HERZBLUT
22.11.2022 Energie/Umwelt, GesellschaftWir kompensieren
Die Meldung wurde vergangene Woche verbreitet: Die Bundesverwaltung der Eidgenossenschaft kompensiert ihre CO2-Emmissionen künftig teilweise in Ghana im fernen Westafrika. Irgendwie sollen dortige Kleinbauern dazu gebracht werden, beim Reisanbau weniger ...
Wir kompensieren
Die Meldung wurde vergangene Woche verbreitet: Die Bundesverwaltung der Eidgenossenschaft kompensiert ihre CO2-Emmissionen künftig teilweise in Ghana im fernen Westafrika. Irgendwie sollen dortige Kleinbauern dazu gebracht werden, beim Reisanbau weniger Methan freizusetzen. Wie das geht und was das kostet? Die Mitteilung des Bundes bleibt diesbezüglich vage.
Ich las die Meldung mitten in Accra, der Hauptstadt Ghanas, wo wir gerade Freunde besuchten. Und ich war danach gelinde gesagt ratlos. Wir unermesslich reichen Schweizer exportieren nun also nicht nur unseren ganzen Computerschrott in dieses Entwicklungsland, sondern neuerdings auch noch unser schlechtes Klima-Gewissen!
Als ob Ghana keine drängenderen Probleme hätte als Methan beim vergleichsweise unbedeutenden Reisanbau! Alleine das tägliche dieselrussende Verkehrschaos im Moloch Accra mit seinen schätzungsweise 2,5 Millionen Einwohnern ist buchstäblich atemberaubend. Hätten wir Ghana nicht gescheiter das alte «Waldenburgerli» schenken, aufstellen und notfalls sogar betreiben sollen, um längerfristig ein klein wenig fürs Klima zu tun? Die dortige Bevölkerung wächst stark: 5 Millionen Einwohner waren es 1950, heute sind es mehr als 30 Millionen und in 25 Jahren werden es 50 Millionen Menschen sein. Der ganze Verkehr wird auf den vielfach restlos verstopften, meist unglaublich holprigen Strassen mit unseren stinkenden Ur-Ur-Auto- und Büssli-Occasionen abgewickelt. Eine Schienenverbindung beispielsweise zwischen der Metropole Accra und der nahen Hafenstadt Tema könnte wenigstens ein Anfang sein.
Überdies hat das nach wie vor von Armut und Tropenkrankheiten geplagte Ghana mangels Geld und Infrastruktur ein gigantisches Abfallproblem. Fatalerweise scheint einem grossen Teil der Einwohnerinnen und Einwohner das Verständnis für den Umweltschutz komplett abzugehen. «Das Niveau hier ist diesbezüglich unglaublich tief», berichtete uns eine Schweizer Lehrerin, die dort unterrichtet. Wo es Menschen hat, ist der Boden übersät mit Plastik. Sobald es regnet (und das tut es gewaltig!), landet alles in den Flüssen und schliesslich im Atlantik. Die Brandung besteht mancherorts auch weit ausserhalb der Städte ungelogen vorwiegend aus Plastikmüll. Ehrlich gesagt habe ich in meinem ganzen Leben nie eine grössere Sauerei gesehen! Und wir hier in Europa verbieten Plastikröhrli und -löffeli und meinen, damit die Weltmeere vor der Plastikvermüllung zu retten. Und jetzt auch noch das Weltklima mit einem Reisanbauprojekt für Kleinbauern …
Mir scheint, dass wir das Offensichtliche übersehen. Vielleicht sollten wir Eidgenossen mit dem schlechten Gewissen hin und wieder ein Flugzeug besteigen und einen Augenschein in Ländern wie Ghana nehmen und vor Ort darüber nachdenken, wie man den Menschen und dem Klima tatsächlich helfen könnte. Leider ist Fliegen – zu meinem Verdruss ja auch zu Recht – mittlerweile verpönt. Schade, denn Reisen bildet in aller Regel ganz ungemein.
David Thommen, Chefredaktor «Volksstimme»