Landesverrat auf der Farnsburg
08.07.2022 SchweizJosua Oehler
Nach zweijähriger Sanierung wird der Bunker im Felsgrund der Ruine Farnsburg diesen Herbst der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Beim Dokumentenstudium zum Bunker kam ein Fall von Landesverrat durch Angehörige der den Bunker bauenden Truppe zum ...
Josua Oehler
Nach zweijähriger Sanierung wird der Bunker im Felsgrund der Ruine Farnsburg diesen Herbst der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht. Beim Dokumentenstudium zum Bunker kam ein Fall von Landesverrat durch Angehörige der den Bunker bauenden Truppe zum Vorschein. Die Täter leisteten Dienst in der Schweren Motor-Kanonen-Batterie 108, einer Basler Artillerie-Einheit. Nachfolgend eine Zusammenfassung der Ereignisse.
Schon bei der Vereidigung am dritten Mobilmachungstag, am 3. September 1939, kam es zu einem Zwischenfall. Der Artillerie-Chef der 4. Division, Oberst Gyr, war vom Bundesrat beauftragt, die Sch Mot Kan Abt 4 mit den beiden Bttr 107 und 108 zu vereidigen. Er verlas die Kriegsartikel, dann ertönte das Kommando «Waffe und Helm in die linke Hand» und er las die Eidesformel vor, die da lautete:
Es schwören oder geloben die Offiziere, Unteroffiziere und Soldaten: Der Eidgenossenschaft Treue zu halten; für die Verteidigung des Vaterlandes und seiner Verfassung Leib und Leben aufzuopfern; die Fahne niemals zu verlassen; die Militärgesetze treulich zu befolgen; den Befehlen der Oberen genauen und pünktlichen Gehorsam zu leisten; strenge Manneszucht zu beobachten und alles zu tun, was die Ehre und Freiheit des Vaterlandes erfordert.
Anschliessend forderte Oberst Gyr als Vertreter der Landesregierung die Truppe auf, die drei Schwurfinger zu erheben und im Kollektiv zu sagen: «Ich schwöre es» (Wehrmänner, die aus religiösen Gründen keinen Eid leisten wollten, mussten die offene rechte Hand emporheben und die Worte «Ich gelobe es» sprechen). Bei dieser Zeremonie lehnte Telefonsoldat Friedrich Weiss aus der Batterie 108 den Eid ab und erklärte nach der Vereidigung, er schwöre nur auf seinen Meister und dieser heisse Adolf Hitler!
Nazistischer Aktivist
Ein solcher Fall war in keinem Reglement vorgesehen und die Offiziere standen etwas ratlos herum. Major Steiner, der Kommandant der Abt. 4, handelte nach eigenem Befinden: Fünf Tage scharfer Arrest zur Neubesinnung! Weiss besann sich allerdings nicht anders und er blieb in der Batterie. Denn auch die Division 4 hatte keine Lösung und auf den Vorschlag Steiners, ihn zu erschiessen, trat sie nicht ein. Weiss entpuppte sich in der Folge als nazistischer Aktivist und Agent. Er entfaltete in der Bttr 108 eine rege Spionagetätigkeit und verführte auch andere zum Mitmachen.
Es waren dies Motorfahrer Erwin Philipp sowie Telefon-Korporal Ernst Ramser. Motorfahrer Philipp wurde dann zum eigentlichen Drahtzieher innerhalb der Batterie. Philipp war gelernter Automechaniker und bis 1941 als Lastwagenchauffeur tätig. Er galt zwar als zuverlässig und solide, gleichzeitig aber auch als Aufschneider und Wichtigtuer. Er war Mitglied der Nationalen Front und später der Nationalen Bewegung der Schweiz. Sein früherer Batteriekommandant, Hptm Gut, erklärt in seinem Führungsbericht, er sei mit Philipp als Motorfahrer und bezüglich der Ausführung seiner dienstlichen Obliegenheiten zufrieden gewesen. Er habe nie diszipliniert werden müssen. Seiner Gesinnung nach sei Philipp kommunistisch eingestellt, sei dann aber zum Nationalsozialismus übergegangen. Zug- und Gruppenführer hätten deswegen verschiedentlich geklagt.
Philipps verhängnisvolle Karriere begann im Haus von Heinrich Hersche in Basel, dem Sammelpunkt nationalsozialistischer Kreise. Hersche war ein pensionierter Kavalleriemajor und Instruktionsoffizier der Schweizer Armee, trat dann aber 1941 nach der Emigration nach Deutschland in die Waffen-SS ein und wurde zum Sturmbannführer ernannt. Bei Hersche lernte Philipp auch Oblt Reimann kennen. Dieser bezeichnete sich als Anhänger einer «europäischen Bewegung» und war Mitglied der Nationalen Front.
Reimann baute eine kleine Spionage-Organisation auf, zu der Philipp sowie der Artillerieleutnant Otto-Peter Kully gehörten. Durch Vermittlung von Philipp hat Reimann auch Tf Sdt Friedrich Weiss – jenen Batterieangehörigen, der bei der Vereidigung den Schwur verweigert hatte – sowie Telefonkorporal Ernst Ramser rekrutiert. Erwin Philipp agierte als Informationssammler in der Einheit und leitete alles an Oblt Reimann weiter. Er gab im Detail bekannt, dass die Sch Kan Bttr 108 im Gebiet Rünenberg - Kilchberg Artilleriestellungen gebaut habe, und zwar vollständig ausbetonierte Stellungen für vier Geschützstände, Mannschaftsunterstände und Munitionsdepots. Der dazugehörende Kommandoposten (KP) befinde sich auf der Farnsburg.
Philipp zeigte Reimann die genaue Lage der Stellungen und des KP auf der Karte. Die Informationen bezogen sich auch auf die Feuerleitung, Schussrichtung und Verteidigungsmöglichkeiten. Des Weiteren teilte Philipp Reimann mit, dass in der Klus bei Balsthal eine Talsperre gebaut werde, die sich über die Teufelsschlucht nach dem Unteren Hauenstein hinziehe; auch bei Läufelfingen werde eine Talsperre errichtet. Und schliesslich sei die Strasse bei der Wirtschaft Pinte in Waldenburg «auf circa 100 Meter unterminiert».
Für 340 Franken
Weitere Waffenstellungen und Truppenstandorte in Merligen, Gunten, auf dem Beatenberg, am Niesen, den Standort des Kommandopostens der 3. Division sowie dem Flugplatz Meiringen leitete Philipp an Reimann weiter, als die Batterie 108 ab Herbst 1940 ins Reduit verschoben wurde. Insgesamt ergaben die Untersuchungen 18 Anklagepunkte. Für seine Tätigkeit erhielt Philipp von Reimann in verschiedenen Zahlungen einen Betrag von rund 340 Franken.
Bereits 1942 war die Spionagezelle auf dem Radar der politischen Polizei Basel und im September erfolgte die Verhaftung von Reimann, Kully und Philipp. Da Flucht- beziehungsweise Befreiungsgerüchte kursierten, wurden die drei am 21. Dezember 1942 vom Basler Lohnhof ins Gefängnis Thorberg bei Krauchthal (BE) verlegt.
Im 24-seitigen Urteil des Divisionsgerichts 3B (Verhandlungen vom 16. bis 28. November 1942) wird Erwin Philipp schuldig erklärt:
– Der fortgeschrittenen verräterischen Verletzung militärischer Geheimnisse
– Der Anstiftung zur Verletzung militärischer Geheimnisse
– Des militärischen und polizeilichen Nachrichtendienstes
Er wurde zum Tod durch Erschiessen verurteilt. Gleichlautende Urteile wurden für Oblt Reimann und Lt Kully gefällt.
Keine Gnade
Gleich nach der Urteilsverkündigung meldete der amtliche Verteidiger, Oblt Hofstetter, Kassationsbeschwerde an. Diese wurde bereits am 28. November 1942 nachmittags vom Militärkassationsgericht abgewiesen und verfügt, das Urteil sei unter Vorbehalt rechtzeitiger Einreichung eines Begnadigungsgesuches an die Vereinigte Bundesversammlung rechtskräftig. Philipps Mutter und seine Verlobte reichten Begnadigungsgesuche ein. Aber alle Begnadigungsgesuche der zum Tod durch Erschiessen verurteilten Hauptpersonen Oblt Reimann Charles, Lt Kully Otto Peter und Motfhr Erwin Philipp wurden von der Vereinigten Bundesversammlung an ihrer Sitzung vom 20. Januar 1943 abgewiesen.
Noch am gleichen Tag nachmittags wurden die Todesurteile im Wald Tannenboden, in der Nähe des Gefängnisses Thorberg (Krauchthal/ BE), wo die Verurteilten eingesperrt waren, vollstreckt.
In der Regel wurde die Exekutionsmannschaft aus jener Einheit zusammengestellt beziehungsweise kommandiert, welcher der Verurteilte angehörte. Aus den vorhandenen Dokumenten wird nicht ersichtlich, welche Truppe die Exekution an den dreien vollzogen hat. Zwar war die Bttr 108 vom 11. Januar bis 13. Februar 1943 in Aeschi bei Spiez im Aktivdienst und übte dort am 20. Januar 1943 Stellungsbezüge. Da aber neben Motfhr Philipp auch noch Oblt Reimann und Lt Kully in der gleichen Angelegenheit zur Todesstrafe verurteilt wurden, kann sich die Exekutionsmannschaft auch aus Wehrmännern anderer Truppen zusammengesetzt haben.
Jakob Werren, der Direktor der Strafanstalt Thorberg, schrieb nach der Hinrichtung an die Verlobte von Philipp:
Sehr geehrtes Fräulein Schluep!
Nachdem nun ihr Verlobter Erwin Philipp seinen letzten und schwersten Gang getan hat und nicht mehr unter uns weilt, führe ich seinen letzten Auftrag aus und schreibe Ihnen seinen letzten Gruss. Er starb mit Ihrem Bild und dem Bild seiner geliebten Mutter auf dem Herzen ruhig und ohne Hader und Angst. Der Vollzug des Urteils geschah sehr rasch nachdem die ablehnende Entscheidung der Bundesversammlung bekannt war. Ich war bis zu seinem Abmarsch bei ihm und reichte ihm den letzten Händedruck auf dieser Welt. Ich entbiete Ihnen mein Beileid und zeichne mit vorzüglicher Hochachtung.
Jakob Werren
Erwin Philipp wurde im Familiengrab auf dem Wolfsgottesacker in Basel beerdigt. Nur die Schrift auf seinem Stein «Hier ruht in Gott unser lieber Erwin 1912–1943» (kein Nachname) erinnert an ihn.
17 Urteile vollstreckt
Zwischen 1939 und 1945 wurden insgesamt 430 Personen wegen Verrats, Nachrichtendienst oder Spionage militärgerichtlich verurteilt. Von den 33 Todesurteilen wurden 17 vollstreckt (davon drei an Offizieren), eine Person wurde begnadigt, die restlichen waren landesabwesend. Das Militärstrafrecht behielt die Todesstrafe bis 1992 bei. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde nur Brigadier Jean-Louis Jeanmaire, Leiter des Bundesamtes für Luftschutztruppen, 1977 wegen Weitergabe vertraulicher Informationen an die Sowjetunion zu einer Haftstrafe von 20 Jahren verurteilt. Allgemein war man zu jener Zeit der Meinung, dass die Todesurteile eine abschreckende Wirkung hätten. Nachweisen konnte man diesen Effekt allerdings nicht. Dennoch müssen die Urteile eine Art beruhigende Wirkung auf das Volk gehabt haben, indem man der Regierung und der Armee vertrauen konnte und sie imstande waren, unser Land wirklich zu schützen.
Die Urteile der beiden anderen Batterieangehörigen waren: Tf Soldat Friedrich Weiss wurde zu 15 Jahren Zuchthaus verurteilt. Vor Gericht gab er zu seiner Verteidigung an, er habe nie geschworen, da er den Fahneneid verweigert habe, und aus seiner Liebe zu Deutschland keinen Hehl gemacht. Sein Korporal Ernst Ramser, welchen er verführt hatte, erhielt 12 Jahre. Zudem wurde Ramser degradiert. Ramser und Weiss wurden aus der Armee ausgeschlossen und die bürgerliche Ehrenfähigkeit eingestellt.
Noch Jahre nach dem Krieg erklärte Weiss dem Lohnhof-Direktor in Basel: «Hitler lebt und es wird der Moment kommen, wo ich Sie mit dem Flammenwerfer hier im Gefängnis herumjagen werde!»
Autor Josua Oehler, geboren 1947, ist pensionierter Rektor der Gewerbeschule Liestal. Militärischer Grad: Major. 1976–1981, Kommandant der Schützenkompanie III/5 und 1984–1988 des Infanteriebataillons 21, 1989–1994 im Stab der Grenzbrigade 4. Oehler wohnt in Arboldswil, ist verheiratet und Vater von vier erwachsenen Kindern.
Der vollständige Bericht erscheint in Heft Nr. 2 der Serie «Einblicke in die Militärgeschichte des Kantons Basel-Landschaft» mit dem Titel «Farnsburg einmal anders – der Artillerie-Beobachtungsposten A 3075 und die Schwere Kanonen-Batterie 108», das im August erscheinen wird. Bestellungen ab sofort beim Autor zum Preis von 12 Franken (+ 1.50 Franken Versandkosten): josua.oehler@sunrise.ch.
Quellenhinweis Schweizerisches Bundesarchiv:
– E4800.7#1995/20#7* Spione, Saboteure, Landesverräter (Übersicht über die bis Ende 1945 abgeschlossenen militärgerichtlichen Untersuchungen) 1945–1946
– E1070#1000/34#1814* Begnadigungsgesuche Oblt. Reimann, Lt. Kully und früherer Motf. Philipp 1942– 1943
– E4001C#1000/783#2153* Begnadigungsgesuche Reimann, Kully und Philipp 1943