Ein Verein in der kritischen Phase
16.07.2021 Bretzwil, Sport, FussballLuana Güntert
Ein angenehmer Sommerabend im Juli, die Aktiv-Mannschaft der Boca Bretzwil trifft sich zum ersten Mal nach der Sommerpause – erstmals auch nach dem Abstieg in die 5. Liga. Die Stimmung ist dennoch ausgelassen, man freut sich aufs Training und das ...
Luana Güntert
Ein angenehmer Sommerabend im Juli, die Aktiv-Mannschaft der Boca Bretzwil trifft sich zum ersten Mal nach der Sommerpause – erstmals auch nach dem Abstieg in die 5. Liga. Die Stimmung ist dennoch ausgelassen, man freut sich aufs Training und das Wiedersehen mit den Kollegen. So entspannt die Aktiven bei der Wiederaufnahme des Trainings sind, so bedrückt ist die Stimmung im Vorstand und bei den Juniorenverantwortlichen.
Flavio Karrer, Präsident von Boca Bretzwil, und Vincent Bröckelmann, Nachwuchsverantwortlicher, erklären, weshalb: «Klar, sind wir vom Abstieg enttäuscht», sagt Bröckelmann. Doch irgendwie passe er zum aktuellen Leistungsstand der Mannschaft. «Aber unsere beiden neuen Trainer aus Arisdorf haben uns als Team noch näher zusammengebracht.»
Boca Bretzwil startet meistens bescheiden in die Meisterschaft und taut dann mit der Zeit auf, so auch 2020. «Gerade als wir anfingen, unsere Spiele zu gewinnen, wurde die Meisterschaft unterbrochen. Die Zwangspause kam zu einem ungünstigen Zeitpunkt, aber es ging allen gleich, es war eine blöde Situation», sagt Bröckelmann. Doch die Kicker lassen sich vom Abstieg nicht unterkriegen. Karrer und Bröckelmann, die beide in der Aktiv-Mannschaft mitwirken, freuen sich auf die kommende Saison in der 5. Liga und die gemeinsamen Erlebnisse.
Sorgen um die Junioren
Die Zukunft der Boca-Juniorenabteilung ist ungewiss. «Auf Ende der abgelaufenen Saison haben uns drei von sechs jahrelang engagierten Ausbildnern verlassen und die übrigen drei verlassen uns aus beruflichen Gründen bereits nächstes Jahr», führt Karrer aus. «Wir haben bereits sehr viele Kollegen und Bekannte gefragt, ob sie nicht Lust auf einen Trainerjob hätten», erklärt Karrer. Leider sei die Suche bisher erfolglos gewesen.
Der Vorstand hat die Kinder und deren Eltern bereits über die kritische Personalsituation ins Bild gesetzt. Aus Verantwortung und Respekt gegenüber den Kindern und Eltern hat sich Boca eine Deadline gesetzt. «Bis zum 31. Oktober brauchen wir eine Lösung für den Sommer 2022, alles andere wäre nicht fair den Kindern gegenüber», erklärt Bröckelmann. Falls Boca keine Ausbildner für ihre Junioren findet, gibt es zwei Varianten: Entweder wird ein niederschwelliges Angebot geschaffen oder die Juniorenabteilung wird aufgelöst. In diesem Fall würde der Verein die Familien darin unterstützen, ihre Kinder bei anderen Vereinen unterzubringen.
Problem der Gesellschaft
Karrer sieht den Trainermangel – nicht nur im Fussball – als gesellschaftliches Problem. «Viele wollen nur konsumieren, aber nichts leisten. Das Leben sollte aber ein Geben und Nehmen sein.» Man könne nicht immer nur Trainer und ehrenamtliches Wirken fordern, ohne selber jemals in die Hosen gestiegen zu sein. Er verstehe, dass es aus beruflichen Gründen manchmal schwierig ist, da das Juniorentraining bereits am späteren Nachmittag beginnt, so Karrer weiter, doch sei er der Meinung, «dass in der Gesellschaft ein Umdenken stattfinden muss». Der Präsident hat auch Ideen, wie man Ehrenämter attraktiv gestalten kann. So schlägt er etwa vor, an pädagogischen Fachhochschulen Creditpoints für Ehrenämter mit Kindern zu vergeben.
Für die beiden Klubverantwortlichen ist ein Fussballverein nicht nur da, um zukünftige Profis auszubilden. Der Sport sei eine Lebensschule: Wichtige Werte wie Respekt, das Funktionieren in einem Team, soziale Intelligenz und der Umgang mit Niederlagen würden den Junioren schon früh beigebracht. Dies helfe ihnen in der Persönlichkeitsentwicklung. Auch sie selbst hätten durch den Verein eine riesige persönliche Entwicklung erfahren. Dies sowohl in Bezug auf die gemeinsamen Erlebnisse als auch auf die Verantwortung im Vorstand. Darauf seien sie stolz. «Durch Boca kamen wir mit vielen verschiedenen Menschen in Kontakt, die wir ohne den Verein nie hätten kennenlernen dürfen», sagt der Präsident.
Nach wie vor hoffen Karrer und Bröckelmann auf das Weiterbestehen ihrer Juniorenabteilung. Mit ihrer Website und dem Instagram-Kanal macht Boca Werbung. Ihr Motto haben sie einem Hashtag gewidmet: #däclubwoallisäge.
Boca Bretzwil ist ein Fussballverein, der 2004 von drei Bretzwiler Familienvätern gegründet wurde. Die Motivation der Dorfjugend auf Fussball war gut, die Busverbindungen in andere Dörfer mit Fussballvereinen hingegen schlecht. Die ersten Jahre absolvierten die Junioren lediglich Trainings, nahmen aber an keiner Meisterschaft teil. Dies änderte sich 2013, als fünf 16-jährige Kollegen die Trainerposten übernahmen und zwei Juniorenmannschaften gründeten, die nun auch eine Meisterschaft bestritten.
Zur gleichen Zeit kam bei den damals 16-jährigen Burschen der Gedanke auf, auch eine Aktiv-Mannschaft zu gründen. Durch Zufall – oder war es Schicksal? – bekam ein Aushilfsturnlehrer von Arisdorf Wind von der Idee und so wurde die Aktiv-Mannschaft aus der Taufe gehoben. Aus organisatorischen und finanziellen Gründen segelt Boca Bretzwil offiziell unter der Flagge des FC Arisdorf. Ihre Heimspiele tragen die «Bretzwiler» ebenfalls in Arisdorf aus. Das Trainerduo, Markus und Oliver Schweizer, sowie vier Kaderspieler stammen aus Arisdorf.
Der zumindest bei uns in der Schweiz ungewohnte Vereinsname hat übrigens nichts mit Boccia zu tun. «Boca ist ein Lifestyle», sagt Vereinspräsident Luca Karrer. «Boca steht für so vieles: Freundschaft, Spass, Freude am Fussball. Wir wollen den Boca-Geist leben und positive Vibes verbreiten.»
Angelehnt ist der Name an die argentinische Fussballmannschaft «Boca Juniors» und an die damaligen argentinischen FC-Basel-Stars Rossi, Gimenez, Delgado und Carignano, die 2005 bei der Trikottaufe des Bretzwiler Vereins dabei waren – bis heute ein Highlight für die Oberbaselbieter Kicker. «Ein weiterer Höhepunkt der jungen Vereinsgeschichte war der Aufstieg in die 4. Liga im Jahr 2018. Gefeiert wurde wie im richtigen Boca-Lifestyle: Die Spieler liessen sich nach dem entscheidenden Match von einem Car abholen und fuhren nach Bretzwil, wo sie sich mit Fangesang und Feuerwerk auf einem Balkon feiern liessen. «Also alles nicht ganz normal bei uns», sagt der Präsident, «aber das ist auch unsere Art, wofür wir einstehen.»