tour de Suisse bewegt die Radsportwelt und beschäftigt auch den 23-jährigen Elitefahrer Laurin Bachmann. Trotzdem ändert der Unfall nichts an seiner Motivation, bei jedem Rennen alles zu geben und ein gewisses Risiko in Kauf zu nehmen.

Luana Güntert

Mit 26 Jahren ist der talentierte Schweizer Radsportler Gino Mäder vergangene Woche an der Tour de Suisse gestürzt und verstorben. Was macht das mit Ihnen als drei Jahre jüngerem Fahrer, der vom Profiradsport träumt, Herr Bachmann?
Laurin Bachmann: Ich kann es zum Teil immer noch nicht glauben, so surreal war die Meldung. Ich habe Gino gekannt. Am Wochenende nehme ich an der Rad-Schweizermeisterschaft teil und denke manchmal immer noch, dass Gino dann auch dabei sein wird. Es braucht einen Moment, um zu realisieren, dass er nicht mehr da ist.

Was ging Ihnen durch den Kopf, als Sie von Mäders schwerem Sturz erfahren haben?
Ich habe mich gefragt, wie es seinen Angehörigen geht und wie sie damit umgehen. Als ich 2020 von einem Auto angefahren wurde, war das für mich selber nicht so schlimm. Für meine Angehörigen war die Belastung viel grösser. Auch wenn mein Unfall nicht mit Ginos Sturz zu vergleichen ist, denke ich hier an die Reaktion meiner Angehörigen.

Haben Sie schon einmal einen Todesfall oder eine schlimme Verletzung in einem Rennen miterlebt?
Ich habe schon einige Unfälle miterlebt, aber nichts war ansatzweise mit dem zu vergleichen, was Gino passiert ist.

Wie reagieren Sie, wenn Sie während eines Rennens von einem Unfall erfahren?
Ich habe schon Unfälle von Kollegen gesehen – da kann man zum Teil abschätzen, wie schlimm es ist. Je schneller der Fahrer unterwegs war und je lauter der Unfall war, desto schlimmer ist es im Normalfall. Im Rennen hat man aber gar keine Zeit, sich damit zu befassen. Der Radsport ist risikoreich, da kann man nicht an anderen Sachen rumstudieren, sondern muss sich auf sich konzentrieren.

Sie sind mit 16 Jahren bei einem Mountainbikerennen schwer gestürzt. Mit einem doppelten Speichen- und Ellenbruch im linken Arm ging der Unfall glimpflicher aus, als es in dieser Situation möglich gewesen wäre. Danach wechselten Sie auf die Strasse. Ist das nicht gefährlicher?
Doch. Auf dem Mountainbike bin ich öfter gestürzt, jedoch nie wirklich schlimm. Mit dem Rennvelo erreicht man viel höhere Geschwindigkeiten und fährt auf Teer, weshalb die Stürze oft böse enden. Auch die Positionskämpfe im Feld führen oft zu Crashs. Zudem sind die Trainings gefährlicher, da Rennvelofahrer im Strassenverkehr unterwegs sind.

Wie läuft Ihre Strassen-Karriere eigentlich momentan?
Da muss ich etwas ausholen (lacht). 2018 erhielt ich meinen ersten Profivertrag der Stufe Continental. Danach war mein Leben leider von Unfällen und Krankheiten geprägt: Entzündeter Herzmuskel nach einer Corona-Infektion, vier Prostataentzündungen und ein Autounfall, bei dem ich auf dem Velo angefahren wurde und lange im Spital war. Das alles waren Gründe, bei denen andere sicher mit dem Sport aufgehört hätten. Ich weiss selber nicht, was mich jedes Mal erneut motiviert hat, weiterzumachen. Ich bin extrem stolz, dass ich mein Comeback geschafft habe. Trotzdem muss ich realistisch bleiben. Unter solchen Bedingungen den Sprung an die Spitze zu schaffen, ist schwierig. Aber man darf nicht vergessen, dass ich immer noch Elitefahrer bin. Wenn ich nochmals die Chance auf einen Continental-Vertrag bekäme, würde ich ihn sofort annehmen. Der Profiradsport ist weiterhin mein Traum.

Die Tour wurde nach Mäders Tod fortgesetzt, viele Fahrer und ganze Teams sind aber ausgestiegen. Kann ein Fahrer kurz nach so einem Vorfall die nötige Konzentration aufbringen, um rennmässig zu fahren?
Das ist eine schwierige Situation. Wenn die Fahrer noch zu sehr mit dem Unfall beschäftigt sind, wird das Rennen nicht gut enden. Man muss versuchen, die schlimmen Gedanken auszublenden, nach vorne zu schauen und den Verlust zu gegebener Zeit aufzuarbeiten.

Rennen lassen sich nicht nur mit den besten Beinen gewinnen. Um schneller zu sein als die anderen, ist immer auch grosse Risikobereitschaft vonnöten. Wie gehen Sie mit dieser Tatsache um?
Wenn ich Rennen fahre, fahre ich Rennen – und gebe immer 100 Prozent. Im Training bin ich schon diszipliniert, aber auch relaxt. Aber ein Rennen könnte ich nie nur zum Spass fahren. Entweder gebe ich Vollgas oder lasse es sein. Trotzdem müssen alle Komponenten stimmen, ich muss auch mental bereit sein. Man muss also bis zu einem gewissenen Grad risikobereit sein, da man sonst zuhinterst im Feld fährt. Das heisst aber nicht, dass ich immer so fahre, als würde es um Leben und Tod gehen.

Gehen Sie oft an Ihre Grenzen oder haben Sie auch in einer steilen Abfahrt jederzeit absolute Kontrolle über Rad und Körper?
Ich habe fast immer die Kontrolle. Manchmal muss man die Situation abschätzen – vor allem, wenn man die Strecke nicht kennt. Bei Rennen über mehrere Runden ist es so, dass man ab der zweiten Runde weiss, wie viel es verträgt und wie schnell man fahren kann. Die Tour de Suisse ist ja ein Etappenrennen, viele der Profis werden die Ankunft bereits gekannt haben, weil sie nicht zum ersten Mal dort waren. Wenn man am Ende einer harten Etappe müde ist, kann es sein, dass Fehler passieren und man die Kontrolle verliert.

Jeden Millimeter und Stundenkilometer für jede Sekunde auszureizen, ist lapidar gesagt das «Berufsrisiko» eines Rennfahrers, egal, ob auf dem Velo, dem Töff oder den Skiern. Für den Zuschauer macht die Faszination Rennsport zu einem Teil aus, dass jederzeit etwas passieren kann. Für Sie als Athleten auch?
Ja, als Athlet will ich alles herausholen. Aber auch die Hormone spielen hier mit. Wenn ich bei einer Abfahrt voll am Limit bin und mein Rennen gut meistere, setzt das Endorphine frei. Ich nenne uns Velofahrer oft «Endorphin-Junkies», da dieser Kick süchtig macht – das darf man nicht vergessen. Diese Glückshormone tragen zum Teil zur Faszination des Velofahrens bei, wobei auch andere Aspekte wie die Natur, Durchhaltevermögen und viele weitere eine grosse Rolle spielen; dies ist aber für jeden individuell.

Zur Person

lug. Laurin Bachmann fährt als Elitefahrer des «knippcycling//Schär Gärten Racing Teams» primär Rennen in der Schweiz, aber auch in Deutschland und Frankreich. Der 23-Jährige kommt aus Reigoldswil und wohnt heute in Basel, wo er Sportwissenschaft mit Zweitfach Englisch studiert und in einem Fahrradfachgeschäft arbeitet.

«Ich nenne uns Velofahrer Endorphin-Junkies»

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