Eine leider fast vergessene Papiermühle
02.03.2021 Lausen400 Jahre Industriegeschichte endeten vor bald 40 Jahren
Unscheinbar liegen die Gebäude an der Unterdorfstrasse in Lausen, dabei könnten sie so viel erzählen. In den alten Gemäuern wurden 400 Jahre lang Papier und Karton hergestellt.
Heinz ...
400 Jahre Industriegeschichte endeten vor bald 40 Jahren
Unscheinbar liegen die Gebäude an der Unterdorfstrasse in Lausen, dabei könnten sie so viel erzählen. In den alten Gemäuern wurden 400 Jahre lang Papier und Karton hergestellt.
Heinz Spinnler
Die Papier- und Kartonfabrik Christen & Cie. hat 1983 den Betrieb eingestellt. Alle Maschinen und Gerätschaften blieben aber in den Gebäuden erhalten. Im Jahr 1982 verfasste der inzwischen verstorbene Industriearchäologe Oskar Baldinger einen Bericht über die Lausner Papiermühle; er sollte als Grundlage für eine mögliche Erhaltung der Fabrik dienen. Dazu kam es aber nicht. Die Verhandlungen mit dem Besitzer scheiterten. Das Fazit der Studie drucken wir hier als Einleitung ab:
Mit Kaufbrief vom 22. April 1583 sicherte sich Hieronimus Dürr ein Wasserbezugsrecht in Lausen, nachdem vor ihm wenigstens zeitweise ein Peter Düring-Gernier und Heinrich Düring-Schweizer in Lausen anwesend waren (1571–1581). Die Anfänge der Papiermühle in Lausen dürften wohl auf diesen Zeitraum zurückreichen. Personell lässt sich über Claus Dürr eine Verbindung bis zu den Galliziani aufzeigen (Basler Papiermacher).
Das Wohnhaus, wie es sich heute präsentiert, geht auf den Umbau von 1720–1731 zurück, hingegen ist das vom Wohnhaus getrennte Gebäude der ersten Papiermühle noch erhalten. Aus der Zeit der manuellen Produktion scheint, nebst einigen kleineren Geräten, hauptsächlich der Erweiterungsbau der Papiermühle zu stammen. Er verbindet das Wohnhaus mit dem Gebäude der ersten Stampfe und besass bis in die 1880er-Jahre drei Wasserräder, die Stampfe und Holländer antrieben. Die Dürings erstellten auch Gesellenwohnungen, womit uns in Lausen ein kompaktes frühindustrielles Fabrikensemble bestehend aus «Direktoren»-Haus, Arbeiterwohnungen und Produktionsanla- gen inklusive Trocknungshäuser erhalten geblieben ist.
Als besonders wertvoll erscheint, dass die Gebäude aller Entwicklungsstufen erhalten sind und dass ein ganzer Satz von Kartonmaschinen, – vom Beginn der Mechanisierung bis in die Neuzeit – vorhanden sind (bis 1918 wurden auch Packpapiere produziert). Mit Ausnahme einer Langsiebmaschine, die fehlt, aber gut dokumentiert ist, handelt es sich grösstenteils um eine betriebsfähige, wenn auch abgenützte Anlage, die sich zu Demonstrationszwecken gut eignen würde (dies war 1982).
Bei der vorliegenden Anlage ist somit nicht nur die äussere Hülle intakt, sondern ausnahmsweise auch die Innenausrüstung bis hin zu den Dokumenten. Berücksichtigt man auch die historische Stellung, die diese Fabrik innerhalb der Schweizerischen Papier- und Kartonfabriken einnimmt, so handelt es sich hier nicht nur um eine Anlage von kantonaler, regionaler, sondern von schweizerischer Bedeutung. Ja, sogar einen internationalen Vergleich braucht sie nicht zu scheuen.
O. Baldinger
Erhaltung scheint unmöglich
Schon 1982 war den an der Studie beteiligten Personen klar, dass an eine Erhaltung der gesamten Anlage nicht zu denken war. Wünschenswert wäre wenigstens der Erhalt der Gebäude, die zum alten Ensemble der Papiermühle gehören, inklusive dem Trockenhaus aus dem 19. Jahrhundert und dem Teich. Wenn auch noch die zur Herstellung von Papier benötigten Maschinen und Geräte teilweise erhalten werden könnten, wäre das schon viel. Aber dazu besteht wenig Hoffnung.
Hoffnungslos verloren?
Mir persönlich ist die Fabrik erstmals im Jahr 1971 aufgefallen, als ich als 16-Jähriger meine Schriftsetzerlehre in Liestal begann. Damals wurde noch Karton fabriziert. Aber in die Anlage zu kommen, war unmöglich. Ein Lausner mit Jahrgang 1925 erklärte mir, dass selbst er, als Schulkollege vom Patron der Papierfabrik, Erwin Christen, noch nie in der Fabrik war. «Spinnler, do muesch du gar nid go frooge, do chunsch nid ine», war seine Antwort.
Leider ist viel Wissen über die Papierfabrikation in Lausen verloren gegangen. Ein Papierhändler aus Basel bestätigte mir, dass in Lausen der beste Maternkarton auf dem Markt fabriziert wurde (dieser Karton wurde für die Herstellung von Matrizen zum Giessen von Druckplatten verwendet). Wohl noch so mancher anderer Karton aus dieser Fabrik muss besonders gut gewesen sein. Man hat auch Karton für die Schuhindustrie hergestellt, der besonders robust sein musste.
Als Rohstoffe kamen für die Kartonherstellung Altpapier, Textilien, Lederabfälle, für die Herstellung von Pressspan auch Hanfseile oder alte Schiffstaue infrage. Für das Zerkleinern oder Auflösen all dieser Materialen waren in Lausen die notwendigen Maschinen vorhanden. Lumpenschneider, Kugelkocher, Kollergänge und zahlreiche «Holländer» (der Holländer ist eine Maschine, in der die Lumpen oder Hadern zerkleinert wurden) sind erhalten.
Rundsieb-Kartonmaschinen
Auf insgesamt drei Rundsieb-Kartonmaschinen konnte fabriziert werden. Auf diesen Maschinen wurden sogenannte Handpappen hergestellt. Handpappen deswegen, weil die auf dem Zylinder der Papiermaschine enstandenen Kartonplatten von Hand geschnitten und beiseitegelegt werden mussten. Der Fabrikationsablauf (einfach erklärt) ist folgender: Auf einem Papiersieb, welches auf einem grossen Zylinder montiert ist, entsteht ein relativ dünnes Papier. Der Zylinder, der sich ein einem Kasten befindet, ist halb gefüllt mit Pulpe, dem aufgelösten Stoff, aus dem der Karton entstehen soll. Der Zylinder dreht sich, anders als bei einer Langsiebmaschine, relativ langsam. Das auf dem Sieb entstandene Papier wird in noch ungepresstem Zustand von einer Filzbahn aufgenommen und gepresst, teilweise entwässert, um danach auf einen grossen Zylinder, der Formatwalze, aufgewickelt zu werden. Enstprechend der gewünschten Dicke des zu fabrizierenden Kartons wurde das dünne Papier aufgewickelt und ein Signal (eine Glocke) zeigte dem Papiermacher an, wann die fertige Pappe vom Zylinder zu schneiden war.
Durch die Aufwicklung der zahlreichen dünnen und noch nassen Papiere (bis zu 20 Lagen, auch Wickelpappe genannt) verliess ein sehr stabiler Karton die Maschine. Durch pressen, trocknen und glätten entstand die gewünschte Pappe.
Das Trocknen der Pappen erforderte viel Zeit. Früher hatte man die Papiere auf den Dachböden auf Gestellen mit Klammern aufgehängt. Die Handpappen wurde oft im Freien, wie Wäsche, mit Metallklammern an Seilen befestigt, wie auf alten Fotografien zu sehen ist. Später hat man auch spezielle, beheizte Trockenräume und Maschinen verwendet.
Papier vor der Mechanisierung
In Lausen wurde seit dem 16. Jahrhundert Papier hergestellt. In dieser Zeit verwendete man für die Produktion ausschliesslich Textilfasern, wie Leinen, Hanf, Jute oder Sisal. Später wurde auch Stroh verwendet. In einer Stampfe, die von Wasserrädern angetrieben wurde, auch Hammerwerke genannt, wurde der Stoff zu eine Pulpe zerkleinert. Wenn alles fein genug war, wurde es in einer Bütte mit Wasser aufgelöst. Der Papierschöpfer hob mit dem Schöpfsieb aus der Bütte den gewünschten Papierbogen, der anschliessend vom Gautscher auf einem Filz «abgegautscht» wurde. Nach dem Pressen wurden die einzelnen Bogen zum Trocken aufgehängt.
Später, im 18. Jahrhundert, ersetzte der «Holländer» die Stampfwerke. Die zuvor zerkleinerten Lumpen wurden im «Holländer» weiter aufgelöst, eine sich drehende mit Messern versehene Walze zerschnitt die Stoffteile weiter, bis diese in die einzelnen Fasern aufgelöst waren.
Im 19. Jahrhundert verwandte man auch Holzschliff und Zellstoff, der dem Papierbrei zugesetzt werden konnte. Je nach Auftrag konnten auch Kleber oder Farbstoffe zugegeben werden.
In Lausen scheint die Mechanisierung der Papierproduktion mit Papiermaschinen gegen Ende des 19. Jahrhunderts begonnen zu haben. Die noch vorhandenen Maschinen stammen aus dem Jahr 1890, die jüngste aus dem Jahr 1938.
Die hier abgedrucken Informationen stützen sich auf die Dokumentation aus dem Jahr 1982. Quelle: Oskar Baldinger, Industriearchäologe.